Martin Morgner: DDR-Studenten zwischen Anpassung und Ausrasten. Disziplinarfälle an der Friedrich-Schiller-Universität Jena von 1965 bis 1989, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2012, 403 S., 1 CD-Rom, ISBN 978-3-86583-709-7, EUR 49,00
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"Disziplinarfälle" an einer Universität in der DDR zwischen Mauerbau und Mauerfall sind bisher kaum untersucht worden. Selbst zur Universität Jena, die vielleicht am besten erforschte Universität im SED-Sozialismus, existieren bislang nur wenige einschlägige Studien, die sich zumeist auf die "prominenten Fälle" konzentrierten. Martin Morgner hat für seine Dissertation daher ein wichtiges Thema gewählt. Er bekam Zugang zu den Disziplinarakten der Universität Jena, die er eingehend ausgewertet hat. Die Struktur seiner Studie ist überzeugend. Im ersten Teil stellt er seine Fragestellungen, den Forschungsstand und die Quellen vor und geht ausführlich auf das Hochschulrecht, das universitäre Disziplinarrecht sowie den Wandel der Disziplinarordnungen ein. In vielen Schaubildern versucht er, die Disziplinarakten und die darin geschilderten Fälle statistisch zu erfassen.
Der zweite Teil umfasst rund 700 Seiten (davon 450 Seiten auf einer beigefügten CD) und führt systematisch geordnet disziplinarische Einzelfälle vor. Und hier ergibt sich ein grundlegendes Problem: Der Autor hat nämlich kein wissenschaftliches Problembewusstsein. Denn was wir nun auf 700 Seiten ertragen und erdulden müssen, ist das exzessive Ausbreiten von Einzelfällen, die seitenlange nacherzählte oder wortwörtliche Wiedergabe von Dokumenten, die nur von neuen Überschriften und damit neuen "Fällen" kurz unterbrochen werden. Diese Materialsammlung ist zweifellos nützlich für künftige Forschungen. Gerade komparatistisch arbeitende Kollegen mit analytischen Ansätzen zur DDR-Hochschulgeschichte oder speziell zur Disziplinar- und Verfolgungsgeschichte an Hochschulen im SED-Sozialismus werden dankbar auf diesen ausgekippten Zettelkasten zurückgreifen. Doch es fehlt eine tiefer gehende Analyse. Dass in dieser Studie keine Überlieferungen aus anderen Archiven verwendet worden sind, sei nur am Rande vermerkt.
Aber wenn der Doktorvater, Lutz Niethammer, auf der Rückseite des Buches erklärt, diese Studie fülle eine Fehlstelle aus, weil es "die paradigmatische Grundierung des Problems durch eine differenzierte Darstellung des Spektrums von unangepasstem und widerständigem Verhalten von Studierenden in der späteren [sic] DDR und dessen herrschaftliche Behandlung in einer Fallstudie" zeige, so scheint hier ein Wissenschaftsverständnis im Raume zu schweben, das sich entweder selbst ironisiert oder bezogen auf die DDR-Geschichte etwa im Jahr 1991 oder großzügig gesehen 1992 stehen bleibt. Damals waren aus der "Aufarbeitungsszene" Arbeiten mit einer solchen Herangehensweise notwendig und wichtig - die Quellen sollten ganz allein für sich sprechen. Allerdings strebte auch niemand der damaligen Autoren eine Promotion an. Festzuhalten bleibt also: eine nützliche Materialsammlung ohne analytischem Tiefgang!
Ilko-Sascha Kowalczuk