Bernhard Blumenau: The United Nations and Terrorism. Germany, Multilateralism, and Antiterrorism Efforts in the 1970s, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2014, XIII + 290 S., ISBN 978-1-137-39196-4, GBP 60,00
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Ein bislang kaum beleuchtetes Kapitel in Sachen Antiterrormaßnahmen der 1970er Jahre steht im Fokus des hier zu besprechenden Bandes. In seiner gut lesbaren Studie zeichnet der deutsche Historiker Bernhard Blumenau [1] die Bemühungen um multilaterale Terrorismusbekämpfung im Rahmen der Vereinten Nationen (UN) nach [2], und zwar mit Bezug auf das Zustandekommen der Resolution 34/146, die am 17. Dezember 1979 von der UN-Generalversammlung nach dreijähriger Verhandlungsdauer angenommen wurde (1f.). Die darauf basierende Internationale Konvention gegen Geiselnahmen trat für die Bundesrepublik Deutschland am 3. Juni 1983 in Kraft. Die Vertragsstaaten vereinbarten darin, Geiselnahmen unter angemessene Strafdrohung zu stellen, bestimmte Aktivitäten auf ihrem Staatsgebiet zu verbieten, Informationen auszutauschen und Strafverfahren bzw. Auslieferungen durchzuführen.
Während der 1970er Jahre gelang es nur zweimal, internationale Antiterrorverträge abzuschließen - insofern bedeutete das Zustandekommen der Konvention gegen Geiselnahmen einen prestigeträchtigen Erfolg für die Bundesrepublik, die dieses Projekt konzipiert und vorangetrieben hatte (191f.). Bis zu diesem Zeitpunkt waren zahlreiche Bemühungen, die Bedrohung durch den Terrorismus auf der Ebene der UN anzugehen, gescheitert. Bestes Beispiel hierfür war das UN Ad Hoc Committee on International Terrorism, das nach der Geiselnahme bei den Olympischen Spielen in München Ende 1972 ins Leben gerufen worden war. Zwar stellte dieses Komitee der Generalversammlung sicher, dass Terrorismus auf der Agenda der UN blieb. Darüber hinaus blockierten es aber interne Unstimmigkeiten, denn - das streicht Blumenau zentral heraus - der Antiterrorkampf war ein diplomatisches "Schlachtfeld" im Rahmen des alles überlagernden Kalten Kriegs (90ff.).
Ost und West konnten sich auf keinen verbindlichen Terrorismusbegriff verständigen. Die von der Sowjetunion unterstützten Staaten der "Dritten Welt" sperrten sich gegen Maßnahmen, die aus ihrer Sicht eine Diskriminierung legitimer "Befreiungsbewegungen" darstellten bzw. dazu dienen konnten, westliche Interventionen zu rechtfertigen. Im Westen wiederum interpretierte man das Unterstreichen des Selbstbestimmungsrechts und der Legitimität antikolonialer Befreiungskämpfe mitunter als Rechtfertigung von Terrorismus. Lediglich 1973 hatte man sich rasch auf das Übereinkommen über die Verhütung, Verfolgung und Bestrafung von Straftaten gegen völkerrechtlich geschützte Personen einschließlich Diplomaten einigen können - nachdem seit Anfang der 1970er Jahre vermehrt diplomatisches Personal Opfer von Terroranschlägen geworden war (104ff.). Ereignisse wie der Überfall auf die OPEC-Ministerkonferenz in Wien 1975, wo arabische Erdölminister als Geiseln genommen wurden, eröffneten zusätzlichen Handlungsspielraum für multilaterale Antiterrorzusammenarbeit (58 f.). So startete die Bundesrepublik ihre Initiative zu einer Konvention gegen Geiselnahmen Anfang 1976 primär unter einem humanitären Gesichtspunkt. Man strich heraus, dass sich die Maßnahme nicht gegen einzelne Staaten richte, sondern dass alle gleichermaßen profitieren würden (145). Die Annahme durch die Generalversammlung wurde schließlich dadurch ermöglicht, dass der Entwurf in der Präambel auf das Selbstbestimmungsprinzip Bezug nahm und Geiselnahmen in bewaffneten Konflikten von der Konvention ausgenommen wurden (185).
Mitentscheidend für den Erfolg war zudem, dass vor allem arabische Staaten im Laufe des Verhandlungsprozesses ihre zunächst ablehnende Haltung revidierten. Laut Blumenau wollte beispielsweise Muammar al-Gaddafi seinen Ruf als Unterstützer des internationalen Terrorismus loswerden (187). Weiter ins Detail geht Blumenau an dieser Stelle nicht. Dass Libyen, das sich lange unnachgiebig gezeigt hatte, in der zweiten Jahreshälfte 1979 seine Haltung plötzlich änderte und einen Kompromiss unterstützte, dürfte auch damit zusammenhängen, dass die Bundesrepublik seit Anfang 1977 mit Gaddafis Regime im Bereich der Sicherheit kooperierte und etwa Ausbildungsmaßnahmen für libysche Sicherheitskräfte finanzierte. [3] Der Schwenk Libyens und anderer "radikaler" arabischer Staaten markierte jedenfalls keine Abkehr von der Unterstützung gewisser terroristischer Praktiken. Vielmehr ging es für diese Staaten darum, nicht ständig als Unterstützer des internationalen Terrorismus am Pranger der westlichen Öffentlichkeit zu stehen. [4] Am problematischsten war die Haltung der Sowjetunion, die noch bis kurz vor Abschluss der Verhandlungen versuchte, den Kompromiss zu sabotieren. Aber nachdem sie dafür keinen Rückhalt fand, entschloss sich die sowjetische Delegation der Konvention zuzustimmen (188).
In den kommenden Jahrzehnten sollten weitere Antiterrorverhandlungen folgen, die zu zahlreichen weiteren UN-Konventionen führten - an dieser Stelle seien das Übereinkommen über den physischen Schutz von Kernmaterial 1980, das Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt 1988 oder das Protokoll zur Bekämpfung widerrechtlicher Gewalthandlungen an internationalen zivilen Flughäfen 1988 genannt. Die UN blieb also dabei, Stück für Stück gegen den Terrorismus vorzugehen, wenngleich das Ziel, einmal eine umfassende Antiterrorkonvention zu verabschieden, nicht aufgegeben wurde (204). Den konkreten Nutzen eines solchen Dokuments schätzt Blumenau ohnedies gering ein, weil die realpolitischen Auffassungsunterschiede über Terrorismus hinter der Fassade der Einigkeit immer noch weiterbestünden: "This raises the question of whether such a convention is actually desirable and really useful. One could of course argue that it would have a strong symbolic value as it would set a clear sign that the international community at large is united against terrorism. But very obviously it is not." Darüber hinaus hängt die Effektivität von UN-Konventionen letztendlich vom Umsetzungswillen der einzelnen Staaten ab (204 f.).
Blumenau zeigt weiter auf, dass die großen Anstrengungen der Bundesrepublik um multilaterale Antiterrormaßnahmen auch der Entwicklung terroristischer Gewalt im eigenen Land geschuldet waren. Die OPEC-Geiselnahme und die Entführung eines Air-France-Flugs nach Entebbe 1976 zeigten, dass westdeutsche Terroristen zunehmend in internationale Terrorakte involviert waren. Dies verstärkte den Druck auf die Bundesrepublik, klar in Sachen Terrorismus Stellung zu beziehen. Die Entführung der "Landshut" auf dem Höhepunkt des "Deutschen Herbstes" 1977 und die erfolgreiche Befreiung der Geiseln etablierten das Land dann endgültig als führende antiterroristische Kraft (196 f.). Insofern stand hinter dem deutschen Bestreben nicht nur das ehrgeizige Bedürfnis, auf der Bühne der UN globalen Einfluss zu nehmen, sondern auch die Notwendigkeit, auf die zunehmende Internationalisierung des Terrorismus eine Antwort durch bessere zwischenstaatliche Kooperation zu finden. In den 1980er Jahren verschob sich das außenpolitische Interesse der Bundesrepublik auf die Wiedervereinigung und die Umwälzungen in Osteuropa. Multilaterale Terrorismusbekämpfung rückte in den Hintergrund; auch nach den Anschlägen des 11. September 2001 füllte die Bundesrepublik hier keine vergleichbare Leadership-Rolle mehr aus (207).
Unter dem Strich stellt Blumenaus aufschlussreiche Studie eine wichtige Ergänzung des Forschungsstands zum Terrorismus der 1970er Jahre dar. Hilfreich sind insbesondere die Überblicksdarstellung zur Genese terroristischer Gewalt in der Bundesrepublik bzw. die Fallstudien zu den wichtigsten Krisen der 1970er Jahre in diesem Zusammenhang. Vor allem aber streicht das Buch die in der Forschung und in der Öffentlichkeit oft zu wenig reflektierte Bedeutung der UN im Kampf gegen den Terrorismus heraus.
Anmerkungen:
[1] Siehe dazu auch Bernhard Blumenau: The United Nations and West Germany's efforts against international terrorism in the 1970s, in: Jussi M. Hanhimäki / Bernhard Blumenau (eds.): An International History of Terrorism. Western and non-Western experiences, London 2013, 66-85; ders.: The Other Battleground of the Cold War. The UN and the Struggle against International Terrorism in the 1970s, in: Journal of Cold War Studies, Vol. 16, No. 1, Winter 2014, 61-84; ders.: Einsam oder doch gemeinsam? Bundesdeutsche und westeuropäische Anti-Terrorismus-Politik in den Vereinten Nationen, in: Johannes Hürter (Hg.): Terrorismusbekämpfung in Westeuropa. Demokratie und Sicherheit in den 1970er und 1980er Jahren, Berlin / München / Boston 2015, 239-258.
[2] Zum Thema Vereinte Nationen und Terrorismus siehe auch Jane Boulden / Thomas G. Weiss (eds.): Terrorism and the UN: Before and After September 11, Bloomington 2004; Katja Samuel: The OIC, the UN, and Counter-Terrorism Law-Making: Conflicting or Cooperative Legal Orders?, Oxford 2013; Victor D. Comras: Flawed Diplomacy: The United Nations & the War on Terrorism, Washington 2010.
[3] Tim Szatkowski: Gaddafis Libyen und die Bundesrepublik Deutschland 1969 bis 1982, München 2013, 58-62.
[4] Ebd., 60.
Thomas Riegler