Doug Rossinow: The Reagan Era. A History of the 1980s, New York: Columbia University Press 2015, XII + 378 S., ISBN 978-0-231-16988-2, USD 35,00
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Francis H. Marlo: Planning Reagan's War. Conservative Strategists and America's Cold War Victory, Washington: Potomac Books 2012
Georg Schild: 1983. Das gefährlichste Jahr des Kalten Krieges, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2013
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Almuth Ebke: Britishness. Die Debatte über nationale Identität in Großbritannien, 1967 bis 2008, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2019
Caroline Elkins: Britain's Gulag. The Brutal End of Empire in Kenya, London: Random House 2005
Ausweislich diverser Umfragen gilt Ronald Reagan vielen Amerikanern als einer der größten US-Präsidenten des 20. Jahrhunderts. Jacob Burckhardt hat historische Größe in einer geläufigen Definition wie folgt umrissen: "Der große Mann ist ein solcher, ohne welchen die Welt uns unvollständig schiene, weil bestimmte große Leistungen nur durch ihn innerhalb seiner Zeit und Umgebung möglich waren und sonst undenkbar sind; er ist wesentlich verflochten in den großen Hauptstrom der Ursachen und Wirkungen." [1]
So sehr Burckhardts am Renaissancemenschen geschulter Blick das Außerordentliche des großen Individuums ins Visier nimmt, so wenig dürfen die Begleitumstände außer Acht gelassen werden, die das Handeln des Einzelnen grundieren. Doug Rossinow tut beides: Seine mit spitzer Feder verfasste Analyse der achtziger Jahre durchdringt the man and his times gleichermaßen. Ronald Reagan verströmte nach seinem Sieg über den glücklosen Jimmy Carter eine "aura of the winner" (9), der den Vereinigten Staaten seinen Stempel aufzudrücken vermochte, weil die Zeit für ihn reif war. Innenpolitisch verhalf er - gewissermaßen im pas de deux mit seiner britischen Seelenverwandten Margaret Thatcher - einem ungenierten Individualismus zum Durchbruch, der paradoxerweise auf konservative Traditionalisten ebenso anziehend wirkte auf von Carters Appellen zum Maßhalten verschreckte Hedonisten. Außenpolitisch verwischte Reagan rhetorisch erfolgreich die Blutspur, die vom Vietnamkrieg in die öffentliche Meinung der Vereinigten Staaten führte, und konnte so anfangs nicht nur im "Hinterhof" Lateinamerika fast nach Belieben walten, sondern auch mit einer Politik der Stärke die Sowjetunion im zweiten Kalten Krieg in die Knie zwingen.
Um seine innenpolitischen Reformen ins Werk zu setzen, musste Reagan den Fiskalbereich umpflügen. Die entsprechenden Maßnahmen arteten, so Rossinow, zu einem "bidding war of giveaways" (61) zugunsten der Reichen und Unternehmen aus. Die Deregulierung des Finanzsektors und eine stark regressive Steuergesetzgebung, die sich vor allem im Süden der USA großer Beliebtheit erfreuten, sollten die Entrepreneure zu vermehrten Investitionen animieren und gleichzeitig die unteren Schichten auf eine härtere Gangart einschwören. Reagan verabscheute einen aufgeblähten Regierungsapparat, der nach seinem Dafürhalten die Fleißigen bestrafte und den underdogs ein zu müheloses Auskommen bescherte. Die Extravaganz der Amtseinführung 1981 und Nancy Reagans Bereitschaft, bedenkenlos opulente Geschenke von wohlhabenden Gönnern zu akzeptieren, fügen sich für Rossinow zum Bild eines Vulgärdarwinismus, der kaum verhüllt einem Klassenkampf von oben das Wort redete. Derweil wurden die Vereinigten Staaten von einer massiven Deindustrialisierung erfasst, die insbesondere den rust belt zu einer von Bruce Springsteen elegisch memorierten "trauma zone" (99) degradierte. Der ohnehin nicht sonderlich ausgeprägte Gewerkschaftseinfluss wurde massiv zurückgedrängt, kapitalistische Maskottchen vom Schlage eines Donald Trump avancierten zu Ikonen der Popkultur, und Reagan selbst ließ es sich nicht nehmen, die sich häufenden Berichte über das Schicksal Arbeitsloser als Entertainment zu verunglimpfen. Die schillernde Welt der Mergers and Acquisitions hingegen boomte.
Zu den stärksten Passagen des mit essayistischer Verve komponierten Buchs zählt Rossinows Schilderung des hilflos anmutenden Umgangs Reagans mit der AIDS-Krise. Dem als great communicator in die Geschichte eingegangenen Präsidenten hatte es in diesem Kontext offenbar die Sprache verschlagen, denn seine Administration gefiel sich über Jahre hinweg darin, die Immunschwächekrankheit regelrecht totzuschweigen. Gerade homosexuelle Konservative mussten einen schier unerträglichen Spagat zwischen ihrer politischen Überzeugung und einer furchtbaren Anfechtungen ausgesetzten Privatsphäre vollziehen.
Als große Verlierer der achtziger Jahre sieht Rossinow auch die schwarze Bevölkerung. Reagan war der erste Präsident seit Andrew Johnson, der ein Bürgerrechtsgesetz mit einem Veto zu stoppen versuchte. Jegliche Form der affirmative action war ihm zuwider, während soziale Verwerfungen nicht selten ethnisch zugespitzt wurden. Andererseits hielt Reagan nichts von den nativistischen Zuckungen seiner Anhänger und setzte 1986 gegen den Widerstand vieler Republikaner die bis dato größte Amnestie für illegale Einwanderer durch. Eine Art "low-wattage form of gentrification" (158) sorgte indes dafür, dass die neuen Immigranten Afro-Amerikaner zusätzlich marginalisierten. Allerdings stiegen viele schwarze Frauen in die Mittelschicht auf, und die heute ob rassistischer Praktiken an den Pranger gestellte Polizei bekam nach Jahren der Untätigkeit den Bandenkrieg in vielen innerstädtischen Problembezirken in den Griff.
Auf dem Terrain der Außenpolitik verschrieb sich Reagan dem Wiederaufstieg Amerikas zur einzigen Supermacht. Obwohl Carter die reale Stärke der Sowjetunion - die in Wahrheit eine eklatante Schwäche war - weitaus realistischer einschätzte als Reagan, gelang es dem Republikaner, die Öffentlichkeit auf eine kompromisslose Haltung gegenüber dem Systemrivalen zu verpflichten. Aus diesem Geist resultierte auch die Unterstützung für die rechtsgerichtete Regierung El Salvadors und für die nicaraguanischen Contra-Rebellen - oft wider besseres Wissen amerikanischer Emissäre, die vor Ort das Wüten militarisierter Todesschwadronen besichtigen konnten. Was Rossinow über die Nahostpolitik zu berichten weiß, klingt bedrückend nach einem Lagebericht aus dem Jahr 2015: Terroranschläge, diplomatisches Gerangel mit Teheran und Damaskus, hilfloses Lavieren ohne amerikanischen Masterplan. Durch die Iran-Contra-Affäre, die Reagan 1987 an den Abgrund eines Impeachment brachte, wurden die beiden Problemkreise Lateinamerika und Nahost auf bizarre Weise miteinander verknüpft. Seinen Hals aus der Schlinge ziehen konnte Reagan nur deshalb, weil er sich - sehr zu seinem Missfallen - auf das "narrative of zealous subordinates run amok" (208) einlassen musste. Während Oliver North, der Strippenzieher der Affäre, zum Helden rechtsgerichteter Kreise aufstieg, lebte Reagan, der die Wahl 1984 trotz magerer Zustimmungsraten haushoch gegen desolate Demokraten gewonnen hatte, fortan mit dem Makel, sein engstes sicherheitspolitisches Umfeld nicht unter Kontrolle zu haben. Tatsächlich handelte es sich um einen flagranten Verfassungsbruch.
Dass es Reagan gelang, gemeinsam mit Michail Gorbatschow den Ost-West-Konflikt zu beenden und dabei der Sowjetunion schmerzhafte Konzessionen abzuringen, ist Rossinow zufolge einer Kehrtwende des Präsidenten zu verdanken: Indem dieser sich entgegen seinem ursprünglichen Credo auf eine Parität in der atomaren Rüstung einließ, erreichte Reagan Stärke durch Frieden, denn am Ende verblieben die USA als alleinige Supermacht, während die Sowjetunion in die Geschichtsbücher entschwand. Rossinow kann freilich nicht umhin, diese Volte mit einer moralischen Lektion zu verbinden: Dass der sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse im Herbst 1989 die sowjetische Invasion Afghanistans als Verletzung internationalen Rechts geißelte, sei ein "far cry from anything any U.S. president ever said about the Vietnam War" (239) gewesen.
Rossinows Fazit ist eindeutig: Amerika wurde in den achtziger Jahren zu einer "winner-take-more society" (280). Das statistische Material zur Einkommensverteilung spreche Bände. Gleichzeitig sei das Hauptziel der Reagan'schen Angebotspolitik verpufft, nämlich einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen - im Gegenteil: Die Staatsverschuldung kletterte von 26 auf 43 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Und der Wahlkampf von Vizepräsident George Bush gegen seinen demokratischen Herausforderer Michael Dukakis 1988 sei nicht nur eine zynische "master class in demagoguery" (246) gewesen, sondern habe einen verschärften Kulturkampf eingeläutet, der auf das Fundament der achtziger Jahre bauen konnte. Kurzum: Reagan habe zwar eine in Bedrängnis geratene Nation mit neuem Selbstvertrauen in die eigene Macht ausgestattet, aber innenpolitisch die Unterstützung sozial Schwacher durch die Regierung nachhaltig delegitimiert. Daher sei Reagan kein großer Präsident gewesen.
Möglicherweise wäre Rossinows Verdikt gemäßigter ausgefallen, hätte er Burckhardts Verweis auf den "Hauptstrom der Ursachen und Wirkungen" berücksichtigt: Die Wendung gegen den Keynesianismus war in den achtziger Jahren kein rein angelsächsisches Phänomen. Bei aller Sympathie für die Notstandsgebiete der alten Schwerindustrie hätte Rossinow den ökonomisch wie demographisch prosperierenden Regionen des Sunbelt mehr Aufmerksamkeit schenken müssen, dem nicht von ungefähr alle zwischen 1964 und 2004 gewählten Präsidenten entstammten. Schließlich enthüllte nicht erst die Abstimmung mit den Füßen, mit der die Völker und Satelliten der Sowjetunion ab 1989 ihr Urteil über Lenins Reich fällten, das nach innen wie außen aggressive Antlitz eines Machtstaats ohne demokratische Kontrolle. Allerdings musste sich Reagan am Ende der zweiten Amtszeit die Frage gefallen lassen, weshalb seine Ausprägung des Konservatismus just jene gesellschaftlichen Zentrifugalkräfte beflügelte, die zu bekämpfen er 1981 angetreten war.
Anmerkung:
[1] Jacob Burckhardt: Weltgeschichtliche Betrachtungen. Geschichtliche Fragmente, Leipzig 1985, 200.
Gerhard Altmann