Rezension über:

Christian G. Schulz: Gottes Wort und fürstliche Macht. Silberaltäre des 17. Jahrhunderts zwischen München und Stockholm, Regensburg: Schnell & Steiner 2021, 544 S., ISBN 978-3-7954-3565-3, EUR 96,00
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Harald Buchinger / Sabine Reichert (Hgg.): Gottesdienst in Regensburger Institutionen. Zur Vielfalt liturgischer Traditionen in der Vormoderne, Regensburg: Schnell & Steiner 2021, 558 S., ISBN 978-3-7954-3629-2, EUR 45,00
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Johann-Michael-Fischer-Gesellschaft: Sankt Michael und die Josephsburg. Kurkölnische Bauwerke in München-Berg am Laim, Lindenberg im Allgäu: Kunstverlag Josef Fink 2021, 224 S., 160 Abb., ISBN 978-3-95976-315-8, EUR 39,00
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Rezension von:
Josef Johannes Schmid
Mainz / Manubach
Redaktionelle Betreuung:
Paul Blickle
Empfohlene Zitierweise:
Josef Johannes Schmid: Fürst - Kunst - Kult(ur) (Rezension), in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 4 [15.04.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/04/38069.html


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Fürst - Kunst - Kult(ur)

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Fürst, Kult und Kunst bilden immanente und daher unverzichtbare Elemente der Öffentlichkeit und damit auch jeglicher politischer Manifestation. Diese nicht neue Erkenntnis bewahrheitet sich von den kultisch-monarchisch-dynastischen Bauten des alten Ägyptens über die Stadt- und Tempelanlagen der altorientalischen und (früh-)griechischen Kulturen, die römische Urbanistik, romanische Kaiserdome und gotische Königskirchen bis zu den kultisch-fürstlichen Repräsentationsbauten und -stiftungen der Frühen Neuzeit und des 19. Jahrhunderts. In säkular-postmonarchischer Form fand und findet sie Ausdruck in revolutionären Freiheits- und Atheismusfesten, national-chauvinistischen Denkmalstätten, stalinistischer Heroenarchitektur, nationalsozialistischer Führerkultinszenierung und gegenwärtigen Polit- wie Mainstream-ideologischen (Massen-)Versammlungen und Berichterstattungen.

Diese lange Liste eines offenbar dem menschlichen Denken, Fühlen und Ausdrucksverhalten genuinen Entsprechungsphänomens lässt die historische Forschung jeden Beitrag begrüßen, welcher geeignet scheint, Einzelaspekte, Fallbeispiele und Spezifizierungen hiervon vorzustellen und so ein ohnehin schon reichhaltiges, im Detail aber stets wachsendes Bild zu ergänzen. Drei neuere und - dies darf vorweggenommen werden - jeweils auf ihre Art sehr gelungene Beiträge sollen im Folgenden näher vorgestellt werden.

Beginnen wir den Reigen mit Christian G. Schulz' monumentaler Studie zu fürstlichen Silberaltären im mittel- und nordeuropäischen Raum des 17. Jahrhunderts. Was auf den ersten Blick ein etwas sehr spezifisches Sujet darzustellen scheint, offenbart sich nach nur wenigen Seiten Lektüre als eine durchaus aussagekräftige Analyse der vorstehend bezeichneten Sinn- und Interaktionsbeziehungen. Anhand der entsprechenden Monumente in Frederiksborg (Dänemark), München, Husum, Rügenwalde (heute Darłowo, Pommern), Stockholm und Gottorf (Schleswig) gelingt es dem Autor in eindringlicher Weise, die jeweils eigenen Umstände und Motivationen zu Auftrag, Errichtung und Aufstellung der Altäre dem Leser verständlich und in einen größeren Kausalzusammenhang eingeordnet zu präsentieren. Dieser Erklärungsansatz folgt, was Lektüre wie Vergleich und Nachvollziehbarkeit sehr erleichtert, einem gewissen festen, aber nicht starren Schema, das Zeitumstände, fürstlich-dynastische Ambitionen und konfessionelle Verortungen in theologischer wie geographischer und künstlerischer Hinsicht ebenso berücksichtigt wie kunsthistorisch relevante Einzelausprägungen und Besonderheiten. Hervortritt aus diesem bunten und weitgestreuten geistesgeschichtlichen Teppich das faszinierende Bild eines vielfach glänzenden Mosaiks, welches Interesse, Wissen und Arbeitsalltag von Vertretern vielerlei Fachrichtungen zu ergänzen und bereichern vermag. Gerade die oftmals fließende Grenze zwischen Gemeinsamkeiten und Trennelementen unter den verschiedenen beleuchteten Konfessionen, Landschaften und politisch-fürstlichen Gebilden macht dieses Buch zu einer bunten Fundgrube reichhaltiger Erkenntnis vormoderner Lebens-, Ausdrucks- und Repräsentationswelten - ein Ergebnis, welches weit über die prima vista primär kunsthistorische Ausrichtung des Bandes hinausgeht.

Dieser positive Gesamteindruck wird auch nicht durch wenige kritische Feststellungen und Nachfragen getrübt. So erfährt und versteht der Betrachter manches in der sehr stark theorielastig ausgerichteten Einleitung Angerissenes vielleicht erst bei aufmerksamer Lektüre des gesamten Textes. Diese selbst fordert durchaus b(e)reite Agilität und Eingehen auf die oftmals sehr weit gezogenen Analyserahmen des Verfassers, etwa in Hinsicht auf die mitunter sehr ausführlichen Exkurse innerhalb der Darlegung. Solche finden sich etwa in der kompetenten Gegenüberstellung der Neuburger Altarkonzeption in der nach der Konversion des dortigen Herzogs zur Katholischen Kirche erbauten Hofkirche (mit Rubens-Altarblatt) mit der eigentlich im Fokus stehenden Husumer Schöpfung ebenso, wie in der interessanten Berücksichtigung des einstmaligen Kreuz- oder Lettneraltares des Schleswiger Doms (der sog. Kielmannsecksche-Altar) im Kontext der Analyse des Gottorfer Pendants. Schon aus diesen wenigen Exempeln der Argumentationsweise wird klar, dass hier ganz bestimmt kein simples Durchziehen durch ein bestimmtes Phänomen und ebenso bestimmt kein stupides Nachexerzieren vorgefasster, im schlimmsten Falle akademischen Schulen oder gar Modeerscheinungen verpflichteter Ideenkonstrukte vorliegt. Neuere Richtungen der Historiographie, wie Konfessionalisierungsmodell und fürstliche Repräsentanz werden zwar aufgegriffen, dominieren aber niemals die Ausführungen.

Nein, in nahezu exemplarischer Überschneidung der verschiedensten disziplinären Ansätze gelingt es dem Autor nicht zuletzt aufgrund seines enormen Wissens und seiner hohen Analysefähigkeit ein eigenständiges Werk vorzulegen, dessen Innovationsgehalt darin liegt, dass hier ein Beispiel jener Interdisziplinarität erbracht wurde, das heute in so vieler Munde liegt, aber dennoch - zumal in dieser souveränen Stringenz und Kompetenz - so selten anzutreffen ist.

Unterstützt und würdig begleitet werden diese Qualitätsmerkmale durch eine nicht minder exemplarische verlegerische Aufbereitung, bei der vor allem die exzellente Qualität der in reichem Maße begleitenden photographischen Dokumentation ebenso wie der sprechenden Rekonstruktionszeichnungen sowie auch das angenehm lesbare Druckbild hervorgehoben seien. Dass schließlich im Textsatz sogar die Quellenzitate farbig abgesetzt sind, grenzt schon fast an editorischen Luxus und lässt umso mehr erstaunen und begrüßen, den Ladenpreis noch im zweistelligen Bereich zu sehen. Dies und ihre erwähnten Meriten sollten dem Werk den Leserkreis eröffnen, den es zweifellos verdient.

War der erste Band dieses Panoptikums einer auch geographisch weitgespannten Publikation gewidmet, so stellt dessen zweite genau die Inversion hierzu da. Der von Harald Buchinger und Sabine Reichert herausgegebene Sammelband konzentriert sich "lediglich" auf die Reichsstadt Regensburg der Vormoderne, näherhin auf den Gottesdienst in deren - so der Titel - öffentlichen Institutionen. Auch hier mag der eher allgemein interessierte Leser vielleicht zunächst davon abgeschreckt sein, einen zu spezifischen geistigen Raum von deutlich beschränktem Aussagepotential präsentiert zu erhalten. Doch auch hier belehrt das Inhaltsverzeichnis schnell eines Besseren: der Betrachtungsbogen spannt sich von kirchenmusikalischen Traditionen über internationale hagiographische wie liturgiehistorische Aspekte hin zu konfessioneller Kulturgeschichte und schließlich monarchischem Zeremoniell. Selbstredend ist hier weder Ort noch Platz oder Umfang gegeben, diesen über fünfhundertseitigen Band in allen Details zu würdigen. Beschränken wir uns daher auf einige wenige Einblicke sowie auf durchgehend zu konstatierende Punkte.

Reichsstädte und ihr Leben stehen nicht erst seit einem erneuerten Interesse an der Stadtgeschichte allgemein im Blickfeld der Forschung. Schon das 19. und frühe 20. Jahrhundert hatten etwa im kultur- wie konfessionsgeschichtlichen Rahmen oftmals auf Phänomene der vor- und frühneuzeitlichen Stadtkultur verwiesen. Diese nun erfährt hier anhand der vorstehend näher bezeichneten ausgewählten Fallbeispiele eine in dieser Art seltene Eindringlichkeit und Aussagekraft, welche ihrerseits geeignet sind, das facettenreiche Bild des alten Regensburgs zu ergänzen und zu erleuchten. Zum einen wird klar, wie stark als lokal-städtisch wahrgenommene Phänomene in übergeordnete Zusammenhänge und Traditionslinien eingebunden sind und bleiben, dies sowohl in topographischer wie chronologisch-epochaler Hinsicht. Europaweite Verbindungslinien und Kulturtransfers werden anhand vorgeblich unscheinbarer liturgischer Gebräuche und Texte nachgewiesen, Heilige als Referenzgestalten übernationaler Bedeutung erkannt und Elemente vermeintlich neuer, da reform-konfessioneller Praxis', einem wesentlich älteren Hintergrund zugeordnet. Auf Grundlage dieser Einzelergebnisse übersteigt das Ergebnis der Gesamtlektüre schließlich das angesprochene lokale Panorama eindeutig, das Exempel wird zum Anlass, Generelles zu betrachten und liebgewonnene Etiketten zu hinterfragen. Dies gilt ausdrücklich für alle Beiträge dieses Werkes, nicht nur jene, welche schon im Titel eine größere Ansatzbreite erkennen lassen.

Auch hier findet sich eine überzeugende Präsentation inhaltlicher Positiva durch verlegerische Begleitung: die Bilder, wiewohl deutlich bescheidener in Format und Fülle als im ersten Falle, dienen nicht nur der Textbegleitung, sondern deren Untermauerung, Skizzen und Tabellen sind gut lesbar in das wiederum der Lektüre entgegenkommende Satzbild eingefügt; der Preis des Softcover-Bandes liegt vernünftig im Bereich des Erschwinglichen.

Gleiches kann, um mit diesem Aspekt zu beginnen, auch vom letzten der hier besprochenen Bücher gesagt werden, dem schönen, von der Johann-Michael-Fischer-Gesellschaft herausgegebenen Sammelwerk über die St. Michaelskirche sowie die Josephsburg im heutigen Münchener Stadtteil Berg am Laim.

Neben den vielen Attraktionen der bayerischen Landeshauptstadt einerseits sowie den ebenfalls nicht geringen Zeugnissen Kurkölner Kulturtätigkeit während des Ancien Régime andererseits gerät die Schnittmenge dieser beiden Sphären, die beiden Schöpfungen des bayerisch-wittelsbachischen kurfürstlichen Erzbischofspaares von Onkel und Neffe, Joseph Clemens sowie Clemens August von Bayern etwas in den Hintergrund. Im 17. und 18. Jahrhundert vor den Toren der Residenzstadt errichtet, bilden sie bis heute Denkmale eines weitgehend vergessenen fürstlichen Kults zu Ehren des Hl. Erzengels Michael. Diesem selbst, einstmals als Reichspatron von Frankreich und Deutschem Reich verehrt, galt in den vergangenen Jahrzehnten kaum die Aufmerksamkeit wissenschaftlicher Neugierde, weder für die Kirchen- noch für die Frömmigkeitsgeschichte oder Volkskunde. Von daher übersteigt das im Umfang überschaubare Werk deutlich den darin schwerpunktmäßig behandelten kunstgeschichtlich-architektonischen Gesichtspunkt, und wir wollen uns auf die allgemein-historischen Belange begrenzen. Diese kommen vor allem im ersten Textbeitrag aus der Feder von Christl Knauer-Nothaft zum Tragen, die bereits 2006 eine Ortsgeschichte von Berg am Laim mit vorgelegt hatte. [1] Nun aber geht es nicht mehr um lokalhistorische Bezüge, sondern um die besagten Monumente einer fürstlichen Frömmigkeit, welche in der Hinterlassenschaft der beiden Kurfürsten fernab ihrer Territorien ihren Niederschlag fand. Schon diese räumliche Entfernung zu Köln belegt sprechend den von Knauer-Nothaft wiederholt betonten Umstand einer tatsächlichen, also fern jeder rein fürstlich-repräsentativ ausgerichteten Motivation. So bewahrte etwa Joseph Clemens dem himmlischen Engelsfürsten zeitlebens eine enge Verbundenheit, seine Erfolge bei den Bischofswahlen in Regensburg (1685) und zu Lüttich (1694) schrieb er dessen Eingreifen und Fürsprache zu. Diese Verehrung fand bis zu seinem Tode ihre Manifestation in der Ausgabe von einer Million (!) Gulden zu Förderung und Unterstützung der Michaelsverehrung. Natürlich hatte dies auch seine fürstlichen wie konfessionellen Komponenten: Michael war als oberster der Erzengel die himmlische Entsprechung des Fürsten auf Erden, gleichzeitig auch der seit dem späten 16. Jahrhundert der hagiographisch-ikonographische Inbegriff der katholischen Erneuerung, zuvorderst jener unter fürstlicher Ägide (man betrachte und bedenke nur die Münchener St. Michaels-Kirche mit ihrem diesbezüglich sprechenden Bildprogramm). Gleichsam als Amalgam dieser Tradition stiftete Joseph Clemens 1693 den Kurkölnischen Orden vom Heiligen Michael, der, zunächst auf der Bonner Godesburg beheimatet, 1755 in die Bonner Residenz verlegt wurde, deren in diesem Jahre fertiggestelltes Michaelstor mit bekrönender Statue noch heute die einstige Bestimmung erkennen lässt. Die Laimer Kirchen sind daher quasi die letzte und krönende Emanation einer vielschichtigen Kultkontinuität. Dies sprechend und in die vielfachen Kontexte eingebaut erstmals in einem gut aufbereiteten und bebilderten Band einem fachspezifisch interessierten wie breiterem Publikum vor Augen zu führen, ist das bleibende Verdienst des vorliegenden Bandes, der sich mit den beiden vorausgehend angezeigten die Eigenschaft teilt, in seiner inhaltlichen Signifikanz weit über den scheinbar eng gesteckten Sujetrahmen hinauszuweisen und so die bleibende Faszination des uralten Bezugsraums Fürst, Kunst und Kult wiederum neu zu erhellen, erweitern und ergänzen.


Anmerkung:

[1] Christl Knauer-Nothaft / Erich Kasberger: Berg am Laim - von den Siedlungsanfängen zum modernen Stadtteil Münchens, München 2006.

Josef Johannes Schmid