Verena Schädler: Katholischer Sakralbau in der SBZ und in der DDR (= Bild - Raum - Feier. Studien zu Kirche und Kunst; Bd. 11), Regensburg: Schnell & Steiner 2013, 352 S., 1 CD-Rom, 150 s/w-Abb., 10 Farb-Ktn., ISBN 978-3-7954-2675-0, EUR 39,95
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Verena Schädlers Studie zum katholischen Sakralbau im östlichen Teil Nachkriegsdeutschlands stellt die erweiterte Dissertationsschrift der Autorin dar, welche 2010 an der Bauhaus Universität Weimar verteidigt worden ist. Sie beschäftigt sich darin mit katholischen Neubauten in der SBZ / DDR zwischen 1945 und 1990 um eine "möglichst genaue Charakterisierung des architektonischen Bestandes, d.h., in welcher Form, an welchen Orten, zu welchen Zeiten, von welchen Personen und unter welchen Bedingungen katholische Sakralbauten" errichtet worden sind (14), zu erreichen. Andere Bauaufgaben im sakralen Spektrum, darunter die Wiederherstellung und Restaurierungen historischer Bauten, werden von Schädler bewusst ausgespart (13, 17). Um es vorwegzunehmen: Ihrem deskriptiven Anspruch kann die Autorin aufgrund eines strengen formalen Zuschnitts absolut genügen, doch bleiben nach der Lektüre auf der analytisch-interpretativen Ebene leider mehr Fragen als Antworten. Gleichwohl ist Schädlers Buch ein wichtiger Baustein in der Forschung zur (ost-)deutschen Nachkriegsarchitektur, die sich bislang vor allem auf den Profanbau konzentriert hat. [1] Es ist somit als Ergänzung zu Kai Kappels Habilitationsschrift "Memento 1945?" zu würdigen, der bei seiner Untersuchung die Entwicklungen in der SBZ / DDR nicht berücksichtigt hatte. [2]
Die Arbeit gliedert sich in zwei umfangreiche Hauptkapitel, die von einer Einleitung und einem Fazit gerahmt werden. Auf knapp 100 Seiten widmet sich Schädler zunächst den "strukturellen Betrachtungen". Sie stellt das Datengerüst der Arbeit vor (21-24), klassifiziert die von der Autorin eigenhändig recherchierten, insgesamt 532 Baumaßnahmen (26-30), macht Angaben zum Grundstückserwerb (42-49), zu Finanz- und Materialfragen (50-61), stellt die beteiligten Architekten und Planer vor (62-73) und präsentiert ihre Überlegungen zu städtebaulichen Aspekten des Kirchenbaus (83-88), bevor sie schließlich eine Typologie der neu errichteten katholischen Gotteshäuser liefert. [3] Neben den traditionellen Formen von Longitudinal- und Zentralbau macht Schädler "Sonderformen in (post-)moderner Gestalt" sowie zwei "DDR-spezifische Sonderformen" aus: den "Typ Haus" (100-102) und den "Typ Karton" (103-105). Beeindruckend ist die statistische Akribie, die es Schädler nicht nur erlaubt, eine belastbare empirische Grundlage für ihre Argumentation auszubreiten, sondern die darüber hinaus auch in vier beiliegenden DIN A3-Faltkarten visuell ansprechend aufbereitet wird. Die Karten zeigen die geografische Verteilung der Kirchenneubauten in der SBZ / DDR in den einzelnen Diözesen und die bauliche Entwicklung zwischen 1945-90. Besonders positiv hervorzuheben ist zudem die beigefügte Daten-DVD. Sie liefert ein umfassendes, aktuelles Bildarchiv der katholischen Kirchenbauten in Ostdeutschland sowie ein Inventar mit grundlegenden Angaben zu Baugeschichte und Erhaltungszustand.
Im zweiten Hauptkapitel - "geschichtliche Betrachtungen" - untersucht Schädler auf 200 Seiten in chronologischer Gliederung zunächst jeweils die gesellschaftlich-politischen Konstellationen von katholischer Kirche und Obrigkeit (die hier beinahe ausnahmslos auf die Staatspartei SED reduziert wird). Danach stellt sie im Überblick die entstandenen Sakralbauten des Jahrzehnts dar, um dann, anhand von Fallbeispielen, auf markante Tendenzen aufmerksam zu machen. Hier setzt Schädler in den einzelnen Kapiteln unterschiedliche Schwerpunkte. Die 40er-Jahre stehen unter der Überschrift "Improvisation" (107-120), die 50er-Jahre werden mit "Vielfalt" tituliert (121-181), die 60er-Jahre mit "Umbauten" (182-223) und die 70er- und 80er-Jahre werden unter dem Schlagwort "Staatliche Programme" subsummiert (224-282). Im Fazit geht die Autorin auf die in der Fachwelt kontrovers diskutierte "Frage nach der Erhaltung des sakralen baulichen Erbes aus der SBZ und DDR" ein und macht selbst "Vorschläge für Schützenswertes" (294-306), repräsentieren die überkommenen Bauten doch auf besondere Weise ein spezifisches "zeitgeschichtliche[s] Umfeld" (314).
Die Autorin kommt zu dem Ergebnis, dass die Zeit von 1945 bis Mitte der 50er-Jahre von einer Hochphase katholischen Bauens geprägt war. In den 60er-Jahren stand der "Umbau und die Umgestaltung vorhandener Kirchenräume" im Vordergrund (27). "In den 1970er und 1980er Jahren stagnierte", wie sie anmerkt, "der Bau neuer Kirchen" (ebd.). Als Hauptursache für den Boom im katholischen Kirchenbau benennt Schädler die Migrationsbewegungen nach dem II. Weltkrieg, in Folge dessen über 4,3 Millionen Flüchtlinge in die mehrheitlich protestantisch geprägte SBZ kamen. Circa die Hälfte dieser Neuankömmlinge gehörte der katholischen Konfession an und war alsbald mit akuter Raumnot konfrontiert (33). Durch Umzug, Flucht oder generelle Säkularisierungstendenzen konzentrierten sich die Katholiken in der DDR ab den späten 60er-Jahren mehrheitlich auf die Mittel- und Großstädte, wo dann die Majorität der Neubauten errichtet wurde. Daneben stand ab der zweiten Hälfte der 50er-Jahre die Ausbesserungs- und Restaurierungstätigkeit an den Neubauten im Vordergrund. Aufschlussreich lesen sich jene Passagen zum Kirchenneubau in den sozialistischen Planstädten und Neubausiedlungen, kollidierten doch hier besonders markant Ordnungs- und Machtvorstellungen der Politik mit lebensweltlichen Bedürfnissen der (katholischen) Bewohner und Bewohnerinnen. Schädler kann die Aushandlungsprozesse und die Konflikte der 70er- und 80er-Jahre zwischen kirchlichen und staatlichen Vertretern beispielhaft an den Sakralbauten für Leipzig, Berlin und Rostock darlegen (266ff.).
Methodisch begreift Schädler katholisches Bauen in der DDR als diasporistische, minoritätische und anti-atheistische Herausforderung in einem von Mangelwirtschaft geprägten Staat (13). Anhand der neu errichteten Kirchenbauten könne man, so die Autorin, das wechselseitige "Verhältnis zwischen Staat und Kirche bzw. innen- und außenpolitischen Beschlüssen der SED-Regierung" aufzeigen (14). Sie macht jedoch nicht deutlich, auf welche historiografische Vorarbeiten oder Modellstudien sie sich in ihrer Arbeit bezieht. Die Einschränkung auf eine bestimmte Gruppe von Bauten in einem eng umrissenen Gebiet bringt es zudem mit sich, dass Schädler nur ganz selten eine deutsch-deutsche Perspektive einnimmt: So würdigt sie zwar die "Behelfsbauten" der späten 40er-Jahre, die auch für katholische Gemeinden entstanden, doch ist ihr Otto Bartnings Bauprogramm der "48 Notkirchen" für die evangelische Kirche in Ost- und Westdeutschland nur eine Fußnote wert (112), obwohl gestalterische und planerische Gemeinsamkeiten ins Auge springen (117, 131). Gerade bei der Diskussion der Bauformen und -typen wird deutlich, wo die Grenzen einer so streng-formalen Sichtweise wie jene in der vorliegenden Arbeit auszumachen sind. So kategorisiert Schädler einzelne Kirchenbauten, doch bettet sie diese kaum in größere architekturhistorische Kontexte ein, noch interpretiert sie Elemente wie Doppelturmfassade oder markante Grundrissfigurationen beim Zentralbau als mögliche sakrale Pathos- und Würdeformeln. Daher fehlt bei einem Hauptwerk wie St. Peter und Paul in Naumburg (Johannes Reuter, 1955-62, 152ff.) der Hinweis darauf, dass diese Kirche gestalterisch und städtebaulich deutlich Bezug auf den gotischen Dom gleichen Patroziniums nimmt und welche Fragen sich daraus für die Interpretation des Baus ergeben könnten. Unklar bleibt dem Rezensenten zudem, was die Autorin mit dem häufig verwendeten Begriff der "(post-)modernen Sonderformen" im DDR-Kirchenbau meint, zu denen sie "Kirchen mit unregelmäßigen oder exklusiven Grund- und Aufrissformen" zählt (97): Zielt sie damit auf eine architekturhistorische Epoche ab, ein zugrunde liegendes inhaltliches Programm der Ausstattung oder eine gestalterische Haltung der Architekten?
Diese und andere Fragen - wie zum Beispiel die jüngst an anderer Stelle diskutierte um das Ringen nach baulicher Präsenz der Kirchen im öffentlichen Raum nach 1945 oder die These zu Sakralbauten als Erinnerungsorten [4] - werden auch weiterhin die DDR-Architekturgeschichtsforschung beschäftigen müssen. Schädlers großer Verdienst ist es dabei, eine umfangreiche Datenmenge aufbereitet und somit den Weg für zukünftige Detailforschungen geebnet zu haben.
Anmerkungen:
[1] Vgl. u.a. Thomas Hoscislawskis: Bauen zwischen Macht und Ohnmacht. Architektur und Städtebau in der DDR, Berlin 1991; Werner Durth / Jörn Düwel / Niels Gutschow (Hgg.): Architektur und Städtebau der DDR, 2 Bde., Frankfurt am Main / New York 1998; Joachim Palutzki: Architektur in der DDR, Berlin 2000.
[2] Kai Kappel: Memento 1945? Kirchenbau aus Kriegsruinen und Trümmersteinen in den Westzonen und in der Bundesrepublik Deutschland (= Kunstwissenschaftliche Studien; Bd. 145), München / Berlin 2008.
[3] Vgl. Verena Heinemann [= Schädler]: "Die Kirche in der sozialistischen Stadt", in: Das Münster, 59 (2006), 102-109.
[4] Vgl. Kai Kappel / Matthias Müller / Felicitas Janson (Hgg.): Moderne Kirchenbauten als Erinnerungsräume und Gedächtnisorte, (= Bild-Raum-Feier. Studien zu Kirche und Kunst; Bd. 9), Regensburg 2010.
Oliver Sukrow