Rezension über:

Peter Baumgart: Politische Correspondenz Friedrichs des Großen. Band 48 (Januar bis Juni 1783) (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz; 71), Berlin: Duncker & Humblot 2015, XV + 461 S., ISBN 978-3-428-14739-7, EUR 89,90
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Rezension von:
Isabelle Deflers
FRIAS-School of History, Freiburg/Brsg.
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Isabelle Deflers: Rezension von: Peter Baumgart: Politische Correspondenz Friedrichs des Großen. Band 48 (Januar bis Juni 1783), Berlin: Duncker & Humblot 2015, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 10 [15.10.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/10/28824.html


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Peter Baumgart: Politische Correspondenz Friedrichs des Großen

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Kritische Editionen von Briefen werden von Historiker/innen als nützliches Arbeitsinstrument immer begrüßt, vor allem wenn sie von hoher Qualität sind und durch Register und Regesten ein schneller Zugang möglich ist. Die Gesamtwerke des Preußenkönigs Friedrich II. sind zwar auf dem Portal der Universität Trier mittlerweile online zugänglich, aber gerade die Internet-Publikation seiner politischen Korrespondenz hört aus urheberrechtlichen Gründen mit dem 46. Band auf. Dies erklärt sich aus der Geschichte der Publikation der politischen Korrespondenz, die 1879 begann, 1939 aber kriegsbedingt eingestellt wurde. Erst 60 Jahre später wurde die Arbeit dank der Unterstützung der "Preußischen Historischen Kommission" wieder aufgenommen, Band 47 der außenpolitischen Korrespondenz Friedrichs für den Zeitraum von April bis Dezember 1782 erschien im Jahr 2003. Das Erscheinen des vorliegenden Bands 48 zwölf Jahre später ist der hartnäckigen Arbeit des Archivars Dr. Frank Althoff im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz zu verdanken. Außer den Quellen des Geheimen Staatsarchivs ergänzen noch einige auswärtige Bestände u. a. aus dem Königlichen Hausarchiv der Oranier in Den Haag die Publikation, die bis ins erste Halbjahr 1783 reicht.

In seiner historischen Einführung hebt Frank Althoff hervor, dass die außenpolitische Korrespondenz Friedrichs II. in diesen Monaten seine "passive" und "abwartende Haltung" spiegele. Der alternde König, der drei Jahre später sterben sollte, war offensichtlich vor allem bemüht, "sich aus allen europäischen Konflikten möglichst herauszuhalten" (IX). Somit liefern uns diese Briefe eher die Beobachtungen eines Zuschauers als eines aktiven Teilnehmers an den Interaktionen der internationalen Politik. Vor allem die Zarin Katharina II. und ihre Orientpolitik mit der Eingliederung der Krim in den russischen Staatsverband scheinen Friedrichs Aufmerksamkeit zu monopolisieren. Mit der kalkulierten Unterstützung Kaiser Josephs II., der sich offensichtlich von seinem Kanzler, dem Fürsten Wenzel Anton von Kaunitz, immer mehr emanzipierte, gelang es ihr, militärisch und diplomatisch die Pforte unter Druck zu setzen, um zu verhindern, dass Friedrich sich in ihre miteinander abgesprochenen zukünftigen Gebietserwerbungen einmischt und Gegenmaßnahmen ergreift. Neben der Krim und anderen Landstrichen zur Abrundung ihres Reiches ging es den beiden Kaisermächten auch um ein Abkommen auf dem Balkan über Bosnien, Serbien und Belgrad und um einen Kompromiss über die zukünftige Zugehörigkeit der Donauprovinzen Moldau und Walachei. Dabei zeigten sich Katharina II. und Joseph II. unverhohlen als Bündnispartner, was die Drohungen gegen die Pforte wirkungsvoller machte. Dank eines gut funktionierenden Netzwerks inoffizieller, überall in Europa verstreuter Informanten war Friedrich II. über die Pläne seiner Nachbarn bestens informiert. Seine Zurückhaltung setzte auf den Ausbruch eines Krieges im Osten, von dem er sich Vorteile für sich selbst bzw. für Preußen erhoffte: Diese Pläne ließen nämlich nicht nur zukünftige Konflikte zwischen den beiden Kaisermächten erwarten, sondern lenkten deren Aufmerksamkeit weit vom Norden Europas ab, was Friedrichs eigene Machtposition dort begünstigte. Im Fokus der preußischen Außenpolitik stand in erster Linie Russland, und die Spannungen mit Joseph II. bildeten deren zweiten Schwerpunkt. Offiziell betonte Russland immer noch seine Bündnistreue gegenüber Preußen, aber tatsächlich näherte sich die Zarin immer mehr dem Kaiser an und distanzierte sich schrittweise von ihrem preußischen Alliierten. In diesem angespannten Kontext erschien am 11. April 1783 der Tod des ehemaligen Außenministers Katharinas II., des Grafen Nikita Iwanowitsch Panin, der als Anhänger der russisch-preußischen Annäherung gegolten hatte, als ein schlechtes Omen. Im europäischen Staatensystem war Preußen immer isolierter. Ihm blieb in dieser konfliktbeladenen Situation letztendlich nicht viel anders übrig als abwartend zu beobachten, wie das Osmanische Reich und die westlichen Mächte auf die russische Eroberung der Krim reagieren würden, um dementsprechend seine eigene Reaktion daran zu bemessen.

Interessant sind dabei die Spekulationen des Preußenkönigs über die außenpolitische Reaktion des französischen Hofs hinsichtlich eines eventuell anstehenden Krieges, in den er eigentlich gemäß seiner Bündnisverpflichtung an der Seite der Pforte intervenieren müsse. Die Franzosen, behauptet der König, würden dies vermeiden wollen; dies sei der Charakterschwäche der aktuellen Minister Frankreichs geschuldet, die die Liebe des Ruhms ("l'amour de la gloire") nicht mehr in sich trügen, wie es noch zur Zeit Ludwigs XIV. der Fall gewesen sei. [1]

Über den erkenntnisreichen Inhalt der Briefe hinsichtlich der internationalen Beziehungen Preußens in dieser Zeit hinaus bietet diese Korrespondenz zugleich einen tiefen Einblick in Friedrichs Persönlichkeit. Ton und Wortwahl seiner Briefe ändern sich nämlich je nach Korrespondent/innen und Sachverhalt: Unverschleiert zum Ausdruck kommen sein Misstrauen gegenüber dem Kaiser, seine 'Dämonisierung' der Zarin als Ursache allen Übels, seine Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal seiner Verwandten, der Prinzessin Elisabeth von Württemberg, die auf Veranlassung Josephs II. seinen Neffen, den späteren Kaiser Franz, heiraten sollte, auch seine Wutanfälle gegen seinen Gesandten in Paris, Wilhelm Bernhard von der Goltz, dem er seine "Oberflächlichkeit" ("superficialité") vorwarf [2], sowie seine Kritiken am Gesandten Christian Friedrich von Gaffron in Konstantinopel, der seine Depeschen so schlecht chiffriere, dass sie kaum lesbar seien. [3] Seiner Lieblingsnichte, Wilhelmine Prinzessin von Oranien und Nassau in Den Haag, die auf seine Veranlassung hin 1767 Prinz Wilhelm V. von Oranien, Statthalter der Niederlande, geheiratet hatte, schreibt er hingegen in einem beinahe zärtlichen Ton und tauscht mit ihr politische Ansichten aus. Die gesamte Palette seiner Gemütslage spiegelt sich in diesen Briefen wider. Zugleich wird ersichtlich, wie politischer Einfluss durch familiäre Netzwerke in der Praxis ausgeübt wurde, und wie Heiratspolitik tatsächlich zu Annäherungen und Interessenbündnissen zwischen den europäischen Mächten beitrug.

Nach Wien, Warschau, Konstantinopel, Paris, Madrid, Den Haag, St. Petersburg, Turin, Kopenhagen, Dresden, usw. wurden die insgesamt 471 Briefe (Nr. 30124-30595) dieses ersten halben Jahres 1783 gesendet. Für deren Erschließung stehen den Leser/innen diverse Personen-, Korrespondenten-, Sach- und Ortsindexe zur Verfügung. Auf die weiteren Entwicklungen der Außenpolitik innerhalb des europäischen Staatensystems - gespiegelt in weiteren Briefen des Preußenkönigs - sind wir hinsichtlich der geplanten Abschließung der Quellenedition in den kommenden Jahren schon gespannt.


Anmerkungen:

[1] Brief an Goltz in Paris, Berlin, 2. Januar 1783, S. 2.

[2] Brief Nr. 30183, Potsdam, 24. Januar 1783, S. 55.

[3] Brief Nr. 30358, Potsdam, 27. März 1783, S. 207.

Isabelle Deflers