Andrew Brown / Jan Dumolyn (eds.): Medieval Urban Culture (= Studies in European Urban History (1100-1800); 43), Turnhout: Brepols 2017, VI + 213 S., 10 s/w-Abb., 4 Tabl., ISBN 978-2-503-57742-5, EUR 81,00
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Eline van Onacker: Village Elites and Social Structures in the Late Medieval Campine Region, Turnhout: Brepols 2017
Christian D. Liddy: Contesting the City. The Politics of Citizenship in English Towns, 1250-1530, Oxford: Oxford University Press 2017
Nicole Nyffenegger: Authorising History. Gestures of Authorship in Fourteenth-Century English Historiography, Newcastle upon Tyne: Cambridge Scholars Publishing 2013
Jan Dumolyn / Jelle Haermers / Hipólito R.O. Herrer et al. (eds.): The Voices of the People in Late Medieval Europe. Communication and Popular Politics, Turnhout: Brepols 2014
Andrew Brown / Jan Dumolyn (eds.): Medieval Bruges. c. 850-1550, Cambridge: Cambridge University Press 2018
Andrew Brown: Civic Ceremony and Religion in Medieval Bruges c. 1300-1520, Cambridge: Cambridge University Press 2011
Was haben die Verfolgung von Verrat, die Belästigung durch Schlachtabfälle auf den Straßen, der christlich-jüdische Austausch im zwölften Jahrhundert und das Motiv der Hafenstädte und Flusshäfen in der Landschaftsmalerei des frühen 16. Jahrhunderts, miteinander zu tun? Diese Themen können alle unter dem Namen "mittelalterliche Stadtkultur" untersucht werden. Sie treten in einer Sammlung von Fallstudien auf, die Andrew Brown und Jan Dumolyn unter dem Titel Medieval Urban Culture herausgegeben haben.
Das Ziel dieses Bandes ist es, "die Besonderheiten der städtischen Kultur während des Zeitraums [des Mittelalters] zu erforschen, klarzustellen und zu hinterfragen" (1). Das Konzept "Städtische Kultur" ist aber unbestimmt, und deshalb versuchen die Herausgeber in einem einleitenden Kapitel zu klären, was "städtische Kultur" in der Forschungsgeschichte bedeutet hat. Sie schlagen eine neue Definition vor: "Vor allem war die mittelalterliche Stadt ein Ort, an dem lebende, wahrgenommene und repräsentierte Räume eng mit den Aktivitäten der Menschen, ihrer Beziehung zueinander, ihrer Kommunikation und ihrer persönlichen und kollektiven Identität verknüpft waren. Die Summe von all diesem, könnten wir vorschlagen, ist 'mittelalterliche Stadtkultur'" (22).
Es handelt sich um städtische Räume, um eine Definition die von der "räumlichen Wende" (spatial turn) grundlegend bedingt wird. Individuen und Gruppen. die in diesen Räumen leben, bestimmen durch ihr Verhalten die städtische Kultur. Was in der Stadt passiert, gehört zur städtischen Kultur, selbst wenn dasselbe Verhalten auch anderswo in der mittelalterlichen Gesellschaft zu spüren war. So fragen die Herausgeber nicht zu unrecht, ob es im Mittelalter überhaupt eine Kultur gegeben hat, die spezifisch "urban" war (4). Eine deutliche Antwort geben sie aber nicht.
Innerhalb der Stadt lassen sich mehrere Kulturen unterscheiden. "Eine Definition der urbanen Kultur muss den Verweis auf interne Hierarchien, Prozesse der Inklusion und Exklusion beinhalten, Pluralismus und Konflikt sowie vorübergehenden Konsens" (5).
Vergebens fragt man die Herausgeber, was denn eigentlich "Stadt" sei. Die Beiträge befassen sich meist mit den größten Städten des Mittelalters, mit Venedig, Florenz, Antwerpen, Paris, Brügge, und gar fünf Beiträge befassen sich mit London. Das sind keine durchschnittlichen Städte, sondern große Metropolen. In London und Paris gibt die Anwesenheit des Königs Anlass zu politischen Äußerungen von Seiten der Bürger, die anderswo im Königreich vielleicht nicht oder zumindest nicht so häufig zu Problemen führten. Da diese Formen der politischen Kommunikation in der Stadt stattfanden, sind sie Teil der städtischen Kultur wie sie hier definiert wurde. Es wird nur in einem Aufsatz, in dem die politischen Verhältnissen in Paris und Sens unter den letzten Kapetingern verglichen werden, auf die Unterschiede zwischen einer Metropole und einer kleineren (aber immer noch erzbischöflichen) Stadt eingegangen (Chris Jones, 139-156).
Die meisten Beiträge differenzieren nicht zwischen innerstädtisch unterschiedlichen Kulturen (Claire Judde de Larivière, 27-40, bildet mit einem Aufsatz über die unterschiedliche Raumerfahrung von Eliten und anderen Einwohnern Venedigs eine Ausnahme). Stattdessen arbeiten die Autoren eher mit einem einheitlichen Begriff von städtischer Kultur. Um den theoretischen Ansatz des Bandes beizubehalten war es nicht notwendig, Beispiele von kleineren Städten, oder von Städten aus anderen Ländern, aufzuarbeiten. Die Herausgeber bedauern zwar, keine Beiträge über spanische oder deutsche Städte aufgenommen zu haben, aber da alle vorhandenen Beiträge städtische Angelegenheiten behandeln, und darum unter dem Titel "städtischer Kultur" aufgeführt werden konnten, war das freilich nicht notwendig.
Möglicherweise waren die Themen, die in den einzelnen Beiträgen angegangen werden, tatsächlich einfacher in Großstädten zu untersuchen, da dort mehr Menschen auf engem Raum lebten. Und aufgrund dieser Konzentration von Menschen mag sich die Ausübung von Macht, zum Beispiel durch den König, in Städten manifestiert haben. Möglicherweise ist das Verhalten der Londoner in Fällen von Verrat so zu erklären (zu diesem Thema gibt es sogar zwei Aufsätze, von E. Amanda McVitty, 93-109, und Roger Nicholson, 125-138).
"Die Notwendigkeit von sanitären Einrichtungen war ein grundlegendes Merkmal einer Stadt", wie Rouse es ausdrückt (Barbara Rouse, 75-92, hier 76). Ein Grund dafür wäre die im Vergleich zu den Begebenheiten auf dem Lande erhöhte Bevölkerungsdichte. Und es war eben die städtische Demografie die es ermöglichte, so argumentiert Mews, dass "Begegnungen zwischen Juden und Christen im urbanen Kontext stattfanden und dazu beitrugen, die Scholastik als ausgeprägte städtische intellektuelle Kultur zu entwickeln" (Constant J. Mews, 157-169, hier 168). Bevölkerungszunahme und räumliche Dimension der Stadt beeinflussten den Aufbau einer ausgeprägten städtischen Identität ohne Zweifel grundlegend. Im Fall von Antwerpen wurde diese unverwechselbare urbane Kultur und Ideologie durch Entscheidungsprozesse bei kommerziellen Aktivitäten stark gepflegt. Das kam u.a. zum Ausdruck in dem oben erwähnten Motiv der Hafenstädte und Flusshäfen in der Landschaftsmalerei (Katrien Lichtert, 183-199, hier 195).
Eine endgültige Antwort auf die Frage, was mittelalterliche Stadtkultur ist, ist nicht leicht zu geben. Wahrscheinlich wäre es am effizientestem, wenn man sich doch auf jene Phänomene der Stadtkultur konzentrieren würde, die in Städten häufiger anzutreffen sind als auf dem Lande. Die Untersuchung von Beispielen aus den Metropolen kann dabei hilfreich sein, da Zeitgenossen diese großen städtischen Siedlungen als Modelle für die urbane Kultur sahen. Dies wird durch den abschließenden Beitrag zu dieser Sammlung veranschaulicht (Kim M. Phillips, 201-213), der sich mit der Art und Weise beschäftigt, in der westliche Beobachter chinesische Städte betrachteten (immer im Licht der im Westen gängigen Vorstellungen von Urbanität).
Was ist Stadtkultur? Und was ist eine Stadt? Diese Fragen provozieren neue Antworten, wann immer sie aus einem neuen Blickwinkel gestellt werden. Das Phänomen der mittelalterlichen Stadt ist jedoch zu vielfältig, um auf eine endgültige Antwort hoffen zu dürfen. Eine der interessanteren neueren Bemühungen, diese Fragen zu beantworten, ist dieser Band. Möge er zu vielen Diskussionen über seine Annahmen und Folgerungen führen.
Marco Mostert