Paulina B. Lewicka: Food and Foodways of Medieval Cairenes. Aspects of Life in an Islamic Metropolis of the Eastern Mediterranean (= Islamic History and Civilization. Studies and Texts; Vol. 88), Leiden / Boston: Brill 2011, XXII + 626 S., ISBN 978-90-04-19472-4, EUR 189,00
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In der nahöstlichen Welt können wir bis zum Übergang von der Early zur Middle Islamic Period, also etwa bis zur Zeit des 12. Jahrhunderts zwei weitreichende Entwicklungen feststellen. Zum einen haben langfristig in vielen Regionen Änderungen in den landwirtschaftlichen Anbauformen zu einer größeren Produktvielfalt geführt, zum anderen konnten diese Waren durch die Etablierung eines von muslimischen Kaufleuten kontrollieren vormodernen globalen Handelsnetzwerkes von Südostasien bis Andalusien zirkulieren. Diese Transformationen haben letztlich vielerorts auch eine, wie Paulina Lewicka es nennt, "kulinarische Revolution" bewirkt. An dem Beispiel von al-Fustat bzw. Kairo kann überzeugend dargestellt werden, dass die meisten Speisen spätestens in der Ayyuidenzeit nicht mehr so hergestellt und zubereitet wurden wie noch während der Herrschaft der Fatimiden. Schließlich überdeckten beim Essen die Elemente, die man von anderen Kulturen übernommen hatte, die alten lokalen kulinarischen Traditionen. Indigene ägyptische Speisen mussten nun, wie Lewicka schreibt, mit einer Reihe von Produkten konkurrieren, die aus anderen Regionen kamen. Darunter befanden sich etwa maghrebinischer Kuskus, sizilianischer Käse, syro-palästinensische Früchte, Oliven und Pistazien, griechischer, katalanischer und provenzalischer Honig, andalusisches und tunesisches Olivenöl sowie Mandeln, getrocknete Früchte und alle möglichen Sorten von Nüssen aus Apulien, Kreta und Rhodos sowie italienischer und katalanischer Safran, orientalische Gewürze und Weizen aus Neapel, Sizilien und Zypern.
Dieser Prozess bildet den Ausgangspunkt für Paulina Lewickas höchst lesenswerte Studie über Speisen und Essgewohnheiten im mamlukenzeitlichen Kairo. Auf eine informative historische Einführung in die Geschichte und Gesellschaftsstruktur der ägyptischen Großstadt (1-22) folgt eine Übersicht über die zahlreichen von der Autorin für ihre Untersuchung herangezogenen Quellen (23-66). Das Material ist natürlich komplex und recht heterogen. So umfasst es neben den wenigen erhalten Kochbüchern eine Reihe von Handbüchern, die u.a. die Aufrechterhaltung der Marktordnung zum Gegenstand haben, Chroniken, Reiseberichte, Traktate zur rechten Ernährung, medizinische Abhandlungen sowie fiktionale Texte und adab-Werke.
Bevor es zu den Hauptkapiteln der Arbeit kommt, schärft die Autorin sinnvollerweise ihre Begriffe. Der Terminus "Essen" bezieht sich sowohl auf Esswaren wie auch auf die Speisekarte. Hiermit ist wiederum nicht allein eine Liste von Gerichten gemeint, sondern vielmehr "those sets of principles which guide the selection of aliments from the available totality." (2) Mit diesem Zugang möchte Lewicka versuchen, ein Profil dessen zu entwickeln, was die damalige Bevölkerung eines urbanen Zentrums tatsächlich gegessen hat. Andere ernährungswissenschaftliche Aspekte - wie beispielsweise der Nährwert der Lebensmittel oder der landwirtschaftlichen Produkte - werden hingegen nicht diskutiert. Was die "Essgewohnheiten" angeht, so bezieht sich dieser Begriff sowohl auf die Geschichte und Kultur der menschlichen Ernährung in einer bestimmten geographischen Region wie auch auf die Produktion, Beschaffung, Zubereitung und Einnahme von Essen, so wie sie eine Bevölkerung regional praktizierte. Darüber hinaus möchte Lewicka darunter zudem die kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Aspekte dieser Aktivitäten verstanden wissen.
Das vor diesem konzeptionellen Hintergrund verfasste Buch deckt ein breites Spektrum von Themen ab. Die Fragen, die dabei berührt werden, reichen von der Genese der lokalen kulinarischen Kultur über die verschiedenen alltäglichen Esspraktiken bis hin zu dem Profil der Speisekarte, inklusive aller Zutaten, Vorbereitungen und Kochtechniken. Ferner beschäftigt sich Lewicka noch mit den Gewohnheiten und Sitten, die mit der Idee des Essens zusammenhängen. Zu guter Letzt nimmt sie auch Fragen des rechten Benehmens bei Tisch und die dazugehörigen Regeln in den Blick.
Der erste große Abschnitt der Studie handelt, wie zu erwarten, von den Speisen (67-350). Hier erfahren wir viel Interessantes über die verschiedenen Kochkünste in den unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen. Ganz eindeutig beherrschte das Geschäft des in den Straßen an kleinen Küchen zubereiteten Essens die städtische Szene. Auf hilfreiche Informationen zum Prototyp des Kairener Kochs und Angaben zu den Konsumenten folgt ein langes Kapitel mit Details zu den für die Mahlzeiten verwendeten Ingredienzien und Produkten. Ausführlich bespricht die Autorin Getreidesorten (Hirse, Sorghum, Gerste, Reis und Weizen), Hühner und Eier, Fisch, Milchprodukte, Gemüse und Hülsenfrüchte, Obst, Nüsse und Samen, Aromastoffe und andere Zutaten. In dem nächsten Hauptkapitel geht es dann über die Performanz des Essens (350-456). Bezüglich des eigentlichen Ortes, an dem man das Mahl zu sich nahm, herrscht in der Sekundärliteratur Verwirrung. Viel zu häufig findet man Bezeichnungen wie "Tavernen", "Restaurants" oder "Gasthäuser", obgleich doch allen klar sein sollte, dass dies europäische Erscheinungen aus späteren Zeiten sind und nur falsche Vorstellungen erwecken. Das Gericht, das bei einer der zahllosen Straßenküchen der Stadt bestellt oder gekauft wurde, füllte man in der Regel in einen einfachen Topf oder in einen speziellen Speisebehälter. Dann brachten es Diener oder Kochjungen zu den Orten, an denen die Speisen zu sich genommen wurden. Diese Lokalitäten unterschieden sich natürlich je nach dem Status des Speisenden. Die Reichen aßen für gewöhnlich in ihren Villen, wohingegen Angehörige der mittleren Schicht und Arbeiter (einschließlich der verschiedenen Bediensteten und Amtleute, Ladenbesitzer und Handwerker, Aushilfen und Diener) zuhause, in ihren Läden oder einfach auf der Straße auf einem Stück Leder ihre Mahlzeiten zu sich nahmen. Eventuell ging man auch in die Moschee zum Essen, dass dies ein Raum darstellte, der allen gehörte und in dem man neben dem Gebet auch alle möglichen anderen Dinge erledigen konnte. Diese im Alltag gelebten Esspraktiken setzen sich stark von den in normativen Texten entworfenen Szenarien ab. Es existieren Knigge-Bücher, die detailliert auf die Etikette des Essens eingehen. Lewicka stellt uns einige davon vor, doch nur unter dem Vorbehalt, dass es sich hier eben in der Regel nicht um eine Widerspiegelung gängiger Gewohnheiten handelt. Der dritte und letzte Teil der Untersuchung hat schließlich Getränke zum Gegenstand. (457-550) Zunächst versorgt uns Lewicka mit vielen Informationen zu nicht-alkoholischen Getränken wie Wasser, ashriba (Sirup) oder fuqqa und aqsima (gegorene Flüssigkeiten). Sehr aufschlussreich sind die Erläuterungen zu den im mamlukenzeitlichen Kairo konsumierten Alkoholika. Neben den von den Mamluken selbst bevorzugten, aus der Heimat importierten Kumis, shashsh, bashtaki und timur bughawi tranken die Ägypter eher Bier und Wein. Der Konsum diese beiden alkoholischen Getränke ist, wie die Autorin zu Recht hervorhebt, Teil einer sehr langen und durchaus turbulenten Geschichte des Konfliktes zweier sehr unterschiedlichen kulturellen Einstellungen: auf der einen Seite steht das an europäische Traditionen anknüpfende mediterrane Ägypten, auf der anderen Seite das islamischen Sitten folgende muslimische Ägypten. Es brauchte Jahrhunderte, bevor die Kairener akzeptieren, dass Alkohol ein Getränk darstellt, das auf Gottes Geheiß hin verboten ist. Erst während der Mamlukenzeit hörte der Alkoholkonsum als eine Volksgewohnheit auf zu existieren.
Obgleich man sich am Ende des Buches noch eine systematische Zusammenfassung gewünscht hätte, handelt es sich bei Paulina Lewickas Abhandlung zu den Speisen und Essgewohnheiten im mamlukenzeitlichen Kairo um ein Grundlagenwerk ersten Ranges, das dieses Thema auf vorbildliche Weise erstmalig aufgearbeitet hat.
Stephan Conermann