Bernhard Gißibl / Sabine Höhler / Patrick Kupper (eds.): Civilizing Nature. National Parks in Global Historical Perspective (= The Environment in History: International Perspectives; Vol. 1), New York / Oxford: Berghahn Books 2015, x + 294 S., ISBN 978-1-78238-908-8, GBP 22,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Christian Pfister (Hg.): Am Tag danach. Zur Bewältigung von Naturkatastrophen in der Schweiz 1500-2000, Bern: Paul Haupt 2002
Georg Menting: Die kurze Geschichte des Waldes. Plädoyer für eine drastische Kürzung der nacheiszeitlichen Waldgeschichte, Andernach: Mantis 2002
Hansjörg Küster: Am Anfang war das Korn. Eine andere Geschichte der Menschheit, München: C.H.Beck 2013
John Sheail: An Environmental History of Twentieth-Century Britain, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2002
Torsten Meyer / Marcus Popplow (Hgg.): Technik, Arbeit und Umwelt in der Geschichte. Günter Bayerl zum 60. Geburtstag, Münster: Waxmann 2006
Catherine Jolivette (ed.): British Art in the Nuclear Age, Aldershot: Ashgate 2014
Patrick Kupper / Irene Pallua: Energieregime in der Schweiz seit 1800. https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/45346.pdf, Bern: Bundesamt für Energie 2016
Frank Uekötter (Hg.): Ökologische Erinnerungsorte, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014
Bernhard Gißibl / Isabella Löhr (Hgg.): Bessere Welten. Kosmopolitismus in den Geschichtswissenschaften, Frankfurt/M.: Campus 2017
Patrick Kupper: Atomenergie und gespaltene Gesellschaft. Die Geschichte des gescheiterten Projektes Kernkraftwerk Kaiseraugust, Zürich: Chronos Verlag 2003
Patrick Kupper / Irene Pallua: Energieregime in der Schweiz seit 1800. https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/45346.pdf, Bern: Bundesamt für Energie 2016
Nationalpark und Internationalisierung der Umweltpolitik - zwei zeithistorische Phänomene, die auf den ersten Blick wenig gemein zu haben scheinen. Doch die Idee, bestimmte als schützenswert erachtete Gebiete zum nationalen Anliegen, zum staatlichen Aufgabengebiet zu erklären, ist ein globales Phänomen. Seinen Ursprung hatte diese Idee ohne Zweifel in den westlichen Industriestaaten, allen voran den USA. Mit dem 1872 eingerichteten Yellowstone-Nationalpark nahm das Konzept erstmals Gestalt an und traf in den folgenden Jahrzehnten weltweit auf Resonanz. Dennoch legten bisherige Studien ihren Fokus zumeist auf die nationale Ebene oder untersuchten in vergleichender Perspektive die Nationalparks einzelner Länder. Diesen Umstand zu beheben schickten sich die Herausgeber des vorliegenden Sammelbandes an. Ausgehend von einer 2008 abgehaltenen Tagung im DHI Washington [1] versuchen die hierin versammelten Autoren und Autorinnen, dem Phänomen Nationalpark auf die Spur zu kommen. Ziel des Bandes ist es zudem, mittels einer komparativ angelegten Globalgeschichte des Nationalparks einen Beitrag zur Geschichte internationaler Umwelt- und Naturschutzpolitik im 20. Jahrhundert zu leisten.
In ihrer Einleitung betonen Bernhard Gissibl, Sabine Höhler und Patrick Kupper die Unbestimmtheit des Begriffes Nationalpark. Ihnen geht es um die politischen Interessen, den kulturellen Kontext und die jeweiligen Vorstellungen von Natur, unter denen sich verschiedenste Akteure für den großflächigen Schutz ihrer natürlichen Umwelt einsetzten. Hierfür entwickeln die Herausgeber einen konzeptionellen Rahmen, an dem sich alle Beiträge orientieren. Der globale Erfolg des Nationalparks ruht demnach auf drei wesentlichen Treibkräften. Er entspringt dem Wunsch, Natur zu zivilisieren, zu territorialisieren und sie zu kategorisieren. Was bedeutet Wildnis und Ursprünglichkeit? Was ist Natur und wem gehört sie? Wie kann sie geschützt werden und vor was? All diese Fragen, das zeigen sämtliche Beiträge, fallen unmittelbar mit staatlichen Machtansprüchen zusammen. Gleichzeitig betonen die Autoren die solchen Fragen zugrundeliegenden Prozesse, die zum globalen Siegeszug der Nationalparkidee beitrugen: Modernisierung, Urbanisierung, Industrialisierung. Unmittelbare Folge dieser Prozesse war das Verschwinden vermeintlich ursprünglicher Natur in einer geografisch weitgehend erschlossenen Welt. All dies erforderte politische Antworten, zunächst auf regionaler sowie nationaler, schließlich auf globaler Ebene. Jedoch ist Umweltpolitik im ausgehenden 20. Jahrhundert nicht allein Aufgabe einer global governance, sondern erfordert ebenso den Nationalstaat, der Gebiete auf seinem eigenen Territorium als schützenswert erklärt und über die entsprechenden Mittel verfügt, Naturschutz tatsächlich durchzusetzen. Das sich intensivierende Zusammenspiel zwischen NGOs, Staaten, Wissenschaftlern und der lokalen Bevölkerung, zwischen lokaler, nationaler und internationaler Ebene lässt sich exemplarisch am Nationalpark aufzeigen.
Im Folgenden ist der Band systematisch-chronologisch angelegt. Thematischer Ausgangspunkt aller Aufsätze ist der 1872 eingerichtete Yellowstone-Nationalpark. Wenngleich nicht unbedingt als ein allseits angestrebter Archetyp für das Konzept Nationalpark betrachtet, so rekurrierten doch Naturschützer weltweit auf das amerikanische Modell - ob und wie sich dieses dann in den unterschiedlichsten politischen, soziokulturellen und geografischen Kontexten niederschlug, ist eine der stets wiederkehrenden Fragen dieses Sammelbandes. So waren der kanadische Banff- oder der neuseeländische Tongariro keineswegs bloße Adaptionen des amerikanischen Vorbilds (Melissa Harper und Richard White). Vielmehr gestaltete sich das grundsätzliche Leitbild eines staatlich organisierten Schutzgebietes in den entsprechenden lokalen Kontexten durchaus unterschiedlich und bisweilen konträr zu Yellowstone.
Hiervon ausgehend gliedert sich der Sammelband in drei große Themenblöcke. Mit dem ersten Teil "Parks and Empires" gehen die Autoren zum einen der Frage nach, welche Rolle das Konzept Nationalpark innerhalb (englisch-sprachiger) Siedlergesellschaften spielte. Deren Verhältnis zu ihrer natürlichen Umwelt in Bezug auf die Nationsbildung sowie indigenen Bevölkerungsgruppen steht hierbei im Fokus. Insbesondere die USA suchten über ihre natürliche Umwelt nationale Identität zu stiften aufgrund eines im Vergleich zu Europa fehlenden, über Jahrhunderte entstandenen kulturellen Erbes (Karen Jones). Zum anderen widmet sich der Abschnitt kolonialen Naturschutzprojekten in Afrika. Mittels kolonialer Macht vermochten sich - wie im Fall Frankreichs (Caroline Ford) - naturschutzorientierte Wissenschaftler mit ihrer Forderung nach einem strikten Naturschutz durchzusetzen. Dass es sich hierbei um einen wechselseitigen Prozess handelte, zeigt der Aufsatz von Bernhard Gissibl über die Einrichtung des ersten bundesdeutschen Nationalparks in Bayern. Der von Jeyamar Kathirithamby-Wells untersuchte Fall des malaysischen Taman Negara Nationalparks verdeutlicht zudem, dass es sich bei Nationalparks nicht ausschließlich um westliche Projekte handelte, sondern auch sich dekolonialisierende Staaten den Naturschutz als politisches Instrument für sich zu nutzen wussten.
Der zweite Abschnitt nimmt die Entstehung internationaler Naturschutznetzwerke in den Blick, die dann ab den 1960er-Jahren zunehmend an Relevanz gewannen. Anna-Katharina Wöbse untersucht hierbei die Rolle der UNO bei der Formulierung einer international anerkannten Definition von Nationalpark. Doch ging die internationale Vernetzung weit über die zwischenstaatliche Ebene hinaus. So zeigt Brad Martin auf, wie nordamerikanische Inuit-Gruppen begannen, sich grenzübergreifend zu vernetzen, um den naturschutzpolitischen Plänen der kanadischen Regierung Paroli zu bieten. Sie bewahrten sich das Recht auf traditionelle Formen der Jagd und des Handels mit Naturgütern. Sein Aufsatz verdeutlicht, wie indigene Bevölkerungsgruppen nicht nur Opfer territorialer staatlicher Machtansprüche waren, sondern sich gegen diese zur Wehr setzten und das Konzept Nationalpark in ihrem Sinne zu beeinflussten suchten.
Der dritte Abschnitt widmet sich sodann dem Verhältnis des Nationalstaates zu seiner natürlichen Umwelt. Vor allem die seit Mitte des 20. Jahrhunderts weltweit steigende Anzahl von Nationalparks zeigt, dass eine Internationalisierung der Umweltpolitik nicht mit dem Relevanzverlust des Nationalstaates gleichbedeutend war. Sich neu konstituierende, nicht-westliche Staaten wie Indien (Michael Lewis) oder Mexiko (Emily Waklid) übernahmen westliche Ideen, verliehen diesen aber einen je eigenen nationalen Anstrich.
Es liegt in der Natur der Sache global angelegter komparativer Studien, nicht alle Thematiken und Regionen behandeln zu können. Jedoch stellt sich die Frage, warum - mit Ausnahme Sloweniens zur Zeit der Sozialistischen Republik Jugoslawien (Carolin Firouzeh Roeder) - kein sozialistischer Staat Eingang in die Untersuchung gefunden hat. Welche Rolle spielten Nationalparks beispielsweise in der Sowjetunion oder China, deren politische Führungen vor allem seit den 1980er-Jahren ebenfalls begannen, Naturschutzgebiete auszuweisen? Dieses Defizit ist bedauerlich, da die Autoren sich selbst das Ziel setzten, dem globalen "Transfer einer Umweltidee" (2) im 20. Jahrhundert nachzuspüren. Dennoch beeindruckt der Sammelband durch eine stringente, überaus facettenreiche und vor allem spannend erzählte Geschichte eines der weltweit erfolgreichsten naturschutzpolitischen Instrumente. Deutlich zeigt sich: Die Zukunft umwelt- und naturschutzhistorischer Arbeiten liegt in einer komparativen Globalgeschichte, die den lokalen Spezifika und Akteuren genügend Raum gibt, ohne dabei die größeren Prozesse aus dem Blick zu verlieren.
Anmerkung:
[1] Anna-Katharina Wöbse: Tagungsbericht: Civilizing Nature: National Parks in Transnational Historical Perspective, 12.06.2008 - 14.06.2008 Washington, in: H-Soz-Kult, 08.08.2008, in: http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-2220
Martin Diebel