Bettina Braun: Princeps et episcopus. Studien zur Funktion und zum Selbstverständnis der nordwestdeutschen Fürstbischöfe nach dem Westfälischen Frieden (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abt. für Universalgeschichte; Bd. 230), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013, 464 S., 7 Grafiken, 13 Tab., ISBN 978-3-525-10121-6, EUR 79,99
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Sönke Lorenz / Andreas Meyer (Hgg.): Stift und Wirtschaft. Die Finanzierung geistlichen Lebens im Mittelalter, Ostfildern: Thorbecke 2007
Jan Turinski: Leichenpredigten und Trauerzeremoniell der geistlichen Kurfürsten. Studien zum Bischofsideal und zur Sepulkralkultur in der Germania Sacra zwischen Westfälischem Frieden und Säkularisation , Münster: Aschendorff 2023
Arthur Brunhart (Hg.): Herrschaft und Repräsentation. Dynastien, Prestige und Macht in Lichtenstein, 1400-1900, Zürich: Chronos Verlag 2021
Die Säkularisation der geistlichen Staaten und Herrschaften im Alten Reich bewirkte, als sie sich 2002 beziehungsweise 2003 zum zweihundertsten Mal jährte, zwar nicht die ansonsten übliche Flut von Erinnerungsliteratur, gab aber doch Anlass zu einigen Tagungen und Ausstellungen mit begleitenden und nachbereitenden Publikationen sowie zu ein paar Aufsätzen, die das speziell deutsche Phänomen geistlicher Herrschaft zumindest teilweise in einem neuen Licht erscheinen lassen. Weil aber - was der Ernsthaftigkeit allfälliger wissenschaftlicher Beschäftigung ja durchaus nicht schadet - die Sache ohne großes politisches Interesse ist, hat sich die Aufmerksamkeit für das Thema auch schon wieder großenteils gelegt.
Die anzuzeigende Mainzer Habilitationsschrift von 2007/08 gehört zu den durch das "Jubiläum" der Säkularisation angeregten Forschungen. Sie ist grundlegend. Indem sie die Zwitterstellung geistlicher Fürsten explizit thematisiert, zielt sie direkt in den Kern des das Mittelalter beherrschenden und spätestens seit der Reformation zunehmend kritisch beurteilten Phänomens geistlicher Herrschaft. Für Oberdeutschland fallen einem dazu vom späten Mittelalter bis in die frühe Neuzeit Gestalten wie Matthias Ramung (Speyer), Julius Echter von Mespelbrunn (Würzburg), die Brüder Franz Egon und Wilhelm Egon von Fürstenberg (Straßburg bzw. Köln) oder Lothar Franz von Schönborn (Bamberg und Mainz) ein. Die Autorin indes betrachtet die nordwestdeutschen Verhältnisse - Köln, Münster, Paderborn, Osnabrück und Hildesheim - zwischen dem Westfälischen Frieden und dem Ende des Alten Reiches, freilich nicht ohne gelegentliche, erhellende Seitenblicke in den Süden und in den Südosten.
Die Untersuchung gilt ausdrücklich der Persönlichkeit, dem Selbstverständnis der Fürstbischöfe und blendet die jeweiligen "staatlichen" Strukturen weitgehend aus. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen folgerichtig der geistliche Fürst und sein Agieren im Spannungsfeld verschiedener Pole, unter denen vor allem seine Funktion als geistlicher Oberhirte sowie seine Eigenschaften als Landesherr und Fürst des Reiches, nicht zuletzt aber auch als exponierter Angehöriger einer adligen Familie beziehungsweise eines aufgrund seiner Möglichkeiten profitierenden Familienverbands von Belang sind. Mithin geht es um ganz wesentliche Aspekte der Verfassungs- und Sozialgeschichte des Alten Reiches. Der erste und bei Weitem umfangreichste Teil der Arbeit widmet sich den "Bedingungen und Bindungen fürstbischöflicher Existenz und Herrschaft", des näheren dem Bischof, seinem Werdegang und seiner Familie, sowie dem geistlichen Amtsträger, seinem Verhältnis zur päpstlichen Kurie und seiner pastoralen Tätigkeit. Der sehr viel kleinere zweite Teil zeigt "Die Fürstbischöfe im Widerstreit der Rollen und Interessen", exemplifiziert an den Beispielen Christoph Bernhard von Galens (Münster, 1650-1678), Joseph Clemens von Bayerns (Köln, 1688-1723) und Clemens August von Bayerns (Köln, 1723-1761).
Die gewonnenen Erkenntnisse können hier nur ganz kursorisch referiert werden. Für fürstliche Häuser war die Positionierung ihrer nachgeborenen Agnaten als Bischöfe - nicht selten in jugendlichem Alter - ganz eindeutig Teil ihrer Machtpolitik. Aber auch für ritteradlige Geschlechter bedeutete die Aufnahme ihrer Söhne in dieses oder jenes Domkapitel, wie nicht zuletzt der Erfolg der zum rheinisch-fränkischen Stiftsadel gehörigen Familien zeigt, mitnichten allein materielle Versorgung, sondern diente darüber hinaus der Verdichtung bereits bestehender sozialer Netzwerke und eröffnete die Aussicht auf weiterführende Karrieren mit erheblichem Prestigegewinn und mancherlei Vorteilen durch die Patronage der Erfolgreichen.
Was indes das geistliche Amt betrifft, so entsprach in der Regel schon die Ausbildung der Bischöfe dem tridentinischen Ideal nicht; immerhin ließen drei Viertel der betrachteten Bischöfe sich nach ihrer Wahl binnen Jahresfrist weihen. Aber die geistliche Amtsführung ließ doch allenthalben zu wünschen. Der predigende Fürstbischof - Friedrich Karl Joseph von Erthal (Mainz, 1774-1802) - war eine höchst seltene Ausnahme; Synoden wurden nur ganz sporadisch veranstaltet und dienten zumeist der Proklamation allgemeiner Richtlinien; auch Visitationen führten frühneuzeitliche Bischöfe nur ausnahmsweise persönlich durch. Dass die Wahrnehmung entsprechender Aufgaben vielfach an Weihbischöfe und andere delegiert wurde, war in dieser Situation eine bare Notwendigkeit und besagt nichts über die persönliche Frömmigkeit dieses oder jenes Fürsten. Die Pflege der Beziehungen zur päpstlichen Kurie verfolgte in erster Linie politische Zwecke und entsprang allenfalls nachrangig geistlichen Motiven. Allerdings waren die diesbezüglichen Unterschiede zwischen Fürstbischöfen fürstlicher und ritteradliger Herkunft nicht gering. Erhellend wäre in diesen Kontexten ganz sicher auch noch ein Vergleich mit der Amtsführung gleichzeitiger Bischöfe außerhalb des Heiligen Römischen Reiches, denen der fürstliche Teil des Amts fehlte, die aber natürlich ebenfalls in familiären und verwandtschaftlichen Netzwerken verfangen waren.
Ist demnach das alte, vornehmlich von der preußisch-kleindeutsch-protestantischen Historiografie gepflegte Klischee von den "janusköpfigen" Fürstbischöfen, die ihr geistliches Amt vernachlässigten, also doch nicht so falsch? Abgesehen von der zeitlosen Tatsache, dass Frömmigkeit und ihre Intensität natürlich individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt sind, lässt sich das Problem vielleicht ganz einfach derart lösen, dass man den erkannten Phänomenen ihre eigenen, zeitgenössischen Maßstäbe zubilligt und sich anachronistischer, die Dinge verzerrender Urteile enthält. An zeitgenössischer Kritik gegenüber den geistlichen Staaten hat es ja nie gefehlt, im Lauf der Generationen nahm sie zu, und schließlich wurde die Existenz der geistlichen Herrschaften mittels eines dreisten, gewaltsamen Rechtsbruchs beendet. Hinterlassen aber haben uns die geistlichen Herren aller Ränge - zumal in Oberdeutschland - Kulturlandschaften von einem ungeheuren Reichtum, auf den heute wohl niemand ernstlich verzichten wollte. Nach den hier behandelten Verhältnissen in Nordwestdeutschland wäre es deshalb reizvoll, entsprechende Studien auch für Süddeutschland anzustellen, und vielversprechend erscheint es, wie bereits angedeutet, den Blick auch über die deutschen Grenzen hinaus schweifen zu lassen.
Kurt Andermann