Martin Bredenbeck: Die Zukunft von Sakralbauten im Rheinland (= Bild - Raum - Feier. Studien zu Kirche und Kunst; Bd. 10), Regensburg: Schnell & Steiner 2015, 416 S., 456 s/w-Abb., 1 CD-Rom, ISBN 978-3-7954-2650-7, EUR 39,95
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Bereits 2015 erschienen, hat Martin Bredenbecks Dissertation eher an Aktualität gewonnen: Durch zunehmenden Priestermangel, rückläufige Mitgliederzahlen und wegbrechende Steuereinnahmen sehen sich die beiden großen christlichen Konfessionen immer häufiger gezwungen, Pfarreien zu fusionieren oder aufzulösen, Kirchen und Gemeindebauten anders zu nutzen oder gar - als ultima ratio - aufzugeben. Da die Eingriffe bisher meist ohne Berücksichtigung kunsthistorischer Belange vorgenommen wurden, zielt die Arbeit Bredenbecks darauf, ein kunsthistorisch-denkmalpflegerisches Instrumentarium für die Nachnutzung bzw. Profanierung und den Abriss von Sakralbauten zu entwickeln. Zugleich entstand ein Überblick über die Sakralarchitektur der Nachkriegsmoderne im Rheinland in den Grenzen der früheren preußischen Rheinprovinz, was der heutigen Evangelischen Kirche im Rheinland und den Bistümern Essen, Aachen, Köln und Trier ungefähr entspricht.
Nach einer methodischen Einführung und der Auflistung früher Beispiele für Kirchenumnutzungen, wie die romanische Kirche St. Cäcilien in Köln, die seit 1956 als Ausstellungsraum des Museum Schnütgen dient, werden theoretische Überlegungen zum Umgang mit "überflüssigen" Kirchen aus den Diözesen Aachen, Essen, Köln und Trier vorgestellt. So wurden im Bistum Essen 98 Bauten als "Weitere Kirchen" eingestuft, was eine Frist des Nachdenkens verschaffte, andererseits Schließungen und Abrisse nicht verhinderte. Im Hauptkapitel "Bewahrung, Umbau, Abbruch" wird jede behandelte Kirche beschrieben und kunsthistorisch gewürdigt. Wichtig sind auch die Hinweise auf nachträgliche Veränderungen und auf die städtebaulichen Situationen der Bauten. Dem Thema Bewahrung ist der größte Teil des Kapitels gewidmet, doch können hier nicht alle Untergruppen vorgestellt werden. Zunächst untersucht der Autor Formen der Weiternutzung. Unter die Überschrift "Nutzungserweiterung, neue pastorale Schwerpunkte" fallen u.a. Profilkirchen, Jugendkirchen, Citykirchen, Autobahnkirchen oder Kolumbarien. In sogenannten Kulturkirchen können Gottesdienste häufig weiterhin zelebriert werden, doch werden die Bauten eher als Kulturbauten wahrgenommen, so dass größere Eingriffe meist vermieden werden konnten. In der Gruppe "Einbau von Gemeindesälen und -büros" in Kirchen sind weitreichendere Eingriffe zusammengestellt. Meist bleibt das äußere Erscheinungsbild gewahrt, hingegen wird die sakrale Nutzung des Inneren räumlich deutlich reduziert. Unter der Überschrift "Neue Gemeinden" sind Nachnutzungen anderer Religionsgemeinschaften subsumiert. Während orthodoxe Gemeinden trotz Einbauten, wie Ikonostasen, häufiger zum Zug kamen, ist die Nutzung durch muslimische Gemeinden kirchenrechtlich ausgeschlossen, was im 21. Jahrhundert recht antiquiert ist. Unter "profane Nachnutzung" ist die große Zahl von verkauften, verpachteten oder vermieteten Sakralbauten zusammengefasst. Sie werden vornehmlich zu Wohnzwecken genutzt und es ist zu vermuten, dass diese Form der Nachnutzung künftig stark anwachsen wird. Ein anderes Problemfeld ist der Leerstand meist jüngerer Bauten, was auch Kirchen prominenter Architekten, wie beispielsweise Gottfried Böhm, betrifft. Hier plädiert Bredenbeck für eine pragmatische Vorgehensweise. Kontrollierter Leerstand, d.h. ein mit geringem Aufwand betriebener Bauunterhalt, habe den Vorteil des Zeitgewinns.
Im zweiten Kapitel werden Umbauten untersucht, d.h. Eingriffe, die die Bauten derart veränderten, dass eine ursprüngliche Nutzung als Raum für Gottesdienste nicht mehr möglich ist. Darunter fallen kirchlich betriebene Einrichtungen wie Altenzentren, karitative Zentren oder Wohnungen für geistig Behinderte. Auch bei nichtkirchlich betriebenen Nachnutzungen liegt der Schwerpunkt auf Wohnen. In der Gruppe der zu Geschäftsräumen, Büros und Gaststätten umgestalteten Sakralbauten finden sich weitere Beispiele eklatanter Unverträglichkeit, so z.B. die katholische Kirche St. Peter in Mönchengladbach, immerhin ein Bau von Clemens Holzmeister von 1930-33, der heute als Kletterkirche genutzt wird.
Im dritten Kapitel werden Abbrüche behandelt. Zwar war die Zahl der Abbrüche bis 2008 - dem Ende des Bearbeitungszeitraums - eher gering, doch wurden auch zentrale Bauten der jüngeren Architekturgeschichte abgerissen, z.B. die katholische Kirche St. Clemens in Duisburg, errichtet 1959-61 nach Plänen von Emil Stefann und Nikolaus Rosiny. Hintergrund der Abbrüche waren meist ökonomische Gründe, Personal- oder Geldmangel, Pfarreizusammenlegungen, Gemeindeverkleinerungen. Daneben stehen Fälle von "höherer Gewalt", z.B. durch Bergsetzungen oder durch Umsiedlungen von Ortschaften infolge des Braunkohletagebaus.
In der abschließenden Zusammenfassung wird hervorgehoben, dass ältere Bauten bis hin zu Bauten des 19. Jahrhunderts nur in Ausnahmefällen gefährdet sind. Dementgegen wurden jüngere Bauten wesentlich eher verändert, wobei "Konglomerate", d.h. nachträglich erweiterte Bauten, besonders gefährdet sind. Wertvoll ist die Sensibilisierung für Fragen des Umgangs mit bauzeitlicher Ausstattung. Dies gilt besonders für ortsgebundene Kunstwerke, wie Glasgemälde - hier besonders des Betonglases, als wesentlicher Beitrag des 20. Jahrhunderts zur Glasmalerei -, Fresken und Mosaiken. Auch städtebauliche Bezüge gehen durch Umbau und Abriss verloren. Bredenbeck fasst zusammen, "die Zukunft von Sakralbauten im Rheinland heißt weniger Kirchen mit größeren Gemeinden, mehr kircheninterne bzw. profane Nachnutzung, mehr Übernahme der Bauten von Gemeinden, hoffentlich denkmalverträgliche Improvisation, mehr Pragmatismus."
Die besondere Stärke der Arbeit liegt in der Darstellung der diversen Möglichkeiten der Nachnutzung. Gleichzeitig offenbart sich ein methodisches Problem: Zwar sind die Beschreibungen für die Benennung des Spezifischen der jeweiligen Kirche notwendig, doch birgt die Masse an Deskriptionen die Gefahr in sich, dass wichtige kunsthistorische Aussagen überlesen werden. Hier wäre eine stringentere Teilung in "Umgang mit den Bauten" und "Stilgeschichte" besser gewesen, denn die Idee, in den nachgenutzten und abgerissenen Bauten eine Kunstgeschichte des Sakralbaus des 20. Jahrhunderts zu verfolgen, ist überzeugend. Hierzu hätte sich auch der als "Anhang" folgende, auf CD eingelegte Katalog von 1234 Seiten angeboten. Die Kritik soll nur als Anmerkung verstanden werden. Bredenbecks "Materialschlacht" ist im Hinblick auf die immense Menge verarbeiteter Daten eine im besten Sinne des Wortes verdienstvolle Arbeit. Gerade die erstmalige Darstellung der gesamten Spannbreite möglicher Eingriffe in gefährdete kirchliche Bauten und deren Lösungen lässt den Wunsch entstehen, dass das Buch künftig bei Umwandlungen von Sakralbauten, Gemeindebauten etc. zu Rate gezogen wird.
Eduard Sebald