Rezension über:

Stiftung des Deutschen Historischen Museums (Hg.): Kaiser und Kalifen. Karl der Große und die Mächte am Mittelmeer um 800, Mainz: Philipp von Zabern 2014, 424 S., 250 Farbabb., ISBN 978-3-8053-4774-7, EUR 39,95
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Rezension von:
Oliver Salten
Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Jessika Nowak
Empfohlene Zitierweise:
Oliver Salten: Rezension von: Stiftung des Deutschen Historischen Museums (Hg.): Kaiser und Kalifen. Karl der Große und die Mächte am Mittelmeer um 800, Mainz: Philipp von Zabern 2014, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 12 [15.12.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/12/25001.html


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Stiftung des Deutschen Historischen Museums (Hg.): Kaiser und Kalifen

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Die 1200. Wiederkehr des Todestages Karls des Großen bietet in vielerlei Hinsicht Gelegenheit, das Wirken des fränkischen Herrschers unter Berücksichtigung neuerer Forschungsergebnisse zu betrachten Neben den im letzten Jahr erschienenen Biografien Johannes Frieds und Stefan Weinfurters [1] ist dabei insbesondere der hier zu besprechende Band zu nennen, der die Beiträge einer in Berlin im Februar 2013 abgehaltenen Tagung versammelt. Die insgesamt 25 Abhandlungen sind in vier Kategorien unterteilt, wobei bewusst auf einen interdisziplinären Zugang gesetzt wird und neben den Historikern auch Kunsthistoriker, Archäologen oder Byzantinisten ausführlich zu Wort kommen. Nachdem zunächst unter der Überschrift "Mächte am Mittelmeer" die einzelnen Akteure, nämlich Franken, Byzantiner, Juden, Päpste und Muslime, separat betrachtet werden, bietet die Kategorie "Begegnungen der Kulturen" eine Analyse verschiedener Berührungspunkte, die Einfluss auf die jeweiligen politischen, kulturellen oder wirtschaftlichen Praktiken gehabt haben dürften. Im Bereich "Kulturelle Praktiken" werden die Auswirkungen dieser Kontakte näher betrachtet, wobei vor allem Kunst, Architektur und Kunsthandwerk beleuchtet werden. Unter "Moderne Perspektiven" steht das Bild Karls des Großen nach seinem Tod im Vordergrund.

Das Grundthema der Tagung, Karls Verhältnis zum Mittelmeerraum, ist nicht neu. Seit der epochalen Arbeit von Henri Pirenne zu diesem Thema [2] ist die Frage, wie die politischen und wirtschaftlichen Veränderungen am Mittelmeer durch die Ausbreitung des Islams und deren Folgen zu interpretieren sind, immer wieder aufgeworfen worden. Michael Borgolte (16-23) wendet sich diesem Problem unter dem Gesichtspunkt der neuen Globalgeschichte erneut zu. Ist die zentrale Rolle der Muslime darin kaum zu hinterfragen, ist der Platz Karls des Großen bislang nicht gesichert gewesen. Beachtet man jedoch die Intensivierung des Fernhandels durch Karl und seine Unterstützung für im islamischen Machtbereich lebende Christen, zeigt sich, dass er in gewissem Rahmen durchaus gewillt war, in Beziehungen mit anderen Kulturen zu treten und eigene Grenzen zu überschreiten.

Dabei ist die Frage, was man zur Zeit Karls überhaupt unter einer Grenze zu verstehen hat, alles andere als eindeutig zu beantworten, wie der Beitrag von Stuart Airlie (214-229) exemplarisch verdeutlicht. Die Grenzverschiebungen, die Karls Eroberungspolitik folgten, bedeuteten im Endeffekt auch, dass sich durch den Verlust alter Abgrenzungen auch Wahrnehmung und Kontrolle des Raumes veränderten. Dies hatte u. a. Folgen für das "dauerhaft dialektische Verhältnis" von Grenzen und Zentrum. Während Schenkungen und Gesandtschaften die Macht des Herrschers nach innen demonstrieren sollten, waren die Verlagerung des Hofes und die Reisen, die Franken und fremde Gesandte dadurch zwangsläufig unternehmen mussten, ein geeignetes Mittel, allen die Neuausrichtung des fränkischen Raumes vor Augen zu führen, wie es etwa beim Empfang der arabischen Gesandtschaft 777 in Paderborn beabsichtigt war. Gefahr für das Reich bestand letztlich nicht mehr so sehr jenseits der Grenzen, sondern eher in den inneren Abgrenzungen, die sich im Zentrum des Reiches unter Ludwig dem Frommen zunehmend bildeten.

Die Neuformierung des Raumes drückte sich auch in der baulichen Tätigkeit aus, wie Holger Grewe (158-181) anhand neuester archäologischer Forschungen über die Pfalzen Ingelheim, Aachen und Paderborn und Matthias Wemhoff (116-129) in seiner Abhandlung über die Repräsentationsformen karolingischer Herrschaft in Sachsen darstellen. Dass die Karolinger aber nicht nur fremde Traditionen aufnahmen, sondern auch selbst in ihrer Herrschaftsarchitektur vorbildhaft wirkten, belegt Stefan Trinks (290-309) an erhaltenen Bauten der asturischen Königsstadt Oviedo.

Die Wirkungen von Abgrenzungsbestrebungen lassen sich dagegen vor allem am Beispiel des Verhältnisses Karls zum Papsttum sehr deutlich machen. Matthias Becher (50-61) unterstreicht, dass die Päpste nach dem Wegfall der oströmischen Herrschaft und dem Ende des langobardischen Königtums sehr viel Wert auf die Betonung ihrer Unabhängigkeit legten. Die vordergründige päpstlich-karolingische Partnerschaft litt vor allem unter der fehlenden Einhaltung der Zusagen Karls bezüglich der Restitution von Gebieten in Mittelitalien, wodurch die Franken zu Konkurrenten des Papstes um die Macht in diesem Gebiet geworden waren. Bereits kurz nach 800 bemühte sich Papst Leo III. darum, die kaiserlichen missi in ihrer Amtsführung zu behindern. Er und sein Nachfolger Stephan IV. waren schließlich in der Lage, nach dem Tode Karls ihre Stellung weiter zu behaupten, wobei die räumliche Distanz der Karolinger zu Rom diesem Unabhängigkeitsstreben sicherlich zugutekam. Bechers Ansichten korrespondieren in hervorragender Weise mit den Überlegungen Jan-Markus Kötters (76-85), der gerade für das 8. und 9. Jahrhundert eine "Renaissance" der gelasianischen Zweigewaltenlehre konstatiert. Dies geschah vor dem Hintergrund des päpstlichen Wunsches, "einer Gefahr der Entwicklung byzantinischer Verhältnisse zu entgehen".

Insgesamt bietet der vorliegende Band eine breite Auseinandersetzung mit den verschiedensten Themen, die an dieser Stelle keinesfalls in toto gewürdigt werden können. Der interdisziplinäre Zugang der Beiträge eröffnet jedoch so manchen neuen Gedanken und lässt das Bild einer mediterranen Kultur der gegenseitigen kulturellen Beeinflussung und Befruchtung aufkommen. Etwas bedauerlich ist vor diesem Hintergrund jedoch, dass al-Andalus kaum gewürdigt und das christliche Königreich Asturien nur in dem bereits erwähnten Beitrag von Stefan Trinks erwähnt werden, sind doch gerade hier die Berührungspunkte zwischen Christentum und Islam evident.

Die Kategorie "Moderne Perspektiven" sollte noch einmal gesondert betrachtet werden. Die Beiträge bieten einen sehr guten Überblick über die historische Wahrnehmung Karls. Insbesondere Bernhard Jussens Ausführungen zur Bild- und Mediengeschichte Karls des Großen in der Moderne (330-349), in der er u. a. auch Karls Darstellung auf Reklamesammelbildern des frühen 20. Jahrhunderts untersucht, sind überaus faszinierend. Dennoch stellt sich die Frage, ob in einem Band, der sich mit der Mittelmeerwelt um 800 befasst, der richtige Platz für diese Thematik ist. Immerhin weisen die dort geäußerten Gedanken auf eines hin: Nachdem Karl im 20. Jahrhundert lange als Vorbild für die europäische Einigung herhalten musste, sollte uns diese Instrumentalisierung davor warnen, ihm jetzt das Etikett eines Überwinders von Grenzen und interkulturellen Vermittlers anzuheften. Es würde wie üblich mehr über unsere Zeit aussagen als über Karl selbst.


Anmerkungen:

[1] Johannes Fried: Karl der Große. Gewalt und Glaube, Eine Biographie, München 2013; Stefan Weinfurter: Karl der Große. Der heilige Barbar, München 2013.

[2] Henri Pirenne: Mahomet et Charlemagne. Paris / Brüssel 1937.

Oliver Salten