Michael Sauer: Textquellen im Geschichtsunterricht. Konzepte - Gattungen - Methoden, Seelze: Klett Kallmeyer 2018, 292 S., ISBN 978-3-7727-1216-6, EUR 27,95
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Der Band "Textquellen im Geschichtsunterricht" fügt sich ein in die Reihe von Handbüchern, mit denen sich Michael Sauer als ein Brückenbauer zwischen geschichtsdidaktischer Theorie und Unterrichtspraxis profiliert hat. Es geht im Sinne einer fruchtbaren Verständigung auch in diesem Buch weniger um ausführliche theoretische oder historische Ableitungen, sondern um die konzeptionelle Basis und praktische Gestaltung von Textquellenarbeit. Aus dem Blickwinkel, wie ihre Erschließung "unter den Bedingungen des Normalunterrichts" vonstattengeht, bietet dieses Handbuch Lehramtsstudierenden, Referendaren und Lehrerinnen eine wertvolle Anleitung, wie sich systematische Lerneffekte anbahnen lassen. Dabei findet Eingang, dass sich die Aufmerksamkeit in der Geschichtswissenschaft für einzelne Quellengattungen verschiebt und manches - wie etwa der Quellenwert von Tagebüchern - derzeit neu verhandelt wird. [1]
Im ersten Kapitel geht es um die Voraussetzungen und Lernziele wie auch um die Probleme von Schülerinnen und Schülern bei der Bearbeitung von Textquellen. Gegenüber dem engen Zusammenhang von Quellenarbeit und reformpädagogischen Impulsen wird einschränkend geltend gemacht, dass das Konzept in den nicht-gymnasialen Schulformen weniger nachhaltig realisiert worden ist als am Gymnasium. Auch für die beabsichtigte Annäherung an die historische Forschung zieht der Autor klare Grenzen. Forschend-entdeckendes Projektlernen wird dabei ausdrücklich als Ausnahmefall historischen Lernens aufgefasst. Dementsprechend hebt Sauer auf die Quellen ab, die für die derzeit behandelten Themen im Geschichtsunterricht als repräsentativ und exemplarisch gelten. Die abgedruckten Beispiele, wie etwa Feldpostbriefe des Ersten Weltkriegs, sind so überwiegend am Bekannten orientiert.
Das ist zwar in besonderer Weise anschlussfähig an den üblichen Unterricht. Jedoch gerät in der Geschichtsdidaktik so immer wieder ein Lebensweltbezug der Quellenarbeit aus dem Blick, der über die Schulzeit hinausweist: Briefe, Tagebücher oder alte Zeitungen sind bekanntlich nicht nur im Archiv zu finden, sondern sie tauchen nach der Schulzeit auch in privaten Kellern und Anrichten, bei Haushaltsauflösungen oder Sanierungen auf. Sollen diese nicht achtlos entsorgt werden, sind heuristische Fähigkeiten gefragt, um diesen Fundstücken historischen Sinn und persönliche Bedeutsamkeit zu verleihen. Zurecht beklagen im Projektlernen engagierte Lehrkräfte, dass positive Erfahrungen forschend-entdeckender Spurensuche keine erkennbare Rückwirkung auf Lehrpläne und Schulbücher haben. [2] Bezüglich des Dilemmas von Schüler- und Lernzielorientierung hat Michael Sauer aufschlussreiche Untersuchungen angeregt und selbst neue Befunde vorgelegt, die in das Handbuch eingeflossen sind. Er plädiert außerdem für eine klare Abgrenzung von Quellen und Darstellungen im Unterricht und verwendet sich damit für eine "begriffliche Exaktheit", die im Lichte der Digitalisierung jüngst unter Druck geraten ist. [3]
Durch das zweite Kapitel wird besonders eindrücklich, dass die Materialbasis für die unterrichtliche Quellenarbeit nicht nur breiter, sondern in der Differenzierung von Gattungen auch methodisch anspruchsvoller geworden ist. Mit archivalischen Quellen (Urkunden und Akten), Selbstzeugnissen (Autobiografien und Memoiren, Briefen und Tagebüchern), publizistischen Quellen (Zeitungen und Zeitschriften, Flugblättern und Plakaten), literarischen Quellen (Gedichten, Liedern, Romanen) und mündlichen Quellen (Reden, dokumentierte Zeitzeugenaussagen) wird eine enorme Bandbreite aufgespannt. Sie reicht von überlieferten bis zu selbst generierten Texten, schließt illustrierte, vertonte oder gesprochene Texte ein. Diese Mischung belegt insofern auch die Schwierigkeiten, in Geschichtsdidaktik und Geschichtswissenschaft zu einer überzeugenden Systematik von Text-, Bild-, Sachquellen und Tondokumenten zu gelangen. Einzeln genommen geht es hier aber auch gar nicht um die Einführung einer solchen, sondern um den Aussagewert und die methodischen Implikationen, die die unterschiedlichen Quellengattungen in historischen Lernprozessen mit sich bringen.
Im dritten Kapitel werden schließlich die Alltagsprobleme der Planung und Realisierung von Quellenarbeit aufgegriffen. Wenn Schülerinnen und Schüler über die Gattungsmerkmale die Aussagekraft von Quellen erkennen sollen, wird ihnen das durch die einheitliche und transkribierte Form von Textquellen in Schulbüchern bekanntlich enorm erschwert. Michael Sauer gibt den Leserinnen und Lesern hier zahlreiche Alternativen der Präsentation an die Hand. Unterrichtsmethodisch besonders anregend sind die Mischvarianten von Transkription und Quellenreplikat, die den Lernenden Lesehilfen bereitstellen und zugleich die Wahrnehmung der äußeren Textgestalt ermöglichen.
An die Beispiele für multiperspektivische Arrangements schließt ein sehr umfassender Abschnitt zu Interpretationsverfahren, Arbeitsaufträgen sowie zur Leistungserwartung und zur Kompetenzdiagnose an. Dieser Teil ließe sich auch unter die Frage stellen, wie formalistisch und ritualisiert Quellenarbeit im Grunde sein darf, wenn sie sich einerseits an allgemeinen Standards einer 'best practice' ausrichten und andererseits den komplexen Zielen des Faches nicht zuwiderlaufen soll. Michael Sauer plädiert für ein dreischrittiges Interpretationsschema, das zu den Vorgaben der Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturstufe hinführt. Unbedingt mitzulesen sind dabei jedoch auch seine kritischen Einlassungen zur Anwendbarkeit der aus dem Kontext des Abiturs und der Curricula stammenden Operatoren, die sich auf weitere historische Sachverhalte und Zusammenhänge beziehen und daher oft an den Erfordernissen der Quellenarbeit vorbeigehen.
Mit "Zwölf Leitsätze(n) für Textquellenarbeit" hat Michael Sauer den drei Abschnitten seines Buches schließlich eine Art 'Waschzettel' beigefügt. Die auf einer Seite zusammengefasste Anleitung 'echter' Quellenarbeit dürfte es Auszubildenden wie Geschichtslehrkräften erleichtern, fachlich angemessene Methoden und Grundeinstellungen im Unterricht zu berücksichtigen und zu verankern. Danach eignen sich Textquellen - wie andere historische Quellen auch - am wenigsten zur direkten Informationsentnahme.
Anmerkungen:
[1] Für die Zeitgeschichte besonders Janosch Steuwer: "Ein Drittes Reich, wie ich es auffasse". Politik, Gesellschaft und privates Leben in Tagebüchern 1933-1939, Göttingen 2017.
[2] Anke John: Der Geschichtswettbewerb im Tutoren-Check, in: Spurensuchen. Magazin für historisch-politische Bildung 32 (2018), 28-29.
[3] Maren Tribukeit: Zwischen digitalen Angeboten und geschichtsdidaktischen Anforderungen. Zur Medialität des Geschichtsunterrichts, in: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 17 (2018), 135-149.
Anke John