Monika Waldis / Béatrice Ziegler (Hgg.): Forschungswerkstatt Geschichtsdidaktik 15. Beiträge zur Tagung "geschichtsdidaktik empirisch 15" (= Geschichtsdidaktik heute; Bd. 8), Bern: hep Verlag 2017, 282 S., ISBN 978-3-0355-0671-6, EUR 33,00
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Die Baseler Tagung "Geschichtsdidaktik empirisch" hat sich mittlerweile fest als wichtiges Event im geschichtsdidaktischen Kalender eingeschrieben. Der vorliegende Band dokumentiert die fünfte Veranstaltung der empirisch fokussierten Tagung. Vergleicht man die Tagungsbände, so fällt eine Verschiebung des Fokus geschichtsdidaktischer Empirie - zumindest insoweit sie in den Bänden abgebildet wird - in Richtung quantitativer Arbeiten ins Auge. Dies führt dazu, dass viele Beiträge sich nicht nur hinsichtlich ihres Erkenntnisinteresses und ihrer Methoden, sondern auch bezüglich der Artikelstruktur und der verwendeten Terminologie an den Gepflogenheiten der empirischen Bildungsforschung orientieren.
Neben einer zusammenfassenden Einführung durch die Herausgeberinnen umfasst der Band vier thematische Schwerpunkte. Den ersten bilden die beiden aufeinander bezogenen Keynotes von Peter Seixas und Andreas Körber, die die internationale Anschlussfähigkeit zentraler geschichtsdidaktischer Begriffe diskutieren. Die ausgesprochen lesenswerten Beiträge erörtern die Stärken und Schwächen der Kategorie Geschichtsbewusstsein, der "Plausibilitäten" nach Jörn Rüsen und des Begriffspaares "Quelle und Darstellung" sowie ihrer jeweiligen anglophonen Pendants. Eine Reflexion zentraler geschichtsdidaktischer Kategorien, der mit ihnen verbundenen Traditionen sowie ihrer internationalen Anschlussfähigkeit kann der Disziplin nur zum Vorteil gereichen, zumal, wie Körber betont, auch innerhalb der nationalen Community keineswegs Einigkeit über Kategorien und Konzepte besteht. Weitergehende diesbezügliche Anstrengungen wären also wünschenswert.
Den ersten empirischen Schwerpunkt bilden sechs Arbeiten mit Bezug zur Geschichtskultur. Hier werden mehrheitlich Zwischenberichte und Teilbefunde aus laufenden Dissertationsprojekten vorgestellt. Zwei der hier präsentierten Studien entstammen dem Kontext des Göttinger Projektes "Mit der Schule im Museum". Beide Beiträge fokussieren dabei die Rolle der Museumsobjekte. Felicitas Iris Klingler geht mittels Fragebogenerhebung, Experteninterviews und Videographien der Frage nach, welche Bedeutung "authentische Objekte" in der Museumspädagogik einnehmen. Sie kommt dabei zu dem Schluss, dass museumspädagogische Programme regelmäßig mehr auf den Erwerb von Sachwissen als auf die Begegnung mit Objekten setzten, weshalb die Programme häufig nicht in der Ausstellung selbst stattfänden und nur selten Originalobjekte verwendet würden. Hannah Röttele dagegen untersucht anhand videographierter Museumsbesuche, worauf Schülerinnen und Schüler im Museum ihre Aufmerksamkeit richten. Wahrgenommen würden vor allem solche Objekte, die den Lernenden entweder bekannt seien oder die irritierend wirkten. Oftmals würden Objekte jedoch deshalb nicht beachtet, weil Museumstexte, Mitschüler oder Arbeitsaufträge die Aufmerksamkeit der Lernenden binden und den Blick eher von den Objekten weg als zu diesen hin lenkten. Neben dieser Untersuchung widmen sich auch weitere Beiträge (Björn Bergold; Christian Mathis/Kristine Gollin) dem wichtigen Feld der qualitativen geschichtskulturellen Rezeptionsforschung.
Die fünf Beiträge des Themenschwerpunktes "Lehrerprofessionalität" bedienen sich dagegen mehrheitlich quantitativer Verfahren. Nicht immer wird hier deutlich, worin der Bezug der Beiträge zum Oberthema besteht. Während Andrea Becher und Eva Gläser in ihrer Analyse der Qualität von Lernaufgaben aus Schulbüchern für den Sachunterricht immerhin noch argumentieren, dass auch Lehrpersonen gute von schlechten Aufgaben unterscheiden können müssen, bleibt bei der im Passauer Projekt "Adaptive Lernaufgaben in Geschichte" (ALGe) entstandenen Studie von Katharina Jonas und Kolleg*innen völlig offen, worin ein derartiger Bezug bestehen könnte. Hier wird nachgewiesen, dass Lernende, die in einer früheren Fragebogenerhebung höheres Fachinteresse an Geschichte bekundeten, beim Bearbeiten historischer Lernaufgaben auch mehr situationales Interesse ausdrücken, und zwar sowohl hinsichtlich der wahrgenommenen Interessantheit der Aufgabe als auch hinsichtlich ihrer subjektiven Bedeutsamkeit.
Zwei der Beiträge dieses thematischen Schwerpunktes greifen Liliana Maggionis Studie zu den epistemischen Überzeugungen von Lehrenden auf. [1] Martin Nitsche und Monika Waldis untersuchen die epistemischen 'beliefs' sowie den Lernbegriff - dessen Ausprägungen hier irritierender Weise als "geschichtsdidaktische Positionen" (140) bezeichnet werden - von Studierenden in der Schweiz und in Deutschland. Die Befunde der Pilotstudie legen nahe, dass Studierende eher einem konstruktivistischen Geschichts- und Lernbegriff zuneigen, dabei aber häufig (noch) keine konsistente erkenntnistheoretische Haltung ausgebildet haben. Der Beitrag von Marcel Mierwald und Kolleg*innen dagegen fasst zwei Studien zusammen, die das Erhebungsinstrument Maggionis in Deutschland erprobten. Während mit einer übersetzten Fassung des ursprünglich englischsprachigen Tests - genau wie bei Maggioni selbst - nur zwei der drei theoretisch postulierten Haltungen empirisch nachgewiesen werden konnten, gelang es mit einer bearbeiteten Version, drei unterschiedliche Faktoren zu unterscheiden, allerdings bei relativ geringer Varianzaufklärung. Ähnlich wie im Beitrag von Mario Resch, Christian Vollmer und Manfred Seidenfuß wird hier lediglich die psychometrische Validierung eines Erhebungsinstrumentes vorgestellt, Befunde werden dagegen nicht präsentiert.
In ähnlicher Weise berichten im letzten thematischen Schwerpunkt "Historische Kompetenzen messen" gleich vier Beiträge der Projektgruppe "Historical Thinking - Competencies in History" von der Entwicklung und Prüfung des HiTCH-Tests. [2] Wenngleich unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden, weist dieser Teil des Bandes doch einige Redundanzen auf. So erfährt die Leserschaft zum Beispiel in drei der vier Beiträge, dass die Testitems ohne Vorwissen lösbar sein müssen, dass die Leistungen der Lernenden mit der Lesekompetenz korrelierten und dass dies auch bei der PISA-Studie der Fall gewesen sei. Einen anderen Fokus setzt dagegen der Beitrag von Franziska Meis und Andreas Zuckowski: Hier werden die Leistungen von Schüler*innen und Studierenden bei der Bearbeitung zweier Aufgaben verglichen. Das Autorenpaar schließt, dass der Test für Studierende zu leicht und deshalb zur Kompetenzmessung nicht geeignet sei. Zudem wiesen Faktoranalysen auf ein "strukturell anderes" Denken der Studierenden im Vergleich zu den Schüler*innen hin, wobei aber nicht klar sei, worin dieser strukturelle Unterschied bestehe.
Betrachtet man den Band im Ganzen, so zeigt sich die empirische geschichtsdidaktische Forschung einerseits als ein offensichtlich aktives und produktives Feld, in dem sich Doktorand*innen mit Einzelarbeiten ebenso bewegen wie größere Verbundprojekte. Angesichts einiger Beiträge des Bandes lässt sich allerdings befürchten, dass die sich abzeichnende, verstärkte Hinwendung zu quantitativen Erhebungs- und Auswertungsmethoden mit einer nachlassenden Anschlussfähigkeit empirischer Forschung sowohl innerhalb der Disziplin als auch im Kontakt mit Fachwissenschaft und Praktiker*innen einhergehen könnte. Angesichts des knappen Umfangs der Beiträge bleibt den mehrheitlich in interdisziplinären Autorenteams zusammenarbeitenden Verfasser*innen keine Möglichkeit, für Geschichtsdidaktiker*innen nicht unbedingt einschlägige Verfahren und Begriffe zu erläutern, sodass am Ende der Eindruck einer statistischen Blackbox entsteht, in der solange an Stellschrauben gedreht wird, bis die errechneten Werte einen bestimmten Schwellenwert über- beziehungsweise unterschreiten. Mehrere Beiträge dokumentieren zudem die Entwicklung und psychometrische Testung eines Erhebungsinstrumentes, aber keinerlei Befunde. Dieses in der Geschichtsdidaktik bislang eher unübliche Vorgehen lässt zumindest den Rezensenten etwas unbefriedigt zurück, wünschte man sich doch häufig mehr inhaltliche Erkenntnisse. Für die Bände zu künftigen Tagungen wäre daher möglicherweise zu überlegen, die Anzahl der Beiträge zu reduzieren, ihren Umfang dagegen zu erhöhen.
Anmerkungen:
[1] Vergleiche Liliana Maggioni / Bruce VanSledright / Patricia. A. Alexander: Walking on the Borders. A Measure of Epistemic Cognition in History, in: The Journal of Experimental Education 77 (2009), Heft 3, 187-214.
[2] Für eine umfassende Würdigung der Stärken und Schwächen dieses Projektes vergleiche Manuel Köster: Rezension zu: Ulrich Trautwein u.a.: Kompetenzen historischen Denkens erfassen. Konzeption, Operationalisierung und Befunde des Projekts "Historical Thinking - Competencies in History" (HiTCH), Münster 2017, in: H-Soz-Kult, 13.03.2018, www.hsozkult.de" (zuletzt aufgerufen am 09.04.2018).
Manuel Köster