Jakobus Kaffanke (Hg.): Heinrich Seuse - Bruder Amandus (= Heinrich-Seuse-Forum; Bd. 2), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2015, 222 S., 7 Abb., ISBN 978-3-643-12943-7, EUR 19,90
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Der zweite Band der Reihe des Heinrich-Seuse-Forums vereinigt fünf Beiträge, die nach Aussagen des Herausgebers Jakobus Kaffanke OSB die ganze Bandbreite der deutschen Mystik in den Blick nehmen. Davon sind drei dem Dominikaner Heinrich Seuse gewidmet, einer Meister Eckhart, ein weiterer dem schlesischen Dichter Angelus Silesius (1624-1677). Eingeleitet wird das Ganze mit einem Aufsatz von Katharina Oost zur mittelalterlichen Frauenfrömmigkeit. Den Abschluss bildet eine Betrachtung von Susanne Knoll zu einem aus Konstantinopel stammenden Elfenbeinpaneel des 10. Jahrhunderts, auf dem das Leiden der 40 Märtyrer von Sebaste dargestellt wird. Die einzelnen Aufsätze gehen zurück auf Vorträge, die die Autoren und Autorinnen zu verschiedenen Anlässen gehalten haben. Verbindendes Element ist die Auffassung, dass "Mystik hier verstanden [wird] als verschriftlichte Erfahrungen vom göttlichen, transzendenten Geheimnis" (Jakobus Kaffanke).
Mystik als Erfahrung des Göttlichen ist in der Moderne für viele Menschen ein spirituelles Anliegen. Ihnen möchte der vorliegende Band neue Zugänge zu den Schriften der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Mystiker öffnen. Gelungen ist dies insbesondere in den Beiträgen von Annegret Diethelm ("Speculieren über Farben in der Vita Heinrich Seuses") und Joachim Köhler ("Mystik und Poesie - Zugang zum mystischen Werk des Angelus Silesius <1624-1677>"). Diethelm beschäftigt sich in Weiterführung eines Aufsatzes von Andreas O. Vertes mit der Farbenwelt von Seuse. [1] Als ausgewiesene Kennerin der Ikonografie des Mystikers gelingt ihr der Nachweis, dass der Gebrauch der Farben in der 'Vita' der mittelalterlichen Farbenlehre entspricht, darüber hinaus aber auch eingesetzt wird, um den mystischen Weg Seuses zu veranschaulichen. Entscheidend ist dabei laut Diethelm die "Steigerung der Lichtqualität der Farben" die einhergeht mit einer zunehmenden "Entfernung von der Bildhaftigkeit".
Für Joachim Köhler wiederum vermag sich dem heutigen Menschen die Mystik des Angelus Silesius am ehesten aus der Perspektive seines dichterischen Werkes erschließen, denn darin spricht der Autor am unmittelbarsten von seinen Gotteserfahrungen, die zugleich auch als Ausdruck seiner persönlichen Lebenserfahrung als umstrittener und gefährdeter Theologe anzusehen sind. Dies gilt sowohl für seine Lieder wie für die Sinnsprüche des 'Cherubinischen Wandersmann'. Deshalb beschäftigt sich Köhler sehr eingehend mit dem geschichtlichen Kontext des Werkes und verleiht damit seiner Überzeugung Nachdruck, dass Mystik "keine weltfremde, abgehobene oder esoterische Geheimlehre [ist], sondern eine Form der Weltbegegnung, Welterfahrung, eine Möglichkeit, den Alltag zu bewältigen, sinnvoll zu gestalten, zu sich zu kommen, 'selbst' zu werden".
Um die Frage des heutigen Umgangs mit der Mystik geht es auch in den Beiträgen von Irmgard Rüsenberg und Katharina Oost. Während die Germanistin Rüsenberg ("Bilder einer anfangenden Seele. Innere Entwicklung in der 'Vita' Heinrich Seuses im Spiegel seiner Visionen") anhand der Visionen des 'Dieners' in der 'Vita' mithilfe psychoanalytischer Begrifflichkeit eine innere Entwicklung Seuses zu erkennen glaubt, macht die Psychoanalytikerin Oost mit einem Zitats aus dem 'Granum sinapis' ("'Sink al mîn icht in gotis nicht': Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis bei Meister Eckhart") auf den fundamentalen Unterschied zwischen der Lehre von der "Gelassenheit" bei Eckhart und dem modernen Anliegen der Selbstverwirklichung aufmerksam.
Jakobus Kaffanke schließlich nimmt die 2012 im Verlagshaus Gütersloh erschienene Neuausgabe der erstmals 1909 im Verlag Diederichs erschienenen 'Ekstatischen Visionen' von Martin Buber zum Anlass, um auf Bubers Interesse an Heinrich Seuse hinzuweisen. Dies ist an sich sehr verdienstvoll, denn Buber war einer der ersten, der Seuse in einem interreligiösen Kontext mit Texten von Vertretern anderer Religionen zu Wort kommen ließ. Kaffanke beschränkt sich jedoch auf wenige Auszüge der von Buber übersetzten Stücke und stellt ihnen lediglich die von Buber benutzten Stellen aus Bihlmeyers Ausgabe der deutschen Werke zur Seite. Die Kenntnis von Bubers Quellen verdankt er der CD der von David Groiser besorgten Werkausgabe, die er entgegen jeder wissenschaftlichen Gepflogenheit nur abgekürzt zitiert. [2] Verwirrung stiften auch die teilweise falschen Angaben der Kapitel, die inkonsequente Handhabung der Schrifttypen und die unverständlichen Kapitelüberschriften, wo die Texte Bubers als Übersetzungen einzelner Texte aus "Seuses Lebensbeschreibung von 1907" figurieren. Fraglich erscheint auch, ob man den Begriff 'Ekstase', der im Sinne Bubers das Hervorbrechen eines inneren Zustandes bezeichnet, mit dem dreistufigen Weg der 'via purgativa' bei Seuse in Verbindung bringen kann.
Der schmale Band vermag also nicht ganz die Erwartungen zu erfüllen, die der Titel "Heinrich Seuse - Bruder Amandus" verspricht. Dazu sind die Beiträge zu heterogen und zu zufällig zusammengestellt. Auch ist der noch jungen Reihe für die Zukunft mehr Klarheit über die wissenschaftliche Zielsetzung dieses neuen Forums der Seuse-Forschung zu wünschen.
Anmerkungen:
[1] Andreas O. Vertes: Gedanken über die Farben bei Heinrich Seuse, in: Heinrich Seuse. Studien zum 600. Todestag, hg. von Ephrem Filthaut OP, Köln 1966, 255-265.
[2] Martin Buber Werkausgabe. 2.2: Ekstatische Konfessionen, hg., eingeleitet und kommentiert von David Groiser, Gütersloh 2012.
Martina Wehrli-Johns