Jörg Osterloh / Harald Wixforth (Hgg.): Unternehmer und NS-Verbrechen. Wirtschaftseliten im "Dritten Reich" und in der Bundesrepublik Deutschland (= Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts; Bd. 23), Frankfurt/M.: Campus 2014, 413 S., ISBN 978-3-593-39979-9, EUR 34,90
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In den letzten 20 Jahren haben die Unternehmensforschung wie die Erforschung der wirtschaftlichen Existenzvernichtung der Juden einen großen Aufschwung genommen, ohne dabei immer voneinander Notiz zu nehmen. Den von Jörg Osterloh und Harald Wixforth herausgegebenen Sammelband zur Geschichte der Wirtschaftseliten im Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik Deutschland eröffnet daher ganz bewusst eine "Perspektive der Opfer", die nach den jüdischen Mitgliedern der deutschen Wirtschaftselite und deren Verfolgungsgeschichte am Beispiel Frankfurts fragt. Martin Münzel und Benno Nietzel geben in ihren Beiträgen konzise Antworten auf die virulenten Fragen nach der umfassenden Zerstörung deutsch-jüdischer bürgerlicher Existenzen durch die nationalsozialistische Verfolgung. Insgesamt wird in diesem Teil des Bandes sowie in dem Beitrag von Lars-Dieter Leisner zur Restitution von Umzugsgut klar, wie wichtig die Rückerstattungsakten für die Unternehmensforschung sein können. Etliche der Befunde lassen sich jedoch inzwischen in ausführlichen Monographien nachhaltiger studieren als in den hier vorgelegten Beiträgen, die auf einen Workshop mit dem etwas ungelenken Titel "Unternehmer während und nach dem Holocaust" zurückgehen, den das Fritz Bauer Institut bereits im November 2011 in Frankfurt/Main veranstaltet hat.
Der Band gliedert sich in vier Abschnitte. Neben der Perspektive der Opfer (I) bilden die Industrie (II), die Kreditwirtschaft (III) und "Neue Anstöße zur Vergangenheitsbewältigung" (IV) weitere Schwerpunktthemen. NS-Geschichte und Nachgeschichte werden eng verzahnt. So kommen beispielsweise bereits im II. Teil des Bandes die verschlungenen Wege zur Aufarbeitung der Geschichte und zur Anerkennung von Unrecht in den Fällen Degussa und Hoechst in den Blick. Auch die Beiträge von Christopher Kopper über Hjalmar Schacht sowie von Harald Wixforth über die Bankiers Hugo Ratzmann und Hermann Josef Abs fokussieren fast eher die Nach- als die NS-Geschichte.
Die Einleitung behandeln die Herausgeber nicht, wie das oft der Fall ist, als lästige Pflichtübung, sondern nutzen sie, um problemorientiert in die entscheidenden Fragen sowie den inzwischen erarbeiteten Forschungsstand einzuführen. Sehr nützlich ist auch die informative und abgewogene Vorstellung der einzelnen Beiträge mit deutlicher Betonung der jeweiligen Bezugnahme aufeinander. Unbedingt zu unterstreichen ist die Anregung von Osterloh/Wixforth, anhand der Entnazifizierungsakten der Spruchkammern zu weiteren Erkenntnissen, auch im Hinblick auf die von Unternehmern nach 1945 verwendeten Narrative, zu kommen.
Im vorliegenden Band zeigt allerdings der Beitrag von Christopher Kopper zu Hitlers Reichsbankpräsidenten und Wirtschaftsminister Hjalmar Schacht und dessen "Vergangenheitsbewältigung", wie problematisch die Entnazifizierungsverfahren verlaufen konnten, wenn zunächst die Mitglieder der zuständigen Spruchkammer ihrer Aufgabe, ein abgewogenes Urteil zu fällen, nicht gewachsen waren, und anschließend das Bestreben, die Entnazifizierung abzuschließen, zur Ausblendung aller belastenden Faktoren führte. Im Falle Schachts folgte auf die Sühne von acht Jahren Arbeitslager in der Berufungsinstanz die vollständige Entlastung - eine "juristische Farce", wie Kopper zu Recht anmerkt (266).
Am ehesten entbehrlich wäre Harald Wixforths Beitrag über den deutschen Bankmanager Hermann Josef Abs gewesen, der die Forschung bisher schon ausführlich beschäftigt hat. Die von Wixforth aufgeworfenen Fragen zu den immer noch bestehenden Unklarheiten und Desiderata sind zweifellos berechtigt, aber auch er greift bei der Beantwortung dieser Fragen zu einem entschiedenen Sowohl-als-auch.
Umso ergiebiger ist Wixforths Aufsatz über die "wechselvolle" Karriere des Bankiers Hugo Ratzmann, die er für beispielhaft für den "Werdegang gerade der jüngeren, noch nicht etablierten Bankiers im 'Dritten Reich'" hält (270f.). Ratzmann hatte nach dem deutschen Überfall auf Polen seinen Geschäftsführerposten bei der Privatbank Hardy & Co aufgegeben und war Leiter der Bankenaufsichtsstelle sowie Gauwirtschaftsberater im Warthegau geworden, später sogar Leiter der Haupttreuhandstelle Ost. Anschließend war er zu Hardy & Co. zurückgekehrt, wo er weiterhin wenig Skrupel zeigte, mit dem NS-Herrschafts- und Vernichtungsapparat zu kooperieren. Nach dem Krieg konnte Ratzmann trotz seiner Verstrickung in die Besatzungsherrschaft in Polen erstaunlich schnell wieder Fuß fassen und startete bereits 1949 als Leiter des Bankhauses Hermann Lampe KG zu seiner "zweiten Karriere" in der Finanzwelt. Wixforth hält fest: "Die Gloriole des kenntnisreichen und erfolgreichen Bankiers erstrahlte in immer hellerem Licht, die dunklen Seiten seiner Karriere wurden verdrängt und blieben ein Tabuthema." (296).
Insgesamt bietet der Band keine umstürzenden Neubewertungen des Verhältnisses von Unternehmern und nationalsozialistischem Regime; auch der Befund, dass nationalsozialistisch kontaminierte Unternehmer nach 1945 wirkungsvolle Netzwerke bilden und relativ schnell wieder Fuß fassen konnten, ist nicht neu. Dennoch machen die Beiträge mit einer Vielzahl wichtiger Forschungsansätze und -ergebnisse bekannt und zeigen gleichzeitig das Potential weiterer einschlägiger Tiefenbohrungen auf.
Jan Schleusener