Brigitte Halbmayr: Herbert Steiner. Auf vielen Wegen, über Grenzen hinweg. Eine politische Biographie (= Enzyklopädie des Wiener Wissens; Bd. III), Weitra: Verlag Bibliothek der Provinz 2015, 330 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-3-99028-519-0, EUR 25,00
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Die Textgattung 'Politische Biografie' ist ein zwar nicht boomendes, aber stetig bespieltes Genre der Historiografie. In Österreich sind es vor allem Politiker wie Bruno Kreisky, Christian Broda, Karl Renner oder Engelbert Dollfuß, die in den letzten Jahren porträtiert wurden. [1] Neben diesen Epigonen gerieten auch weniger prominente, nichtsdestotrotz zivilgesellschaftlich relevante Persönlichkeiten in den Blick, die quasi aus der zweiten Reihe heraus das politische Leben der Ersten und Zweiten Republik geprägt haben. 2012 legten etwa Brigitte Halbmayr und Katharina Stengel Biografien über Hermann Langbein vor, der durch sein Wirken als Zeitzeuge und Auschwitz-Chronist bekannt wurde. [2] Halbmayr hat nun eine politische Biografie über Herbert Steiner, den Gründer des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands (DÖW), verfasst. [3] Ähnlich wie schon in ihrem Buch über Langbein möchte Halbmayr im vorliegenden Werk "hinter geschichtsträchtigen Fakten, abstrakten Zahlen und nüchternen Aktenvermerken den Individuen" nachspüren, die diese "Einträge in die Annalen ermöglicht haben - weil sie eine Idee verfolgten, ihr Leben einer Aufgabe widmeten, sich aktiv in die Gestaltung von Politik und Gesellschaft einbrachten" (15). Dabei gilt es, so Halbmayr, individuelle Erlebnisse, Erfahrungen und Entscheidungen in ein gesellschaftspolitisches Umfeld einzubetten (17).
Brigitte Halbmayr schildert die wichtigsten biografischen Stationen in Herbert Steiners Leben in chronologischer Abfolge: Steiner wurde am 3. Februar 1923 in Wien als Sohn jüdischer Eltern geboren. Nach einer Kindheit, die von diversen sozialistischen Organisationen geprägt war, wirkte sich die im Februar 1934 bei vielen SozialistInnen auftretende "große Enttäuschung" (34) auch auf Steiners Werdegang aus, der 1937 in den Kommunistischen Jugendverband (KJV) eintrat. In den Reihen der kommunistischen Partei sollte Steiner seine politische Heimat finden: Im KJV stieg er bald auf und wurde 1938 politischer Leiter einer KJV-Zelle, im Sommer 1938 war er bereits für mehrere Zellen in seinem Heimatbezirk verantwortlich. Als Jude und Kommunist war Steiner allerdings doppelt gefährdet, sodass er die illegalen politischen Tätigkeiten bald einstellen musste und Mitte Dezember 1938 nach England flüchtete. Steiner führte seine politische Tätigkeit in England nach einer kurzzeitigen Internierung als "enemy alien" nicht nur fort, sondern intensivierte diese im Rahmen der bedeutenden österreichischen Exilorganisation "Young Austria" sogar noch.
Nach seiner Rückkehr nach Wien wurde Steiner Bundessekretär der am 16. Mai 1945 gegründeten Freien Österreichischen Jugend, de facto eine Jugend- und Nachwuchsorganisation der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ). Weitere Funktionen in der KPÖ folgten: Steiner war ab 1953 Bezirkssekretär der KPÖ Wien-Meidling, im Herbst 1958 übernahm er das Sekretariat der Historischen Kommission der KPÖ und somit realiter ihre Leitung. Diese Tätigkeit deutete, so Halbmayr, bereits Steiners späteren "Quereinstieg in die Wissenschaft" an (129). 1963 verfasste Steiner an der Karls-Universität in Prag seine Doktorarbeit zum Thema Arbeiterbewegung in Österreich 1867-1889; 1971 wurde sein Titel an der Wiener Universität nostrifiziert. 1982 erhielt Steiner schließlich die Lehrbefugnis für Neuere Geschichte seit dem 18. Jahrhundert mit besonderer Berücksichtigung der Arbeiterbewegung.
1957 gründete Steiner mit Rudolf Neck die Arbeitsgemeinschaft für Geschichte der Arbeiterbewegung, was 1964 zur Gründung der Internationalen Tagung der Historiker der Arbeiterbewegung führen sollte; Steiner war der langjährige Kassier. Wichtig war hierbei die von Steiner offensiv angestrebte Zusammenarbeit mit sozialdemokratischen HistorikerInnen. Bereits ein Jahr davor war das DÖW in Wien gegründet worden, Steiner sollte dieser Institution bis zu seiner Pensionierung 1983 als Leiter vorstehen. Schon in der Historischen Kommission der KPÖ war es Steiner ein Ziel, eine Sammlung von Dokumenten zum kommunistischen Widerstand anzulegen, eine Tätigkeit, die im DÖW auf alle österreichischen Widerstandsgruppen ausgedehnt wurde. Die Schwerpunkte des DÖW wurden maßgeblich von Steiner mitgeprägt und spiegelten, so Halbmayr, das Bestreben wider, "für das gesamte antifaschistische Österreich zu sprechen und dessen unterschiedliche politische Vorgeschichten gleichberechtigt nebeneinander gelten zu lassen" (172).
Diesen Versuch der Etablierung des DÖW als überparteiliche Institution nimmt Halbmayr auch zum Anlass, um problematischere Aspekte in Steiners Vita aufzuzeigen: Steiner, so Halbmayr, schwieg zu Konflikten, "zu denen durchaus eine Stellungnahme des DÖW-Leiters erwartet werden konnte" (178). Als Beispiel hierfür nennt Halbmayr den Kreisky-Peter-Wiesenthal-Konflikt 1975. Auch Steiners Verhältnis zur KPÖ wird von Halbmayr beleuchtet: "Nicht ohne die Partei, aber nicht in ihrer festen Umarmung" (241) bringt diese Steiners ideologische Haltung, die teilweise durchaus von Enttäuschungen geprägt war (136), auf eine griffige Formel. Dass Steiner der KPÖ dennoch bis zu seinem Tod treu blieb, führt sie zurück auf ein "hohes Maß an Loyalität gegenüber jener Bewegung, die ihm Halt in der Emigration gab, Bildung und Ausbildung ermöglichte, lange Zeit sein finanzielles Auskommen sicherte sowie zahlreiche Kontakte eröffnete" (245).
Halbmayr zeichnet Herbert Steiner als "Dokumentarist, Wegbereiter, Ermöglicher, Anstifter und Vermittler" (238) und mit Anton Pelinka als "Meister der politischen Strategie und Seiltänzer im Kalten Krieg" (246). Diese von durchaus spürbarer Sympathie für das Subjekt/Objekt der Untersuchung getragene Biografie beschäftigt sich einerseits mit der von den Brüchen des 20. Jahrhunderts gezeichneten Vita Steiners. Andererseits und darüber hinaus wirft Halbmayr aber auch einen wichtigen Blick auf die Entstehungsbedingungen des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands, einer Institution, die einen wesentlichen Beitrag zur Erforschung der NS-Zeit in Österreich geleistet hat.
Anmerkungen:
[1] Vgl. zum Beispiel: Lucile Dreidemy: Der Dollfuß-Mythos. Eine Biographie des Posthumen, Wien 2014; Elisabeth Röhrlich: Kreiskys Außenpolitik. Zwischen österreichischer Identität und internationalem Programm (= Zeitgeschichte im Kontext; Bd. 2), Göttingen 2009; Richard Saage: Der erste Präsident. Karl Renner - Eine politische Biografie, Wien 2016; Maria Wirth: Christian Broda. Eine politische Biografie, Göttingen 2011.
[2] Brigitte Halbmayr: Zeitlebens konsequent. Hermann Langbein. Eine politische Biografie, Wien 2012; Katharina Stengel: Hermann Langbein. Ein Auschwitz-Überlebender in den erinnerungspolitischen Konflikten der Nachkriegszeit (= Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts; Bd. 21), Frankfurt/M. 2012; vgl. Ina Markova: Zwei Biografien über Hermann Langbein (1912-1995) (Rezension), in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 2 [15.02.2014], URL: http://www.sehepunkte.de/2014/02/24286.html (abgerufen am 30.5.2016).
[3] Vgl. zur Gründung: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.): 40 Jahre Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes 1963-2003, Wien 2003; vgl. für Steiners Rolle: Winfried Garscha: Die verhinderte Re-Nazifizierung. Herbert Steiner und das Österreich des Herrn Karl, in: Herbert Arlt (Hg.): Erinnern und Vergessen als Denkprinzipien, St. Ingbert 2002, 27-44.
Ina Markova