Rezension über:

Klaus Altmayer: Die Herrschaft des Carus, Carinus und Numerianus als Vorläufer der Tetrarchie (= Historia. Einzelschriften; Bd. 230), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2014, 506 S., 28 s/w-Abb., ISBN 978-3-515-10621-4, EUR 82,00
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Rezension von:
Frank Kolb
Seminar für Alte Geschichte, Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Frank Kolb: Rezension von: Klaus Altmayer: Die Herrschaft des Carus, Carinus und Numerianus als Vorläufer der Tetrarchie, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2014, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 6 [15.06.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/06/24762.html


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Klaus Altmayer: Die Herrschaft des Carus, Carinus und Numerianus als Vorläufer der Tetrarchie

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Der Titel dieses Buches, einer überarbeiteten Augsburger Dissertation, ist etwas irreführend. Der Vergleich der kurzlebigen Dynastie des Carus und seiner Söhne (282-284 n.Chr.) mit dem Regierungssystem der Tetrarchie nimmt eine eher marginale Rolle ein. Den tatsächlichen Inhalt des Buches beschreibt der Autor so, dass "die fast dreijährige Herrschaft des Carus und seiner Söhne bisher nur sehr wenig Beachtung" fand (die zuvor einzige Monographie zum Thema erschien 1948) [1] und dies in ihm den Wunsch weckte, "die Regierungsperiode dieser Herrscherfamilie einer umfassenden Untersuchung zu unterziehen", um eine "klaffende Forschungslücke" zu schließen (9. 19).

Auf einen knappen Forschungsüberblick (21-26) und ein allzu ausgedehntes Kapitel (27-56) über die Quellenlage folgen ein langer "Ereignisgeschichtlicher Überblick"(57-184), in welchem die Geschichte der drei Herrscher jeweils gesondert und mit zahlreichen Überschneidungen präsentiert wird, und ein systematisch gegliedertes Kapitel (185-318) zum "Vergleich der Regierungsjahre von 282-285 mit der Tetrarchie Diokletians". Der Vergleich erfolgt zumeist in Gestalt kurzer Anhängsel an eine diesmal nach Sachthemen gegliederte Darstellung der Regierung der Dynastie des Carus. Abschließend zieht der Autor eine knappe "Bilanz der Herrschaft des Carus und seiner Söhne" (319-324). Ein höchst umfangreicher Anhang (325-506) komplettiert den Eindruck, dass der Autor mit immensem Fleiß und großer Sorgfalt eine ungemein detaillierte Geschichte des Imperium Romanum in den Jahren 282-284 geboten hat.

Überzeugend geklärt werden meines Erachtens strittige Fragen zu den Familienverhältnissen, zur Karriere und Machtübernahme des Carus, zur Ernennung seiner Söhne zu Caesares und Augusti, zur Chronologie des Perserfeldzuges von Carus und Numerianus. Auch die Überlegungen des Autors zu Motiven und Verlauf dieses Feldzuges, zur politisch-militärischen Ausgangssituation, zum Verhalten des im Osten seines Reiches gebundenen Sassanidenherrschers Wahram II, zur Todesursache des Carus und Numerianus scheinen plausibel. Erwägenswert ist die These, daß die Fortsetzung des Perserkrieges durch Numerian in Gestalt eines erfolgreichen Feldzuges nach Armenien vonstatten ging. Überzeugend ist die chronologische Rekonstruktion der Feldzüge des Carinus gegen die Usurpatoren Sabinus Iulianus und Diokletian sowie der Intrigen, die zur Ermordung des siegreichen Carinus führten. Nützlich sind die Erwägungen zur Heeresstärke und - struktur unter der Tetrarchie und ihren Vorläufern.

Dass Diokletian die "offizielle Verlautbarung" zu verantworten habe, der - mehr als ein Jahr zuvor erfolgte! - Tod des Carus sei durch Blitzschlag, mithin Bestrafung durch Iupiter, verursacht worden (131), ist hingegen unwahrscheinlich. Auch die Aufteilung der Ernennung Diokletians auf zwei Orte, Chalkedon und Nikomedia (135), ist abzulehnen, da sie auf dem unzuverlässigen Chronicon Paschale (510,19-511,1) und einer Fehlinterpretation von Aurelius Victor, Caes. 39,13-14 und Eutrop 9,20,1 beruht. Unzutreffend ist auch die Auffassung, Diokletian habe mit Übernahme des Namens Marcus Aurelius an Carus und seine Söhne angeknüpft (170). Im Unterschied zu diesen hat Diokletian sich erst nach seiner Thronbesteigung programmatisch den neuen Namen zugelegt und dabei ganz sicher nicht an eine von ihm selbst gewaltsam beseitigte und mit damnatio memoriae belegte Dynastie, sondern an den gleichnamigen Idealkaiser des 2.Jahrhunderts anknüpfen wollen.

Anknüpfung an Carus und Söhne erklärt jedoch nach Altmayers Meinung wesentliche Merkmale der Tetrarchie. Um diese Kontinuität zu unterstreichen, konstruiert er einen nicht vorhandenen Gegensatz zwischen der These von Seston sowie anderen Forschern und der meinigen zur Entstehung des tetrarchischen Systems (12. 21). [2] Aber Seston und ich nehmen beide eine Entwicklung an: Nur sieht Seston das Konzept eines Systems seitens Diokletians erst um 300 n.Chr. gegeben, während dies m.E. spätestens 293 n.Chr. der Fall ist. Schon gar nicht steht meine Auffassung im Gegensatz zu der gängigen Forschungsmeinung, daß Diokletian mit seinen Reformen Entwicklungslinien zusammenfaßt, die z.T. bereits seit Ende des zweiten Jahrhunderts erkennbar sind. Altmayers Bemühen, die Regierungszeit des Carus und seiner Söhne als unmittelbare "Vorläufer der Tetrarchie" zu präsentieren, geht ins Leere. Die vermeintlichen Belege, die er für seine These vorbringt, sind so beschaffen, daß man alle römischen Kaiser seit Augustus als Vorläufer der Tetrarchie bezeichnen kann. Anknüpfungen an - von Altmayer unnötig breit ausgeführte - seit Jahrzehnten angebahnte Veränderungen in Verwaltung, Militär und kaiserlicher Repräsentation schmälern jedoch nicht die Bedeutung der umfassenden Neuerungen, welche die diokletianischen Reformen auf dem Gebiet der Provinzverwaltung, des Steuerwesens, des Rechtswesens, der kaiserlichen Selbstdarstellung und des Regierungssystems mit sich brachten, und erheben erst recht nicht Carus und seine Söhne zu wegweisenden Vorläufern der Tetrarchie (286)!

Insbesondere Herrscherkollegium und Herrschaftsteilung des Carus und seiner Söhne waren mit Sicherheit nicht "richtungsweisend" (321. 323) für das tetrarchische Herrschaftssystem. Im Kontrast zur sorgfältigen hierarchischen Gestaltung des Tetrarchenkollegiums werden Carinus und Numerianus bereits als Caesares bisweilen der Augustus-Titel (64f. 85. 101. 194-200) sowie das Praenomen "Imperator" (196f.) zugestanden, die in der Tetrarchie den Augusti vorbehalten blieben. Die scheinbare Harmonie innerhalb der kaiserlichen Familie, manifestiert in gemeinsamen Porträtbüsten von Carus/Carinus, Carus/Numerianus oder aller drei Herrscher auf Münzprägungen (85f. 194), als "Entsprechung" (242. 321) zum massiv propagierten und extrem ausgefeilten concordia-Konzept der Tetrarchie mit seiner Angleichung der Porträts, der tribunizischen Gewalten und Konsulate zu bezeichnen, ist nicht überzeugend. Ferner schloß die Tetrarchie Blutsverwandte und Ehefrauen rigoros aus der 'kaiserlichen Familie' aus. Sie kannte keine "Augusta" wie Carinus' Gattin Magnia Urbica. Wenn Carus und Diokletian auf Münzen Iupiter als auctor ihrer Herrschaft präsentieren (231-233. 321), knüpfen sie an eine lange Tradition sakraler Legitimation kaiserlicher Herrschaft an, in der Carus nicht als unmittelbares "Vorbild für die kaiserliche Selbstdarstellung Diokletians" (321) bezeichnet werden kann. Entsprechendes gilt für die herrschaftslegitimierende Bezugnahme auf Herkules und Sol, wie sie Medaillons des Carinus vom Januar 284 zeigen (159. 233-236. 241 und Abb. 13). Herkules und Sol als Schutzgötter des Kaisers sind im 3.Jahrhundert topisch. Ein formal ähnliches Medaillon zeigt Diokletian und Maximian bekränzt von Iupiter und Herkules, und inhaltlich liegt hier eine tiefere Deutung der Beziehung zwischen den Göttern und den Herrschern im Sinne einer Sohnschaft und Stellvertretung vor. Von einem "Vorbild" der Religionspolitik und kaiserlichen Selbstdarstellung des Carus und seiner Söhne für Diokletian (240) kann keine Rede sein.

Es sei darauf verzichtet, eine ganze Reihe sachlicher Irrtümer zu erwähnen, aber es sei die Frage gestellt, ob man dem Thema nicht mit räumlich und preislich geringerem Aufwand hätte gerecht werden können. Mußte wirklich im Anhang jedes Dokument mit komplettem Text zitiert, mußte im Verlauf der Abhandlung jede Inschrift, jeder Papyrus, jeder Münztypus einzeln und nicht selten mehrfach behandelt werden? Zudem ist die Darstellung des öfteren umständlich und redundant.

Kritikwürdig ist die sprachlich-stilistische Gestaltung. Zahllose Rechtschreib- und Grammatikfehler, nicht selten erratische Zeichensetzung sowie Fehler im Satzbau, Formulierungsschwächen und verquere Begriffe ("Überlieferungstradition"), erschreckend häufig falsche Verwendung von Konjunktionen (wie "nachdem" im Sinne von "weil") und Präpositionen (wie "über" statt "auf, für, von"; "durch" statt "wegen") sowie sinnlose oder sinnwidrige Häufung gleichbedeutender oder gar einander widersprechender Adverbien und Adjektive ("bereits schon", "lediglich/ausschließlich - nur", "jedoch aber", "ebenfalls/außerdem/daneben - auch", "denn - nämlich", "unbedingt zwangsläufig", "ausnahmslos immer", "überhaupt gänzlich", "wohl (ganz) offensichtlich/offenbar"). Dies zeugt nicht nur von fehlender Kontrolle durch ein verantwortungsbewußtes Lektorat, sondern auch vom Eindringen der in der Studentenschaft schon seit einiger Zeit zu beobachtenden sprachlichen Disziplinlosigkeit in die wissenschaftliche Literatur.

Damit soll nicht das Verdienst dieser Abhandlung in Frage gestellt werden, die mit umfassenden und sorgfältigen Quellen- und Literaturrecherchen und der überaus detaillierten Darlegung der aus ihnen für die Regierungszeit des Carus und seiner Söhne zu gewinnenden Ergebnisse einen neuen Wissensstand für diesen Zeitraum begründet hat. Ob sich damals "so etwas wie eine Aufbruchstimmung in der römischen Welt" abzeichnete (323), ist freilich schwer zu beurteilen.


Anmerkungen:

[1] Piero Meloni: Il regno di Caro. Numeriano e Carino, Cagliari 1948.

[2] William Seston: Dioclétien et la Tétrarchie, Bd. 1: Guerres et réformes, Paris 1946. Frank Kolb: Diocletian und die Erste Tetrarchie, Berlin / New York 1987.

Frank Kolb