Thomas Lau: Die Kaiserin. Maria Theresia, Wien: Böhlau 2016, 440 S., ISBN 978-3-205-79421-9, EUR 29,99
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Während 2017 in Deutschland das 500. Jubiläum der Reformation mit Ausstellungen, Tagungen und Publikationen gefeiert wird, steht dieses Jahr in Österreich ganz im Zeichen des 300. Geburtstags Maria Theresias (1717-1780). In Österreich genießt die beliebte Habsburgerin bisweilen vergleichbare Mythisierung wie Kaiserin Elisabeth, genannt Sisi, und ist im Allgemeinwissen vor allem mit den Schlagworten Schulpflicht, Verwaltungsreform und Mütterlichkeit verbunden. So verwundert es nicht, dass in der historischen Forschung zuletzt das Bedürfnis dominierte, entsprechende Mythisierungsprozesse nachzuvollziehen und zu hinterfragen. [1] Und auch darüber hinaus ist das Jubiläumsjahr ein willkommener Anlass, Maria Theresia als Beispiel für weibliche Herrschaft in der Frühen Neuzeit zu betrachten. [2]
Den diesbezüglichen Anfang macht die im Herbst 2016 erschienene Biographie des deutschen Historikers Thomas Lau, der als Privatdozent Geschichte der Neuzeit an der Schweizer Université Fribourg lehrt. Auch wenn das Buch mit der Geburt beginnt und mit dem Tod endet, ist die Biographie keineswegs chronologisch aufgebaut, sondern thematisiert das Leben Maria Theresias anhand ihrer unterschiedlichen Rollen(-bilder), etwa als Erbin, Ehefrau, Kriegerin oder Reformerin. Mit 23 Jahren übernahm Maria Theresia im Oktober 1740 die Herrschaft in den Österreichischen Erblanden. Trotz der Pragmatischen Sanktion, die die Unteilbarkeit der habsburgischen Länder und die weibliche Erbfolge garantieren sollte, stellten Bayern und Preußen Ansprüche auf habsburgische Gebiete. Die lebenslange Gegnerschaft mit König Friedrich II. steht im Fokus gleich mehrerer Kapitel ("Die Erbin", "Die Königin" und "Die Kriegerin"). Das Kapitel "Die Landesmutter" widmet sich den Staats- und Verwaltungsreformen und charakterisiert Maria Theresia dabei als Politikerin im modernen Sinne. Das kulturelle Leben am Hof wird im Kapitel "Die Sonne des Hofes" in den Fokus genommen, wobei auch das emotionale Zusammenleben zwischen Hofgesellschaft und Herrscherfamilie gewürdigt wird. Ausführlich werden die pädagogischen, religiösen und wissenschaftlichen Maßnahmen der Monarchin ("Erziehungsprojekte - eine Monarchin formt ihr Volk") sowie das Verhältnis zu ihren Kindern ("Die Matriarchin") behandelt.
Lau legt den Fokus seiner Darstellungen auf die Selbst- und Fremdinszenierung Maria Theresias, die Ursprünge und Ausformungen ihrer Mythisierung und ihren konkret weiblichen Herrschafts- und Regierungsstil. Dabei ist er bemüht, etablierte Erzählmuster zu hinterfragen und auf zugrundeliegende Strategien zu prüfen. Gut gelungen ist hier die Rekonstruktion der ersten Regierungsmonate und des Ausbruchs des Österreichischen Erbfolgekrieges, bei der Lau die unterschiedlichen Meinungen von Botschaftern und Beratern einfängt und Maria Theresia als erfolgreiche Krisenmanagerin porträtiert. Nach ihrer Krönung zum "König" von Ungarn im Juni 1741 gelang es ihr, beim ungarischen Landtag im September die Unterstützung ihres militärisch mächtigsten Landesteils zu gewinnen. In ihrer Inszenierung als hilflose Mutter vor den ungarischen Magnaten und ihrer Standhaftigkeit im Kriegsverlauf sieht Lau den Beginn einer Mythisierung, die von Maria Theresia bewusst genährt wurde (78-91). Auch die beliebte Vorstellung der liebenden Mutter wird von Lau anhand der Analyse ihres Verhältnisses zu ihren einzelnen Kindern überzeugend widerlegt. Besondere Aufmerksamkeit erfährt dabei die schwierige Beziehung zwischen Maria Theresia und ihrem Mitregenten Joseph II., die sich nicht nur durch familiäre Konflikte sondern grundsätzliche Unterschiede in der Welt- und Herrschaftsauffassung auszeichnet.
Weniger überzeugend sind Laus Darstellungen des höfischen Lebens sowie des Zusammenspiels von Kunst und Herrscherrepräsentation. Hierzu werden viele Aspekte angerissen, aber nicht konsequent zu Ende erzählt. So etwa Maria Theresias Verhältnis zum Theater (181-183) oder die repräsentative Nutzung ihrer Residenzen (164-168). Bei der Thematisierung der künstlerischen Repräsentation des Wiener Hofes beschränkt sich der Autor auf japanische und chinesische Werke und lässt ihre unzähligen Herrscherbildnisse außen vor. Auch unterlässt er bei der Darlegung von Inszenierungsstrategien eine präzise Differenzierung von Urhebern, Multiplikatoren und Rezipienten solcher Repräsentationsprozesse, wodurch seine Analysen an Schärfe hätten gewinnen können.
Positiv ist zu unterstreichen, dass Lau der Kanalisierung von Emotionen am Hof Beachtung schenkt (188-193). Maria Theresia nutzte Schicksalsschläge zum Evozieren von Mitgefühl und Anteilnahme, wodurch eine emotionale Bindung zwischen ihr und der Hofgesellschaft, beziehungsweise ihren Untertanen geschaffen wurde. Die bewusst forcierte "Gefühlspolitik" [3] Maria Theresias gehört somit zu ihren Strategien und spricht für die soziale Intelligenz und die schnelle Auffassungsgabe der Herrscherin. Problematisch an diesen Analysen ist jedoch, dass sich der Autor hier wie bei anderen Darstellungen höfischer Interaktion ausschließlich auf die Tagebücher von Maria Theresias Obersthofmeister Johann Joseph Graf Khevenhüller-Metsch sowie die aus dem 19. Jahrhundert stammenden Publikationen von Alfred von Arneth stützt. Leider wurden Original-Quellen nur sporadisch herangezogen, wodurch es insbesondere der Charakterisierung von Maria Theresia als Herrscherpersönlichkeit mitunter an Tiefe fehlt.
Laus Buch vereint viele wichtige Themen zur Person Maria Theresias und liefert interessante Analysen ihrer Mythisierung. Aufgrund des eher journalistischen Schreibstils sowie der graphischen Aufmachung richtet es sich auch an ein populärwissenschaftliches Publikum, wenngleich die raschen Themenwechsel und das Hin- und Herspringen zwischen den Jahrzehnten Vorkenntnisse der historisch-biographischen Daten erfordern. Seine Darstellungen entfalten sich mithilfe vieler kleiner Erzählungen und Anekdoten, die zwar punktuell gute Einblicke gewähren, gelegentlich jedoch unzureichend kontextualisiert werden. Gewöhnungsbedürftig sind die Textpassagen, in denen der Autor in einen locker-flapsigen oder blumigen Schreibstil abrutscht: "Nasskaltes Wetter, ein schmieriger weißlicher Schimmer aus Schnee bedeckte die Dächer. Keinen Hund mochte man vor die Tür jagen." (111)
Wer sich noch nicht zu tief in die Materie eingelesen hat und neue Facetten der Herrscherpersönlichkeit Maria Theresias entdecken möchte, wird diese Lektüre sehr anregend und lehrreich finden. Angesichts des "Erinnerungsjahrs" in Österreich ist der Schwerpunkt auf Identifikation und Inszenierung für diese Biographie gut gewählt und ein wichtiger Beitrag zur "Entmythifizierung" der verklärten Kaiserin.
Anmerkungen:
[1] Werner Telesko: Maria Theresia. Ein europäischer Mythos, Wien / Köln / Weimar 2012.
[2] Weitere Neuerscheinungen: Elisabeth Badinter: Le pouvoir au féminin. Marie-Thérèse d'Autriche 1717-1780. L'impératrice-reine, Paris 2016 ; Barbara Stollberg-Rilinger: Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit. Eine Biographie, München 2017.
[3] Vgl. hierzu Ute Frevert: Gefühlspolitik. Friedrich II. als Herr über die Herzen?, Göttingen 2012.
Sandra Hertel