Alexander Kluy: George Grosz. König ohne Land. Biografie, München: DVA 2017, 492 S., 24 Farb-, 5 s/w-Abb., ISBN 978-3-421-04728-1, EUR 25,00
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"Eine mimosenhaft empfindliche Natur, die aus Empfindsamkeit unerhört brutal wird und die Gestaltungsgabe zu dieser Brutalität besitzt" [1] - so beschrieb Harry Graf Kessler im Sommer 1922 den ihm gut vertrauten Maler George Grosz. Die hierin anklingende Widersprüchlichkeit und Zerrissenheit des 1893 geborenen Künstlers ist es, die der Münchner Publizist Alexander Kluy in der vorliegenden Biografie ausleuchten möchte. Empirisch fußt die Studie neben den autobiografischen Schriften und einer von Kluy intensiv ausgewerteten Briefedition Grosz' [2] auch auf mehreren "bisher unveröffentlichte[n] Dokumente[n]" (18), die der Autor aus dem Georg Grosz Archiv (Akademie der Künste, Berlin), dem Deutschen Literaturarchiv (Marbach) und der Houghton Library (Harvard University, Cambridge) zusammengetragen hat.
Im Hinblick auf Grosz' Jugend betont Kluy eine schon früh sichtbare Sensibilität gegenüber dem Problem der sozialen Ungleichheit. Bereits den 13-jährigen Georg Ehrenfried Groß, der seinen Namen 1916 als Distanzierung von der scharfen antibritischen Kriegspropaganda anglisierte (92), habe die Selbststilisierung des preußischen Offizierskorps "zum Leitbild der Gesellschaft", wie überhaupt jede Tendenz "zur hierarchischen Distinktion" (32), abgestoßen. Zudem bezeugen für Kluy einige der seit 1912 in Berlin entstandenen Arbeiten Grosz' dessen akkurate "Beobachtungen der sozialen Wirklichkeit" (54), basierend indes auf einem "ausgeprägt negative[n] Menschenbild" (61). Eine problematische Facette im Frühwerk Grosz' sieht Kluy in dessen Anlehnung an den weitverbreiteten Antifeminismus der Kaiserreichsgesellschaft mit ihrer "Herabwürdigung [der Frauen] aufs Triebhafte" (57). Systematisch ausgeleuchtet wird die misogyne Schattenseite der Persönlichkeit Grosz' indes leider nicht: Dem wiederholten Motiv brutaler Gewalt gegen Frauen in dessen Bildern (87, 121-122) spürt Kluy ebenso wenig nach wie einer Äußerung von Grosz' späterer Gattin Eva Peters aus dem Jahr 1918, in ihrer Beziehung gequält und beleidigt worden zu sein (117).
Grosz' Verhalten nach dem Ende seines kurzen Kriegsdiensts (1915) beschreibt Kluy als die eines "Rollenspielers" und "trickster[s]" (76), der in immer neuen "Phantomfiguren" (81) auftrat. Er deutet diese Haltung "psychologisch als Umlenkung aus einer als unerträglich empfundenen depressiven Position" (82), verschärft von der immer wachen Angst, neuerlich eingezogen zu werden. Zugleich gilt Kluy das "Spiel mit diversen Identitäten" als Ausdruck einer "ins Existenzielle ausgreifende[n] Einsamkeit, die nur teilweise eine Inszenierung und Stilisierung" (83) gewesen sei. Auf eine neuerliche Einberufungsorder im Januar 1917 reagierte Grosz denn auch panisch und aggressiv: Er attackierte einen Sanitätsfeldwebel, der ihn als fronttauglich einstufte, und wurde daraufhin in eine "Irrenanstalt" bei Berlin verbracht (94-95), ehe er im April desselben Jahres entlassen und kurz darauf für "dauerhaft dienstunbrauchbar" (97) erklärt wurde. Die sich anschließende Phase intensiver Arbeit stand dann ganz im Zeichnen einer scharfen Kritik an der deutschen Kriegsgesellschaft und einer naiv-idealisierenden Hinwendung zu den USA, die Grosz als ein Land "der Wildnis und der Abenteurer" imaginierte. Darin erkennt Kluy ein zentrales Charakteristikum "für Grosz' Denkart und Kunst zwischen 1915 und 1920" (101).
Auch nach einem ersten längeren USA-Aufenthalt als Gastdozent an der New Yorker Arts Students League (1932) zeigte sich Grosz, dessen antibürgerliche Attitüde ohnehin mehr und mehr mit einem "bourgeoisem Habitus" (176) kontrastierte, begeistert von der in seinen Augen "allgegenwärtige[n] Lässigkeit und friedliche[n] zivile[n] Entspanntheit" (253) jenseits des Atlantiks. New York, in dessen Kunstszene er schnell, wenn auch nicht nachhaltig "gefragt" (244) war, wirkte auf Grosz wie ein "Aphrodisiakum" (254) - ein denkbar scharfer Gegensatz zu den in jeder Hinsicht desillusionierenden Eindrücken einer von Kluy detailliert beschriebenen Reise in die Sowjetunion im Jahr 1922 (160-170), in deren Folge Grosz aus der KPD austrat, ohne dem Kommunismus jedoch ganz abzuschwören. Insgesamt bleibt die Politik in Kluys Darstellung aber seltsam randständig. Der wiederholte Hinweis, Grosz' politisches Denken sei von "irrlichternde[r] Inkonsequenz" (151) gewesen und habe sich nie ganz einer Ideologie verschrieben, überzeugt nur sehr bedingt. Geradezu erstaunlich ist die Behauptung, Grosz sei "lebenslang überzeugter Demokrat" (19) gewesen. Damit ignoriert Kluy nicht nur Grosz' rigide Ablehnung des Parlamentarismus als vermeintlich überlebten, "bourgeoisen" Anachronismus [3], sondern auch das Eintreten des Künstlers für eine "proletarische Revolution" (128) im Frühjahr 1919 sowie seine damit einhergehende Befürwortung politischer Gewalt (131).
Demgegenüber gehört die Schilderung der ersten Jahre nach Grosz' endgültiger Emigration in die USA 1933 zu den besten Teilen der Arbeit. Eindrücklich beschreibt Kluy die prekäre materielle Situation und die fragile psychische Konstitution des Künstlers in jener Zeit (263-285). Kluy konstatiert für das Jahr 1934 einen Rückgang des bissig Satirischen "zugunsten einer ausgeprägten Farbigkeit" in Grosz' Werken, außerdem eine Rücknahme der "kontrastreiche[n] Hierarchisierung [...] von Oben und Unten" (276-277). Sobald Grosz jedoch die politische Lage Deutschlands und Europas thematisierte, waren hingegen "endzeitliche Bilder" (280) das Ergebnis. Diese Gleichzeitigkeit von apokalyptischen "Bilder[n] der Zerstörung und Auslöschung" (306) und gut verkäuflichen, "luftigere[n] Aquarellen" (304), die ihm den Vorwurf einbrachten, "unpolitisch" geworden zu sein, prägte auch die Produktion Grosz' während des Zweiten Weltkriegs. In dieser Zeit schrieb Grosz, der trotz stets unsicherer Einkommensverhältnisse ab 1942 regelmäßig US-amerikanische Kriegsanleihen zeichnete (295), zudem intensiv an seiner Autobiografie Ein kleines Ja und ein großes Nein und vertiefte sich in die Kunstgeschichte, insbesondere den Barock. Auch nach dem Zusammenbruch des NS-Staats blickte Grosz lange Jahre auf seine Heimat nur mit tiefem Abscheu, sodass er 1947 trotz ernster finanzieller Probleme sogar die lukrative Offerte einer Professur an der Berliner Hochschule für Bildende Künste ausschlug (317-319) und stattdessen in den USA blieb.
Die letzten anderthalb Lebensjahrzehnte Grosz' blieben dann vergleichsweise ereignisarm. Aufgrund seines weitgehenden Verzichts auf zeithistorische Kontextualisierungen reduziert sich Kluys Darstellung hier auf eine mit Wiederholungen gespickte Schilderung der wachsenden Verzweiflung Grosz', der die Nachkriegszeit nicht etwa als Jahre der "Hoffnung auf eine Welt in Frieden" erlebte, sondern angesichts von Hiroshima und Nagasaki abermals "eine Katastrophe von apokalyptischen Ausmaßen" (324) herannahen sah. Begleitet wurde diese Stimmung, nebst sehr schweren Alkoholproblemen, von einem starken "kulturkonservativen Pessimismus" (326), tiefer Verachtung des zeitgenössischen Kunstmarkts sowie dem deprimierenden Gefühl eigener "künstlerische[r] Stagnation, ja Regression" (342). Diese Selbsteinschätzung verweist auf das in der Forschung weitverbreitete Bild von Grosz' Spätwerk als etwas grundlegend "Defizitärem" (315) - eine Auffassung, die Kluy zwar mehrfach mit kritischem Unterton erwähnt, ohne sich selbst jedoch eindeutig zu ihr zu positionieren.
Insgesamt hat Kluy eine kurzweilige und gut lesbare, jedoch keine tiefschürfend analytische Studie vorgelegt; sie krankt vor allem an zwei Aspekten: Erstens einer unzureichenden quellenkritischen Distanz Kluys zu den autobiografischen Äußerungen Grosz' sowie zu den zahlreich herangezogenen Erinnerungen verschiedener Wegbegleiter; zweitens einer im Ganzen oberflächlichen, mitunter klischeehaften historischen Kontextualisierung der Künstlerbiografie, die auch von handfesten Irrtümern nicht frei ist, etwa wenn Kluy von der angeblich "erzkatholische[n] Kreuz-Zeitung" (223) spricht. Pauschal vereinfachend ist Kluys Urteil, in Deutschland habe 1920 der "Militarismus [...] wieder Oberwasser" gewonnen und sich als Beleg dafür mit einem einzigen zeitgenössischen Zeitungsartikel Kurt Tucholskys gegen Otto Geßler begnügt (147). Wenig überzeugend ist überdies die von Kluy bereits in der Einleitung behauptete Überzeitlichkeit der Werke Grosz': das von diesem gezeichnete "wahre Gesicht" der "herrschenden Klasse", so Kluy, habe sich "bis heute nicht verändert" (17). Damit unterschätzt der Autor die tiefe Zeitgebundenheit des Künstlers als Produkt und Ausdruck der Krisenjahre der klassischen Moderne. Grosz selbst war sich dieser Zeitgebundenheit im Übrigen durchaus bewusst, etwa wenn er sich 1920 über jedes "abstrakte Gefasel von der Zeitlosigkeit" [4] in der Kunst mokierte und 1930 vor Gericht betonte, seine Werke der frühen 20er-Jahre wären ohne die Menschen der "Inflationszeit", mit all "ihre[r] Anarchie und ihre[r] Ungerechtigkeit", "nicht denkbar". [5]
Anmerkungen:
[1] Harry Graf Kessler: Das Tagebuch 1880-1937, Bd. 7, hg. v. Angela Reinthal, Stuttgart 2007, 533.
[2] George Grosz: Briefe 1913-1959, hg. v. Herbert Knust, Reinbek bei Hamburg 1979.
[3] Vgl. Riccardo Bavaj: Zwischen Dadaismus und Kommunismus. Kunst und Ideologie bei George Grosz zur Weimarer Zeit, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 34 (2006), 122-148.
[4] Zitiert nach: Hubert van den Berg: Dadaist subjectivity and the politics of indifference. On some contrasts and correspondences between Dada in Zürich and Berlin, in: Subjectivity, hgg. v. Willem van Reijen / Willem G. Weststeijn, Amsterdam 2000, 29-57, hier 50.
[5] Zitiert nach: Ralph Jentsch: Alfred Flechtheim und George Grosz. Zwei deutsche Schicksale, Bonn 2008, 31.
Thomas Vordermayer