Ralf Banken / Ben Wubs (eds.): The Rhine. A Transnational Economic History (= Wirtschafts- und Sozialgeschichte des modernen Europa/ Economic and Social History of Modern Europe; Vol. 4), Baden-Baden: NOMOS 2017, 383 S., ISBN 978-3-8487-4204-2, EUR 79,00
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Dieser Sammelband geht aus mehreren Tagungen hervor, die im Rahmen eines internationalen Forschungsprojekts zur Geschichte der Rheinökonomie (RHIN(e)) zwischen 2009 und 2016 veranstaltet wurden. Der internationale Charakter dieses Vorhabens lässt sich schon an der geographischen bzw. institutionellen Herkunft der BeiträgerInnen ablesen, die vor allem aus Deutschland und den Niederlanden, aber auch aus Frankreich und China herkommen. Hier geht es also um eine erste vorläufige Bestandsaufnahme, deren Ziel es ist, eine transnationale Wirtschaftsgeschichte des rheinischen Raums vorzulegen.
Dieser Sammelband zeichnet sich durch zwei lobenswerte Eigenschaften aus. Erstens nehmen seine Beiträge die räumliche Dimension der untersuchten Themen ernst. Damit wird von der neoklassischen Sichtweise Abschied genommen, die diese räumliche Dimension weitgehend vernachlässigt hat, worauf die beiden Herausgeber in ihrer anregenden Einleitung hinweisen (18). Zweitens erlaubt die Fokussierung auf den rheinischen Raum, grenzüberschreitende Prozesse in den Blick zu nehmen, was in einem nationalzentrierten Ansatz nicht möglich ist. Wie lässt sich nämlich der rheinische Raum ("Rhine region") definieren? Er umfasst das Flussnetz des Rheins im breiten Sinn (mit Einschluss seiner Nebenflüsse wie dem Neckar, dem Main, der Mosel oder der Maas) und dehnt sich von Rotterdam bis Basel. Zu Recht arbeiten R. Banken und B. Wubs heraus, dass der räumliche Umfang dieser "Rheinökonomie" aber keineswegs statisch ist: kann z.B. Franken als Bestandteil dieses Raums im 18. Jahrhundert angesehen werden, so gilt das nicht mehr ab dem 19. Jahrhundert, nachdem die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dieser Gegend und des rheinischen Raums an Bedeutung verloren haben.
Die räumliche Dimension der Rheinökonomie wird mit unterschiedlichen Maßstäben in den Blick genommen. Auf der städtischen Ebene untersucht Antoine Beyer die rheinischen Häfen, und zwar den Gegensatz zwischen ihrer traditionellen Rolle als Knoten der Schifffahrt und ihrer Umorientierung auf den Dienstsektor (Freizeit, Tourismus) und der Wahrung städtischer Funktionen. Auf der regionalen Ebene war der rheinische Raum durch intensive Wirtschaftsbeziehungen gekennzeichnet: Ralf Banken weist nach, dass die oberrheinischen Absatzmärkte zwischen 1850 und 1914 zum Aufschwung der Kohlenförderung im Saar- sowie im Ruhrgebiet maßgeblich beitrugen, und dass die damit verknüpften Handelsbeziehungen ein wichtiger Faktor der Industrialisierung des oberrheinischen Raums zwischen Mannheim und Basel gewesen sind. Schließlich wird der Rhein als überregionale und zugleich grenzüberschreitende Verkehrsachse untersucht: Jeroen Euwe belegt, dass der rheinische Raum ein zusammenhängender Wirtschaftsraum schon von dem ersten Weltkrieg war, wozu der Aufschwung des Eisenbahnverkehrs und der Schifffahrt wesentlich beitrug. Diese Kohäsion der Rheinökonomie lässt sich auch nach dem 1. Weltkrieg feststellen, insbesondere aufgrund der wachsenden Verflechtung der deutschen und niederländischen Volkswirtschaften.
Die transnationale Ausdehnung der Rheinökonomie gilt zuerst für Infrastrukturen, zum Beispiel für den Containerverkehr zwischen dem rheinischen Flussnetz und dem Rhein-Schelde-Delta, dessen Aufwärtsentwicklung seit den 1950er Jahren Theo Notteboom unter die Lupe nimmt. Transnational ist auch die Rheinökonomie in Hinblick auf Investitionen: Ben Wubs untersucht die räumlichen Strategien der niederländischen multinationalen Unternehmen in Deutschland zwischen dem 1. und dem 2. Weltkrieg und konstatiert allerdings einen Rückzug der Investitionen vom rheinischen Raum auf den deutschen nationalen Raum, wobei neben dem Rheinland Hamburg einen immer wichtigeren Platz einnahm. Diese transnationalen Wirtschaftsbeziehungen im rheinischen Raum beruhen auf einem günstigen institutionellen Rahmen, wie es die Zentralkommission für die Rheinschifffahrt zwischen 1815 und 1914 illustriert (Hein Kleemann): Einerseits wurde ihre Wirksamkeit durch die niederländisch-preußische Rivalität gehemmt, andererseits konnten aber eine Liberalisierung der Rheinschifffahrt und eine Erleichterung des Verkehrs auf und entlang dem Rhein erwirkt werden, als sich die Kräfteverhältnisse allmählich zugunsten Preußen verschoben. Dass diese transnationale Zusammenarbeit an ihre Grenzen stoßen kann, zeigt der Fall der Erdölleitungen zwischen dem Mittelmeer und der Nordsee (Marten Boon): Statt eines einheitlichen Netzwerks entstanden ein nördliches und ein südliches Pipelinesystem, was vor allem auf die Strategien der Filialen der Konzerne der Erdölsektors zurückgeht.
Die Beiträge dieses Sammelbandes untersuchen auch fünf wichtige Voraussetzungen der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung des rheinischen Raums. Die natürlichen Ressourcen (Kohlenvorkommen) wurden von Kartellen ausgenutzt, die sich ab dem späten 19. Jahrhundert als mächtige Wirtschaftsakteure erwiesen (Ralf Banken, Evamaria Roelevink/Dieter Ziegler, Boris Gehlen/Hendrik Fischer). Zweitens konnte die Rheingegend aufgrund eines verzweigten Flussnetzes und leistungsfähiger Infrastrukturen günstige Transportkosten aufweisen, die zum Beispiel zum Aufschwung des Handels der überseeischen Güter (Tabak und Kaffee) im 19. Jahrhundert beitrugen. Drittens ermöglichte der rheinische Raum, nicht zuletzt dank seiner Absatzmärkte (Ralf Banken) erhebliche Skaleneffekte: Für Boris Gehlen und Hendrik Fischer beruhte das Wachstum der deutschen Braunkohlenindustrie zwischen den 1880er und den 1930er Jahren auf der Ausbildung von Kartellen, die von der Nachfrage auf rheinischen fremden Märkten (Niederlanden, Schweiz) profitierten, bevor der deutsche Markt einen zentralen Platz einnahm. Dabei verfügten diese Kartelle über günstige politische und institutionelle Rahmenbedingungen: Von seiner Entstehung im Jahr 1893 bis 1945 war das Rheinisch-Westfälische Kohlen-Syndikat dem Staat gegenüber weitgehend selbständig und konnte seine Interessen dank eines intensiven Lobbyings häufig durchsetzen (Eva-Maria Roelevink und Dieter Ziegler). Schliesslich spielen immaterielle Ressourcen eine wichtige Rolle, sowohl im Finanzsektor (Christopher Kobrak), als auch für gewerbliche Unternehmen: Laura Rischbieter und Mark Jakob heben hervor, dass die immateriellen Standortvorteile (Kenntnis der Absatzmärkte, Geschäftsnetzwerke) ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhundert für die Tabak- und Kakffeeindustrie wichtiger als die Transportkosten wurden.
Ein großes Verdienst dieses Sammelbandes ist es schließlich, der Umwelt eine Sektion zu widmen. Uwe Lübken nimmt den Wandel des Rheins vom Fluss zum auf die Warenschifffahrt ausgerichteten Kanal und deren ungewollten Folgen (wie Überschwemmungen im späten 19. Jahrhundert) in den Blick und betont, dass der Naturschutz - insbesondere im Hinblick auf den Tourismus - ab dem 19. Jahrhundert neben der Kanalisierung des Flusses ein wichtiger Anliegen wurde. Schließlich hält Neil Disco fest, dass die Säuberung des Rheins ab den 1970er Jahren erfolgreich gewesen ist: Dies beruhte sowohl auf einer internationalen Zusammenarbeit als auch auf nationalen und regionalen Initiativen, wie es das Fallbeispiel der Firma BASF unter Beweis stellt.
Auf quellenbasierten Beiträgen beruhend, bietet dieser Sammelband einen umfassenden und sehr anregenden Überblick zur Geschichte der Rheinökonomie und erfüllt in einer durchaus überzeugenden Weise sein Ziel, diese Geschichte transnational zu profilieren und zu bearbeiten.
Guillaume Garner