Valentine Lomellini: The Italian State and International Terrorism. The Lodo Moro (= Security, Conflict and Cooperation in the Contemporary World), Cham: Palgrave Macmillan 2024, x + 257 S., eBook, ISBN 978-3-031-43160-9, EUR 93,08
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Entgegen dem Diktum, dass man mit Terroristen nicht verhandelt, haben Regierungen immer wieder zu diskreter Diplomatie gegriffen, um Gewalt gegen ihre Bevölkerungen zu beenden oder sich Sicherheit zu verschaffen. Eines der bekanntesten Beispiele dafür ist Italien, das speziell in den 1970er und 1980er Jahre ein Hotspot des Terrorismus war. Bereits seit Ende der 1980er Jahre kursierten vor allem mediale Berichte, wonach man mit palästinensischen Gruppen einen Geheimpakt abgeschlossen habe: Bewegungsfreiheit für die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) in Italien im Gegenzug für Sicherheit vor weiteren Anschlägen. Weil dieser Deal dem christdemokratischen Premier- und Außenminister Aldo Moro zugeschrieben wurde, hieß es fortan "Lodo Moro". [1] Dazu hat die Historikerin Valentine Lomellini eine Monografie veröffentlicht, die sich auf akribische Quellenrecherche in italienischen und internationalen Archiven stützt.
Eine zentrale Erkenntnis ist, dass die Bezeichnung "Lodo Moro" irreführend ist: Zwar spielte Moro eine wichtige Rolle, aber es waren zahlreiche andere hohe Politiker sowie Schlüsselpersonal aus Justiz und Geheimdiensten involviert. Es habe sich um eine informelle Policy des italienischen Staats gehandelt, ein "Lodo Italia", so Lomellini. Gewählt wurde diese Vorgangsweise angesichts einer neuen Bedrohung: Ab Anfang der 1970er Jahre internationalisierten palästinensische Gruppen den Nahostkonflikt mittels Flugzeugentführungen und transnationalen Operationen. Westliche Staaten wie Italien waren mit dieser Herausforderung vielfach überfordert und suchten nach einem Ausweg.
Ein von Lomellini zitiertes Dokument von Ende Oktober 1973 belegt, dass der kolportierte geheime Dialog mit der PLO tatsächlich stattgefunden hat. Die Organisation machte es von der Freilassung von fünf inhaftierten arabischen Terroristen abhängig, künftig keine Anschläge mehr in Italien zu unternehmen. Für zusätzlichen Druck in dieser Angelegenheit sorgte am 17. Dezember 1973 ein schwerer Terrorakt auf dem römischen Flughafen Fiumicino mit 29 Todesopfern. Für dieses Massaker war eine palästinensische Splittergruppe verantwortlich, die von Libyen gefördert wurde. Als Reaktion darauf wurden Anfang 1974 die letzten drei in Haft verbliebenen Terroristen freigelassen.
Der Fiumicino-Anschlag zeigte, dass die PLO die Aktivitäten von Abweichlern nicht kontrollieren konnte. Diese wiederum wurden von Staaten wie Libyen und dem Irak finanziell beziehungsweise logistisch unterstützt und für eigene Zwecke instrumentalisiert. Um sich auch gegen diese Bedrohung abzusichern, verfolgte Italien Lomellini zufolge eine komplexe und facettenreiche Strategie. Man vertiefte ab 1974 die Kooperation mit Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi, was sich im Kontext der Ölkrise und des italienischen Strebens nach Stabilität im Mittelmeerraum sowohl ökonomisch als auch geopolitisch bezahlt machte. Im Gegenzug fand man eine gütliche Lösung, als 1976 drei Libyer verhaftet wurden, die einen Mordanschlag auf einen Gaddafi-Gegner vorbereitet hatten: Staatspräsident Giovanni Leone begnadigte sie.
Noch in den 1980er Jahren, als das "Lodo" infolge von Anschlägen der Abu-Nidal-Organisation (ANO) zusehends brüchig wurde, setzte Italien weiter auf den guten Draht zu Gaddafi. Obwohl dessen Verwicklung in Attentate offensichtlich war, stemmten sich die Regierungen Craxi und Andreotti gegen den harten Kurs, den die USA unter Ronald Reagan ab 1981 gegen Libyen einschlugen.
Wie auch Lomellini betont, war die italienische Vorgangsweise keineswegs ein Einzelfall: Schon 1970 soll ein Stillhalteabkommen zwischen der PLO und der Schweiz geschlossen worden sein. Frankreich verfolgte bis in die 1980er Jahre eine sogenannte Schutzhafendoktrin, die dem Land zumindest in den Jahren 1974 bis 1981 einen Waffenstillstand mit dem internationalen Terrorismus ermöglichte. Österreich gewährte der PLO im Gegenzug als erster westlicher Staat 1980 politische Anerkennung und förderte ähnlich wie Italien die Dialogbereitschaft des moderaten Flügels. Ebenso hofierte Bundeskanzler Bruno Kreisky Gaddafi und lud diesen 1982 zu einem Staatsbesuch ein. Auch die Bundesrepublik Deutschland suchte in den Jahren nach dem Olympiaanschlag von 1972 nach Wegen, von weiterem Terror verschont zu bleiben. Später bemühte sich das Bundeskriminalamt um Unterstützung des PLO-Geheimdiensts bei der Fahndung nach deutschen Linksterroristen im Nahen Osten. Selbst die USA bekamen 1973 die Zusage, dass die PLO künftig keine Angriffe mehr auf US-Bürgerinnen und -Bürger unternehmen werde.
Solche informellen Deals funktionierten freilich nur gewisse Zeit. Der internationale Terrorismus wandelte sich in den 1980er Jahren. Mit Syrien und dem Iran traten neue Sponsoren auf den Plan, die sich der Hisbollah und der ANO bedienten. Gegen deren Aktivitäten boten die alten Abmachungen keinen Schutz mehr. Spätestens mit Ende des Kalten Kriegs und dem allmählichen Aufstieg des radikal-islamistischen Terrorismus begann überhaupt eine neue Phase, wo wieder das kategorische Nichtverhandeln beschworen wurde. Aber zuletzt hat das Doha-Abkommen 2020 zwischen der Trump-Regierung und den Taliban gezeigt, dass Regierungen weiterhin Schattendiplomatie anwenden, sofern Kompromissbereitschaft auf der Gegenseite vorhanden ist.
Der Preis dafür ist natürlich hoch. Lomellini hält fest, dass die Staatsraison das "Lodo" notwendig gemacht habe, aber gleichzeitig die Strafverfolgung von terroristischen Verbrechen untergrub. Ein weiterer negativer Aspekt kommt dagegen zu kurz, nämlich dass Stillhalteabkommen dazu führen, Terrorakte in anderen Ländern zu ermöglichen und zu fördern. Selbst die angestrebte Mäßigung der PLO kam zwischenzeitlich immer wieder ins Stocken, vor allem weil die Organisation weiterhin Anschläge in Israel beging und dessen Existenzrecht erst 1993 anerkannte.
Die Langzeitfolgen der Appeasement-Strategie müssen erst bewertet werden, so Lomellini. Ob und in wie weit auch der radikal-islamistische Terror des 21. Jahrhunderts Schlüsse aus dieser "Diplomatie des Terrors" (222) gezogen habe, sei eine offene Frage, die weiterer Forschung bedürfe.
Zusammengefasst handelt es sich bei "The Italian State and International Terrorism" um eine gut lesbare Studie, die einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der 1970er und 1980er Terrorjahre leistet. Das ist insbesondere ein Gewinn, weil gerade hinsichtlich der Betrachtung der italienischen Ereignisse im deutschsprachigen Raum Verschwörungstheorien und Verzerrungen immer noch eine große Rolle spielen.
Anmerkung:
[1] Vgl. Tobias Hof: The Lodo Moro: Italy and the Palestinian Liberation Organization, in: Terrorism, Vol. II: State Support in the West, Middle East and Latin America, ed. by Adrian Hänni / Thomas Riegler / Przemysław Gasztold, London 2020, 153-173.
Thomas Riegler