Laurent Warlouzet: Governing Europe in a Globalizing World. Neoliberalism and its Alternatives following the 1973 Oil Crisis (= Routledge Studies on Government and the European Union; 8), London / New York: Routledge 2018, XIV + 274 S., 8 Tbl., ISBN 978-1-138-72942-1, GBP 105,00
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Michel Christian / Sandrine Kott / Ondřej Matějka (eds.): Planning in Cold War Europe. Competition, Cooperation, Circulations (1950s-1970s), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2018
Prasannan Parthasarathi: Why Europe Grew Rich and Asia Did Not. Global Economic Divergence, 1600-1850, Cambridge: Cambridge University Press 2011
Anja Timmermann: Indigo. Die Analyse eines ökonomischen Wissensbestandes im 18. Jahrhundert, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2014
Markus A. Denzel / Christina Dalhede (eds.): Preindustrial Commercial History. Flows and Contacts between Cities in Scandinavia and North Western Europe, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2014
So wie die französischen "Gelbwesten" gegenwärtig gegen den "Neoliberalismus" als Grundübel des zeitgenössischen Frankreichs und Europas zu Felde ziehen, sahen manche Aktivisten der Studentenrevolte 1968 überall "Faschisten" am Werk. Einmal als Kampfbegriff in die politische Auseinandersetzung gezerrt, verlieren solche politischen Begrifflichkeiten rasch ihre terminologische Schärfe, und Historiker können sie oft nur mit Mühe erneut für die Beschreibung vergangener Phänomene fruchtbar machen.
Der französische Zeithistoriker Laurent Warlouzet versucht dies in seinem Buch erfolgreich, in dem er die weit verbreitete pauschale Vorstellung einer "neoliberalen" Wende in der heutigen Europäischen Union in der Zeit zwischen der ersten Ölkrise 1973 und der Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen Akte 1986, die zum Binnenmarkt führte, problematisiert und an zahlreichen Politikfeldern exemplarisch abarbeitet. Er stützt sich dabei auf seine profunde Kenntnis der einschlägigen Literatur vor allem über die Geschichte der europäischen Integration und die Zeitgeschichte Großbritanniens, Frankreich und Deutschlands. Hinzu kommt breit angelegte Forschung in den Archiven der Europäischen Kommission, in ausgewählten nationalen Archiven der drei Mitgliedschaften und solchen der europäischen Dachverbände der Wirtschaft und der Gewerkschaften.
Warlouzet unterscheidet für diese supranationalen und nationalen Akteure innerhalb der damaligen Europäischen Gemeinschaften drei idealtypische Formen der Wirtschafts- und Sozialpolitik, mit denen diese Akteure auf die neuen Herausforderungen im Zuge der ersten Ölkrise reagierten (7-8): ein "sozial orientierter" Politikansatz, der zum Ziel hatte, negative Folgen der Marktliberalisierung durch Formen der Regulierung und Umverteilung auf europäischer Ebene abzufangen; eine "neomerkantilistische" Politik, die nationale und europäische "Champions" auch durch Subventionen oder protektionistische Maßnahmen fördern und so die eigene Wettbewerbsfähigkeit erhalten und steigern wollte; und "markt-orientierte" Strategien, die auf Liberalisierung und den Wettbewerb zwischen privaten und privatisierten Firmen setzten und normalerweise Inflation bekämpften und Staatsschulden eindämmen wollten. "Neoliberale" Wirtschafts- und Sozialpolitik in der intellektuellen Tradition Hayeks bezeichnet Warlouzet als "radikale Variante" (8) solcher markt-orientierter Strategien.
Das Buch gliedert sich nach einem einleitenden Kapitel in acht Kapitel, die einzelnen Politikfeldern gewidmet sind, die Warlouzet einem der drei Ansätze zuordnet. Diese sind die soziale Regulierung der Globalisierung, die Kontrolle multinationaler Unternehmen, die erstmals mit der gescheiterten Vredeling-Initiative in Angriff genommen wurde, die Organisation globaler Märkte, das europäische Management im Niedergang begriffener Industriezweige wie dem Schiffsbau, die Schaffung europäischer Hochtechnologiefirmen, währungspolitische Kooperation, Wettbewerbspolitik und der Binnenmarkt. In dem dezidierten Versuch des Autors, sozialwissenschaftliche Strukturierung mit historischer Narration zu verbinden, werden alle Politikfelder auf ihrer eigenen Zeitschiene behandelt, gefolgt von einem Schluss, in dem sich der Autor um eine Gesamteinschätzung bemüht.
Jede einzelne Politikfeldstudie gewährt interessante Einblicke in die Präferenzen der drei nationalen Regierungen und der Kommission, in der die verschiedenen Kommissare ihre eigenen Steckenpferde ritten - wie zum Beispiel der italienische Sozialist Altiero Spinelli mit dem Ziel einer europäischen Industriepolitik. Warlouzet arbeitet gerade am Beispiel der Wettbewerbspolitik, mit der er sich intensiv befasst hat, gut heraus, welchen Einfluss einzelne Kommissare im Zusammenspiel mit dem Europäischen Gerichtshof für die nachhaltige Liberalisierung der Märkte und die Eindämmung weitverbreiteter Praktiken von Staatshilfen und technischen Standards zum Schutz nationaler Märkte in der schon bestehenden Zollunion hatten.
Insgesamt vermag es Warlouzet recht gut, die Heterogenität der Akteure deutlich zu machen. Das gilt auch für die nationalen Regierungen, wenngleich der Autor immer mal wieder in einem weit verbreiteten diplomatiegeschichtlichen Manierismus pauschalisierend von "Bonn" und "Paris" spricht. Dabei weist er deutlich auf die zentrale Rolle der Bundesregierung hin. Diese lag nicht nur an der ineffektiven anglo-französischen Kooperation (224), sondern auch daran, dass die Praktiken der sozialen Marktwirtschaft eine geeignete Kompromisslinie zwischen "neoliberaler" Marktpolitik und sozialdemokratischem Keynesianismus darzustellen schienen.
Allerdings gelingt es Warlouzet durch den Fokus auf den Vergleich und die Interaktion dreier Regierungen nicht immer, innerstaatliche und transnationale Konfliktlinien hinreichend herauszuarbeiten, die die Politik im sich entwickelnden "Mehrebenensystem" der heutigen Europäischen Union gekennzeichnet haben. Auch wird durch die thematische Gliederung nicht deutlich genug, wie "neoliberal" die Europäische Gemeinschaft bis 1986 wirklich wurde, zumal der Autor selbst deutlich macht, dass es auch nach 1986 gemeinschaftliche Versuche gegeben hat, auf europäischer Ebene Märkte zu regulieren und Wettbewerb sozial abzufedern (206). Wie wenig "idealtypisch" die wirtschafts- und sozialpolitische Praxis ist, hat kürzlich erst der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier unabsichtlich deutlich gemacht, als er als einer der Nachfolger von Ludwig Erhard zur möglichen Verstaatlichung deutscher Technologieunternehmen zur Abwehr chinesischer Konzerne blies.
Insgesamt ist die Studie dennoch aufschlussreich und zumeist gut lesbar. Kleine sprachliche Ungenauigkeiten entspringen einer nicht immer kompetenten editorischen Bearbeitung. So beschreibt Warlouzet die Stärkung der Wettbewerbspolitik als "not a natural process", obwohl er vermutlich meint, dass diese nicht "inevitable" war. Die Beziehung zwischen Schmidt und Giscard d'Estaing war wohl von großer intellektueller Nähe und nicht von "Engstirnigkeit" ("close-mindedness") gekennzeichnet, wovon der Autor versehentlich spricht (143). Daneben finden sich vermeidbare faktische Fehler, die für eine Taschenbuchausgabe in jedem Fall korrigiert werden sollten. So dürfte es einen "British permanent representative in Britain" (196) kaum gegeben haben. Auch hieß de Gaulles Plan für eine europäische außenpolitische Kooperation nach dem Botschafter in Dänemark "Fouchet-Plan" (nicht Fouché - 194).
Wolfram Kaiser