Nancy J. Troy: The Afterlife of Piet Mondrian, Chicago: University of Chicago Press 2013, XII + 285 S., 22 Farb-, 65 s/w-Abb., ISBN 978-0-226-00869-1, USD 45,00
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Die Autorin kündigt eine Durchbrechung kunsthistorischer Standards an. Sie wolle das Nachleben Mondrians nicht so sehr im Sinne seiner Einflussnahme auf andere Künstler diskutieren, sondern vielmehr nachzeichnen, wie Künstler, Kunsthändler, Sammler, Konservatoren, Kuratoren und Kunsthistoriker seit dem Tod Mondrians die "Narrative" konstruiert hätten, mit deren Hilfe wir uns dem Werk näherten. Das Verständnis des Werks kann und soll durch diese Aufhellung der Rezeptionsgeschichte keineswegs objektiviert werden, denn, so postuliert sie, das Werkverständnis, auch ihr eigenes, sei immer notwendig subjektiv, zumal sie selbst als Mondrian-Forscherin Teil der Geschichte sei, die sie erzähle.
Das erste Kapitel "Mondrian and Money" widmet sich dem rautenförmigen Gemälde Victory Boogie-Woogie, das 1944 nach dem Tod des Künstlers unvollendet und übersät von kleinen bunten, teils nur lose befestigten Papierbandstücken auf der Staffelei im New Yorker Atelier des Künstlers zurückgeblieben war. Troy zeichnet nach, wie der fragile Zustand des Gemäldes und vor allem der damals völlig überhöhte Preis von 8000 $, für den es an seine erste Besitzerin Emily Tremaine verkauft wurde, unzulängliche, seinen Bestand verändernde Restaurierungsmaßnahmen und die Anfertigung dreier Kopien nach sich zogen, die nach Bedarf an Stelle des Originals ausgestellt werden konnten. Im Zentrum steht die Politik des Amsterdamer Stedelijk Museums, das mit dem Problem rang, Mondrians New Yorker Spätwerk nicht aus eigenem Besitz repräsentieren zu können. Troys Darstellung zufolge diente die früh einsetzende Massenproduktion von "Mondriana", von Gebrauchsobjekten im Mondrian-Design, die für den Verkauf im Museum bestimmt waren, der Kompensation. Hierdurch und schon durch Mode-Aufnahmen im Atelier des toten Künstlers im Juni 1944 sei ein Diffundieren der Grenzen von Hochkunst und Populärkultur herbeigeführt worden. Der 1998 schließlich erfolgte Kauf des Gemäldes für 40 Millionen $ gelang, so Troys Recherche, nur durch komplizierte, der Öffentlichkeit erst nachträglich mitgeteilte Transaktionen aus Mitteln der niederländischen Staatsbank, also aus öffentlichen Mitteln, was durch die politische Opposition beklagt wurde und nicht gerechtfertigt schien angesichts der Präferenzen der niederländischen Bevölkerung, die eher Rembrandt oder Vermeer galten. Paradoxerweise zog aber gerade die verausgabte Summe die Besucher ins Museum. Maßgeblich auch ihr Erscheinen als Warenästhetik - etwa über die L'Oreal Studio Line - ließ Vertrautheit mit der Kunst Mondrians entstehen.
Auch das zweite Kapitel "(Un)becoming Art" gilt Hinterlassenschaften des New Yorker Ateliers bzw. der Wohnung Mondrians, nämlich den dort verbliebenen Möbeln aus weiß gestrichenen Obstkisten, sowie den farbigen Rechtecken, die in variablen Abständen an den Atelierwänden befestigt waren. Troy führt aus, dass allein aus kommerziellen Gründen diese Einrichtungen des Ateliers zu Kunstwerken und damit Wertgegenständen erhoben wurden. Mondrians Erbe Harry Holtzmann hat dies eingeleitet, als er 1984 individuelle Zusammenstellungen der farbigen Rechtecke gerahmt und unter dem Titel "Wall Works" präsentierte sowie Mondrians Arbeitstisch und seinen (hockerförmigen) Stuhl wie Skulpturen auf einem Podest ausstellte. Troy führt nicht nur die Rolle einiger Ausstellungen in New York und Berlin an, die letztlich (wenn auch vergeblich) Verkaufszielen dienten. Sie verweist auch auf die Rolle der Fotografie und der kunsthistorischen Expertise für die notwendige Authentifizierung der Objekte. Hier kommt sie auf ihren eigenen Part zu sprechen: 2004 erfuhr Jason Holtzmann (der Sohn Harry Holtzmanns), dass die Möbel und die "Wallworks", die er Christies 1998 mit dem Ziel des Verkaufs übergeben hatte, verschwunden waren. Für die anstehende Klage auf 5,5 Millionen $ Schadenersatz ließ sich Troy als Autorin einspannen, um zur Legitimierung der Höhe der Klagesumme den Kunstcharakter des Ateliers und seiner Ausstattung zu beglaubigen, obwohl dies ihrer Auffassung als Mondrian-Forscherin widersprochen habe. Sie rechtfertigt dies durch die Bindung ihrer Zusage an das Entgegenkommen des Mondrian Estate bezüglich der Abbildungsrechte für ihr damals schon geplantes Buch (!), das in der Tat vorzüglich bebildert ist, was sich sonst, wie sie zurecht ausführt, kaum ein Autor angesichts horrender Gebühren mehr leisten kann. (Die Alternative, wie sie Rosalind Krauss für die deutsche Veröffentlichung von 'The Optical Unconscious' wählte, sechs ursprünglich vorhandene Mondrian-Abbildungen unter einer entsprechenden Erklärung sichtbar zu eliminieren, kam für sie wohl nicht in Frage.) Ihre Konklusion liegt darin, generell eine Marktabhängigkeit auch der wissenschaftlichen Arbeit zu diagnostizieren, wie sie am Beispiel von Michel Seuphor im 3. Kapitel ("Mondrian's legacy") weiter ausführt.
In ihrer Sichtung der vielbeforschten künstlerischen Rezeption Mondrians im 4. und letzten Kapitel ("The Mondrian Brand") setzt Troy neue Akzente durch eine Betonung der Rolle von Fritz Glarner, der als epigonaler Mondrian-Nachfolger dekorative Großaufträge bekam und noch zu Beginn der 1960er-Jahre weit anerkannter war als der ihn heute weit überragende Barnett Newman. Lichtenstein und Wesselmann sind für Troy nicht etwa Künstler, die die kommerzielle Ausbeutung der Avantgarde (T. J. Clark hat vom 'bösen Traum der Moderne' gesprochen) zum Thema ihrer 'Kunst über Kunst' gemacht haben. Vielmehr handelt es sich in ihrer Leseweise um Künstler, die alles Kommerzielle verehrten und die "Marke Mondrian" erst produziert hätten: Kurz nachdem Lichtenstein seine Mondrian-Paraphrasen Non-Objektive I und Non-Objective II (1964) geschaffen hatte, brachten die Springbook Editions das Victory Boogie Woogie - Puzzle heraus, hat Yves-Saint Laurent sein Mondrian-Kleid kreiert.
Troys Auswertung einer Fülle von Dokumenten (Briefen, wissenschaftlichen Arbeiten und Artikeln der populären Presse, Werbeanzeigen) erbringt eine streckenweise spannend zu lesende Beschreibung von Details der Verkaufs- und Ausstellungsgeschichte, der Verwertung von Mondrians Malerei und Architektur-Entwürfen für eine Vielzahl von Produkten. Die Studie deckt die prestige- und gewinnorientierte Handlungsweise des Mondrian Estate und des Stedelijk Museums auf, gibt Einblick in Abhängigkeitsverhältnisse und Animositäten. Sie führt den kaum bezweifelbaren Nachweis, dass der heute weithin unangefochtene illustre Status der Kunst Mondrians allein im Verein jener Interessenspolitik der Mondrian-Erben mit der warenproduzierenden Industrie, rangierend von der Massenproduktion der Kosmetik-, Mode- oder Spielehersteller bis hin zur Hotel-Architektur und der Haute-Couture, erreicht worden sei und nicht dem Verständnis und der Autorität des Werks selbst geschuldet ist.
Die Crux der Untersuchung liegt darin, dass Troy keine anderen Maßstäbe als eben die des kapitalistischen Betriebs und seiner in der Kunst gesuchten Verwertungsinteressen zur Geltung bringt, sondern sich selbst als Autorin lediglich in diese Mechanismen einbettet, dies als eine Einsicht ausgebend, aus der keine andere Konsequenz angeboten wird als die, diesen Mechanismen nun erst recht Folge zu leisten. Erkenntnis dessen, was ein künstlerisches Werk wie das Mondrians auszeichnet, waren und sind demnach nicht Telos seines wissenschaftlichen "Nachlebens". Im zweiten Teil ihres Buchs erweist sich Troy zunehmend geradezu als Anwältin der kulturindustriellen Indienstnahmen der Ästhetik Mondrians, indem sie seine eigenen gesamtkünstlerischen Perspektiven etwa auf die Architektur ins Spiel bringt.
Ihren zu Beginn formulierten hochgesteckten Zielen kann die Autorin nicht gerecht werden. Ihre Untersuchung stellt keinen Einspruch gegen die Standards der Kunstgeschichte dar; vielmehr bleibt sie dem traditionellen historistischen Anspruch treu, dass die geschichtlichen Quellen, in diesem Fall erweitert auf Kunstmarkt-Archivalien, für sich sprächen. Es gibt keine ästhetischen oder soziologischen Theorieansätze, die die ausgebreiteten Fakten einer präzisen Begrifflichkeit und Fragestellung zuordnen würden. Der dialektische Status des Kunstwerks zwischen Autonomie und gesellschaftlicher Bedingtheit wird ohne jede Diskussion zugunsten der letzteren Bestimmung verabschiedet, was den im Grunde autoritären Duktus solchen Pochens auf die alleinige Macht des Betriebs kenntlich macht, der als eine ahistorische Größe jeder Infragestellung entzogen scheint. Welche "Narrative" bezogen auf Mondrians Kunst gemeint und inwiefern sie von der Institution gemacht worden sind - dies zu ergründen war die ausdrücklich benannte Zielsetzung Troys - ist der Studie nicht zu entnehmen, denn es unterbleibt jede nähere Konturierung von Forschungspositionen. Das einzige, in Troys Bekenntnis ihrer eigenen Rolle als Agentin des Systems markierte Narrativ, die Idee des Ateliers als Kunstwerk, wird nicht als solches analysiert, sondern vielmehr affirmiert, letztlich auch durch die elaborierte Darstellung des Erfolgs, den die populäre Aneignung von Mondrians Kunst als Design gezeitigt hat.
Nimmt man die Studie als das was sie ad absurdum führt, nämlich als Ideologiekritik, lassen sich Überlegungen anschließen, die das Werk Mondrians durch seine verfälschende Nachgeschichte hindurch wieder in den Blick nehmen. Zum Beispiel liefert Troy mit ihrem Fokus auf die primäre Verwertung des New Yorker Ateliers indirekt Aufschluss darüber, warum in der Mondrian-Forschung fast unisono ein Loblied auf das Spätwerk, also Victory Boogie-Woogie als angeblichen Kulminationspunkt von Mondrians Schaffen, angestimmt worden ist, obwohl die Wiedereinführung der in den 20er-Jahren radikal außer Kraft gesetzten illusionistischen Bildräumlichkeit (Flickering) ebenso wie die gegenständlichen Anmutungen des Bildtitels, die dem Wunsch nach Identifikation eines Sujets entgegenkamen, diesem vom Künstler selbst konzipierten evolutionären Geschichtsmodell eklatant widersprechen. Die inhaltliche Auswertung des dargebotenen Materials zum Nachleben Mondrians bleibt also den kritischen Lesern überlassen.
Regine Prange