Robert M. Citino: The Wehrmacht Retreats. Fighting a Lost War, 1943 (= Modern War Studies), Lawrence, KS: University Press of Kansas 2012, XXVIII + 410 S., 33 Abb., 15 Karten, ISBN 978-0-7006-1826-2, USD 34,95
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Robert M. Citino, Professor für Geschichte an der University of North Texas, hat bereits eine ganze Reihe von Büchern über deutsche Militärgeschichte vorgelegt. In seiner 2012 erschienenen Arbeit "The Wehrmacht Retreats" geht es ihm, wie er selbst schreibt, hauptsächlich um das deutsche Offizierskorps, seine Vorstellungen von militärischen Operationen, seine Sicht auf die preußisch-deutsche Militärgeschichte und seine Einschätzung der gegnerischen Armeen in der Phase der deutschen Rückzüge 1943.
Der Titel der Studie ist allerdings irreführend, und zwar sowohl von der zeitlichen Begrenzung als auch vom inhaltlichen Schwerpunkt. Denn Citino beginnt seine Darstellung mit der alliierten Landung in Französisch-Nordafrika im November 1942 und konzentriert sich dabei keineswegs nur auf die Wehrmacht. Vielmehr liegt der Schwerpunkt zunächst auf den US-Streitkräften, die damals ihren ersten Einsatz gegen deutsche Bodentruppen erlebten. Auch in den anderen Kapiteln, in denen es um die Kämpfe in Nordafrika oder Italien geht, liegt der Fokus immer auch auf den alliierten, vor allem den amerikanischen Streitkräften. Ein treffenderer Titel für das Buch wäre deshalb: U.S. Army and Wehrmacht in Battle, 1942-1943.
Laut Citino seien die Erfolge der deutschen Armee in dieser späten Phase des Krieges vornehmlich auf die Kombination von taktischer Verwegenheit seitens der Kommandeure und von intellektueller Leistung seitens der hochqualifizierten Stabsoffiziere zurückzuführen. Generalfeldmarschall Erich von Manstein, der seinerzeit als fähigster operativer Kopf der Wehrmacht galt, sei mit all seinen Stärken und Schwächen ein typisches Produkt deutscher Generalstabstradition gewesen. Außerdem sei die Wehrmacht ihren Gegnern durch ihre "Auftragstaktik" überlegen gewesen.
Dass die Deutschen gegen die Alliierten, etwa bei den Kämpfen in Nordafrika, letztlich doch scheiterten, habe, so Citino, hauptsächlich an der massiven artilleristischen Überlegenheit der Alliierten gelegen, außerdem an ihrer Luftüberlegenheit, an dem Fluss an Informationen, die der britische Geheimdienst durch die Entzifferung deutscher Funksprüche liefern konnte, und an den deutschen Nachschubschwierigkeiten. Zudem konnten sich die Deutschen nicht auf ihre Verbündeten verlassen: Schon bei den Kämpfen in Nordafrika ergaben sich zahlreiche Italiener, ohne vorher ernsthaft gekämpft zu haben. Auch bei der alliierten Landung auf Sizilien im Juli 1943 verweigerten die meisten italienischen Soldaten den Kampf. Als die Deutschen im September 1943 schließlich Italien besetzten und die italienische Armee entwaffneten, war ein Großteil davon bereits scheinbar spurlos verschwunden, was Citino als beispielloses Ereignis in der modernen Militärgeschichte bewertet (248).
Italien, so der Verfasser, sei für die deutsche Strategie im Sommer 1943 allerdings sekundär gewesen. Der Schwerpunkt habe auf der Ostfront gelegen. In drei seiner insgesamt sieben Kapitel nimmt Citino deshalb die Kämpfe an der Ostfront 1943 in den Blick. Erfreulicherweise beachtet er auch weniger bekannte Operationen wie die gescheiterte sowjetische Donez-Mius-Offensive im Juli/August 1943. Dabei kommt Citino zugute, dass er offensichtlich sehr gute deutsche Sprachkenntnisse besitzt, was bei englischsprachigen Autoren, die über die Wehrmacht schreiben, keineswegs selbstverständlich ist. Citino kennt zudem die wichtigsten Titel der englisch- und deutschsprachigen Forschungsliteratur und zieht beispielsweise immer wieder das vom ehemaligen Militärgeschichtlichen Forschungsamt herausgegebene Standardwerk "Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg" heran.
Als Hauptkritikpunkt an Citinos Studie muss man allerdings feststellen, dass sich der Verfasser sehr stark auf die Memoiren deutscher und alliierter Militärs stützt. Dies erstaunt insofern, als er den beschränkten Quellenwert der Memoirenliteratur auf mehreren Seiten selbst thematisiert (206-208). Obwohl der Verfasser im Literaturverzeichnis Forschungsbeiträge anführt, in denen fehlerhafte Darstellungen und Legenden widerlegt wurden, tradiert Citino solche weiter. Dies lässt sich am Beispiel der Schlacht bei Kursk im Sommer 1943 verdeutlichen: So stützt sich der Verfasser bei der Rekonstruktion einer entscheidenden Konferenz im Vorfeld des deutschen Angriffs auf Kursk ausschließlich auf die unzutreffenden Darstellungen in den Memoiren, obwohl das Protokoll der Konferenz sogar veröffentlicht vorliegt - und zwar in einem Buch, das Citino selbst in seinem Literaturverzeichnis aufführt. [1] Die Aussage, der Plan für die Offensive habe von Generalstabschef Kurt Zeitzler gestammt, ist ebenso falsch wie die Behauptung, Generaloberst Walter Model sei gegen die Offensive gewesen. Bei Kursk wurden bei weitem nicht alle Panzerdivisionen der Wehrmacht versammelt, und die Offensive wurde auch nicht wegen der alliierten Landung auf Sizilien abgebrochen. Es wäre wünschenswert, wenn Forschungsbeiträge, die solche Legenden widerlegt haben, sich nicht nur im Literaturverzeichnis wiederfänden, sondern auch tatsächlich rezipiert würden. [2]
Zahlreiche Abstecher in die Militärgeschichte verdeutlichen zwar Citinos profunde Kennerschaft, lenken aber immer wieder vom Hauptthema ab. Der Leser muss beispielsweise erst circa 60 Seiten (von 284 Textseiten) Rückblicke und Exkurse lesen, bevor der Autor zum eigentlichen Thema seiner Studie kommt. Außerdem hätte man sich weniger Beschreibung und mehr Analyse gewünscht. So fehlen etwa Gegenüberstellungen der Verluste in den beschriebenen Schlachten. Stattdessen stößt man zuweilen auf fragwürdige Vergleiche und Spekulationen, etwa Citinos Aussage, Friedrich II. von Preußen hätte keinen Krieg in Nordafrika geführt, und auch das Dritte Reich hätte es nicht tun sollen.
Citino resümiert, das Jahr 1942 sei das Todesjahr der Wehrmacht gewesen. Trotzdem sei die Moral der deutschen Soldaten auf dem Rückzug noch hoch gewesen. Die Wehrmacht habe allerdings einen verlorenen Krieg gekämpft, ohne Strategie und ohne Hoffnung. Auch hier fordert Citinos Arbeit zum Widerspruch heraus, war doch gerade der Faktor Hoffnung das, was die Wehrmacht und das deutsche Volk bis zum Schluss aufrecht hielt, sei es die Hoffnung auf "Wunderwaffen", die Hoffnung auf das Genie des "Führers" oder die Hoffnung auf den Zerfall der Anti-Hitler-Koalition.
Insgesamt hinterlässt Citinos Studie einen ambivalenten Eindruck. Sie erweckt einerseits in weiten Passagen den Anschein solider Kenntnis der Forschungsliteratur und weist den Autor als Kenner preußisch-deutscher Militärgeschichte aus. Andererseits ist es Citino nicht immer gelungen, seinem eigenen Anspruch gerecht zu werden und die neueren Erkenntnisse der Forschung in seine Studie einfließen zu lassen.
Anmerkungen:
[1] Marcel Stein: Field Marshal von Manstein. The Janus Head. A Portrait, Solihull 2007, 194-198.
[2] Roman Töppel: Legendenbildung in der Geschichtsschreibung - Die Schlacht bei Kursk, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 61 (2002), 369-401; ders.: Kursk - Mythen und Wirklichkeit einer Schlacht, in: VfZ 57 (2009), 349-384.
Roman Töppel