Samuel William Collins: The Carolingian Debate over Sacred Space (= The New Middle Ages), Basingstoke: Palgrave Macmillan 2012, 246 S., ISBN 978-1-137-00259-4, GBP 55,00
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Die Forschung zum Frühmittelalter hat sich der Kirche als heiligem Ort bereits aus unterschiedlichen Perspektiven genähert; die bisher wohl prominenteste Studie ist Dominique Iogna-Prats Werk. [1] Auf seine These, dass die karolingische Zeit entschieden zu der Vorstellung geheiligter christlicher Architektur beigetragen habe, greift die nun erschienene Dissertation von Samuel Collins aus dem Jahre 2005 zurück (13). Er möchte mit seiner Arbeit den Diskurs erweitern, indem er den Fokus auf die karolingerzeitliche Debatte um den heiligen Raum legt und davon ausgeht, dass die Idee sakraler Architektur in karolingischer Zeit "bitter umfochten" war und sich nur gegen Widerstände durchsetzen ließ (13). Diesen Gedanken verfolgt Collins über vier Kapitel hinweg, die sich mit den insularen Grundlagen der Kontroverse, mit der Diskussion um das Werk des Amalarius von Metz und deren Bedeutung für die Debatte um den heiligen Ort sowie mit der Sakraltopographie im monastischen Gedankengut und mit dem Zusammenhang von Ort, Buße und Asyl beschäftigen.
In der Einleitung beschreibt Collins sehr knapp seine These und die sich daraus ableitende Vorgehensweise seiner Arbeit (1-13). Er beginnt seine Studie mit einem Überblick gebenden Beispiel, nämlich dem Konflikt zwischen Alkuin und Theodulf von Orléans, der aus der Asylsuche eines Priesters in St. Martin in Tours resultierte und Fragen um die Reinheit der Kirche aufwarf. Ausführlich referiert Collins den Fall jedoch erst im vierten Kapitel seiner Arbeit. Nach den Ausführungen zu diesem Thema streift er die antiken Grundlagen der Debatte, die er primär an Titus Livius und dem Apostel Paulus festmacht. Abschließend verweist Collins auf die moderne Diskussion über Raum, der aus einer Spannung zwischen den realen, tangibeln Orten und der Vorstellung von ihnen zu verstehen ist. Vor diesem Hintergrund will er den karolingischen Diskurs analysieren, da er kaum auf real existierende Architektur bezogen ist.
Der Einleitung folgt ein Kapitel (15-40), in welchem Collins Bedas exegetischen Text "De templo" und die "Collectio Canonum Hibernensis" als richtungsweisende Texte für die Auseinandersetzung vorstellt. Bedas "De templo" wendet sich einer Exegese des Tempel des Salomon zu, in welcher Beda die Topographie des Himmels darstellt sowie jene als Spiegel der christlichen Erlösung nach der zweiten Parusie liest. Nicht so elaboriert wie Beda, aber dennoch wegweisend, beschäftigt sich auch die "Collectio" mit dem heiligen Raum. War für Beda die Architektur des Tempels nur himmlisch beziehungsweise im Rahmen spiritueller Typologie zu verstehen, sieht die Kirchenrechtssammlung den himmlischen Tempel mit der materiellen Welt verbunden und setzt die Kirchengebäude in einen Bezug mit der Vergangenheit des Alten Testaments und der kommenden, eschatologisch verstandenen Zukunft.
Im zweiten Kapitel (41-65) beschäftigt sich Collins mit Amalarius' von Metz Auslegung der Liturgie, die das Alte Testament und den darin beschriebenen Tempel simultan zum neuen Tempel und der neuen politische Ordnung der karolingischen Zeit vorstellt (53). An diesem Verständnis der Liturgie setzten Amalarius' Kritiker Agobard von Lyon und Florus von Lyon an, indem sie auf das zeitliche Auseinanderfallen der biblischen Zeit und der eigenen Zeit verwiesen und eine Allegorese nur auf die biblische Vergangenheit angewendet wissen wollten.
Die an Bedas Werk, der "Collectio Hibernensis" und Amalarius' Beitrag aufgezeigten unterschiedlichen Interpretationen des heiligen Ortes beeinflussten auch die karolingische Literatur über die monastische Praxis, der sich Collins in seinem dritten Kapitel zuwendet (66-90). Zuerst untersucht er den St. Galler Klosterplan. Dieser spiegelt das Modell der "Hibernensis", denn es lassen sich anhand der auf ihm eingezeichneten Architektur Schichten der Heiligkeit nachweisen. Während auf dem Plan die Außenwelt am Rande bleibt, ist das Heilige sicher in der Mitte aufgehoben. Zudem analysiert Collins die Kommentare des Smaragdus von Saint-Mihiel und Hildemars von Corbie zur Benediktsregel. In der Benediktsregel wird am Ende der Tabernakel evoziert, der nicht tropologisch ausgedeutet wird, sondern allein als der Lohn für das richtige monastische Leben steht. Dennoch sind das Kloster und der Tabernakel in der Regel völlig getrennt; das Kloster in dieser Welt und der Tabernakel im Jenseits. In Smaragdus' Auslegung wird diese Interpretation nicht nur auf den himmlischen Tabernakel, sondern auch auf das Diesseits bezogen. Für ihn beflecken die Sünden, wobei die Befleckung ansteckend ist, weshalb das Kloster nur von reinen Personen betreten werden darf. Zwischen dem Himmlischen und dem Irdischen bewegt sich auch Hildemars Sichtweise, da er die Tugenden als himmlische Regeln auffasst, die auch für das innerweltliche Kloster Geltung haben.
Im letzten Kapitel (91-120) befasst sich Collins mit Alkuins und Theodulfs theoretischem Verständnis des heiligen Ortes und wie es die Auseinandersetzung über die Asylflucht eines wegen einer uns unbekannten Sache verurteilten Priesters Theodulfs in das Asyl nach St. Martin in Tours beeinflusste. Während Alkuins Argumentation sich auf rechtliche Vorbilder bezieht, seien Theodulfs Ausführungen durch ein spezifisches Bußverständnis geleitet. Nach Theodulf dürfe der Sünder die Kirche nicht betreten, da der Sünde eine verschmutzende Qualität innewohne, die Kirche außerdem mit der göttlichen Sphäre verbundenen ist, die rein bleiben muss. Dahingegen denke Alkuin pastoral, sodass für ihn die Topographie, wie heilig sie auch sein möge, abgegrenzt vom Göttlichen bleibe und die Asylflucht auch eines Sünders gerechtfertigt ist.
Collins luzider Argumentation ist in den Details gut zu folgen, umso abträglicher ist es, dass er der übergreifenden Kohärenz weniger Beachtung geschenkt hat. So beginnt die Einleitung schon mit einem Quellenbeispiel (1-5), das erst im vierten Kapitel wieder aufgegriffen wird. Auch die abschließenden Folgerungen ziehen kein Fazit der vorausgegangen Gedanken, sondern führen weitere architektonische Beispiele an (120-129). Irritierend ist ferner, dass Collins Ausführungen keinerlei Chronologie folgen und nicht immer deutlich wird, wie die Texte aufeinander zurückgreifen. Dass die Belege als unhandliche Endnoten beigefügt wurden, ist bei einem insgesamt mit vielen übersetzten Quellenbelegen untermauerten Text besonders zu bedauern.
Es gelingt Collins in seinem interpretativ an Details ausgerichteten Durchgang durch die Quellen, die verschiedenen Argumentationsfiguren des karolingischen Diskurses in innovativer Weise aufzuschließen. Allerdings hat er mit seiner Lesart der Quellen die Idee des heiligen Raumes im 9. Jahrhundert vor allem unter der Perspektive einer Debatte um die Heiligkeit von Architektur betrachten wollen. Das glückt ihm nur stellenweise überzeugend, kann er letztlich doch fast nur Indizienbeweise beibringen, denn auf eine theologische Debatte um das Kirchengebäude als heiligen Ort mit Streit- und Gegenschriften kann er nicht zurückgreifen. Letztlich liegt die Schwierigkeit, eine Debatte um die Heiligkeit von Architektur nachzuzeichnen, auch darin begründet, dass das grundsätzliche Spannungsmoment sich allenfalls indirekt am heiligen Ort entzündete und eigentlich auf unterschiedlichen exegetischen Traditionen basierte, was Collins eher en passant transparent macht. Somit ist sein anregender Beitrag weniger eine Studie zur Debatte um den heiligen Ort, als vielmehr ein weiterer wichtiger und lesenswerter Hinweis auf das Problemfeld der Bedeutung karolingerzeitlicher Exegese für die Ausbildung religiöser Vorstellungen, die in der jüngeren Literatur zur karolingischen Reform zwar beachtet, aber noch nicht hinreichend analysiert worden ist.
Anmerkung:
[1] Dominique Iogna-Prat: La maison dieu. Une histoire monumental de l'église au Moyen Âge, Paris 2006. Verwiesen sei auch auf meine Dissertation: Miriam Czock: Gottes Haus. Untersuchungen zur Kirche als heiligem Raum von der Spätantike bis ins Frühmittelalter (= Millennium-Studien / Millennium Studies; 38), Berlin 2012.
Miriam Czock