Alexander Schunka: Die Hugenotten. Geschichte, Religion, Kultur (= C.H. Beck Wissen; 2892), München: C.H.Beck 2019, 128 S., 2 Kt., ISBN 978-3-406-73431-1, EUR 9,95
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Peter Opitz (Hg.): 500 Jahre Reformation. Rückblicke und Ausblicke aus interdisziplinärer Perspektive, Berlin: De Gruyter 2018
Johannes Wischmeyer (Hg.): Zwischen Ekklesiologie und Administration. Modelle territorialer Kirchenleitung und Religionsverwaltung im Jahrhundert der europäischen Reformationen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013
Peter Opitz (ed.): The Myth of the Reformation, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013
Helga Schnabel-Schüle (Hg.): Reformation. Historisch-kulturwissenschaftliches Handbuch, Stuttgart: J.B. Metzler 2017
Anke Grodon: Mythen und Wahrheiten. Hugenotten in der Uckermark, Cottbus: Regia-Verlag 2005
Laurence Vial-Bergon: Charles François d'Iberville, Résident de France à Genève, Correspondance (1688-1690). Tome I: Décembre 1688 - Décembre 1689. Tome II: Janvier 1690 - Décembre 1690, Genève: Droz 2003
Kevin Sharpe: Selling the Tudor Monarchy. Authority and Image in Sixteenth-Century England, New Haven / London: Yale University Press 2009
Markus Friedrich / Alexander Schunka (eds.): Reporting Christian Missions in the Eighteenth Century. Communication, Culture of Knowledge and Regular Publication in a Cross-Confessional Perspective, Wiesbaden: Harrassowitz 2017
Alexander Schunka: Ein neuer Blick nach Westen. Deutsche Protestanten und Großbritannien (1688-1740), Wiesbaden: Harrassowitz 2019
Alexander Schunka: Soziales Wissen und dörfliche Welt. Herrschaft, Jagd und naturwahrnehmung in Zeugenaussagen des Reichskammergerichts aus Nordschwaben (16.-17. Jahrhundert), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2000
Die Hugenotten sind ein beliebtes Thema der jüngeren historischen Forschung. Über die Beschäftigung mit ihnen lassen sich Fragen der Reformationsgeschichte, der Geschichte konfessioneller Minderheiten, nach Toleranz und Intoleranz sowie der Migrationsgeschichte erörtern. Damit aber sind sie zugleich hochaktuell, denn Bezugnahmen auf gegenwärtige Probleme und Herausforderungen liegen geradezu auf der Hand. Mit dem Forschungsboom geht auch ein wachsendes Bedürfnis nach einführender Literatur für Studierende, Lehrende wie auch ein breiteres, allgemein interessiertes Publikum einher. Die bestens etablierte Reihe "Wissen" des C.H.Beck-Verlags kommt diesem Bedürfnis mit seinen handlichen Bändchen sehr entgegen. Dass es nun auch die Hugenotten in diese Reihe geschafft haben, verweist erneut auf das wachsende Interesse am Thema.
Einführungen in die Geschichte und Kultur der Hugenotten, der protestantischen Minderheit in Frankreich, sowie ihrer Migration sind seit einigen Jahren auf dem Markt. Das noch recht stark einer Binnenperspektive verhaftete enzyklopädisch angelegte Buch von Eberhard Gresch liegt inzwischen in der 5. Auflage vor [1], und seit 2006 kann auch die Darstellung von Barbara Dölemeyer als verbreitete Einführung gelten. [2] 2011 hat auch der Verfasser der vorliegenden Rezension ein schmales Bändchen veröffentlicht. [3] Es bietet sich also an, die hier zu besprechende Publikation auch vor dem Hintergrund der vorliegenden Einführungen in die Thematik zu lesen. Dabei fällt auf, dass Schunka nicht versucht, das Rad neu zu erfinden, dass es ihm aber durchaus gelingt, an einigen Stellen neue Akzente zu setzen.
Die gut lesbar geschriebene Darstellung betont einleitend vor allem den Fokus auf die Migrationsgeschichte, bietet dann aber doch sehr umfassende und prägnante Informationen zur Geschichte des Protestantismus in Frankreich. Immerhin fast die Hälfte des Bändchens widmet sich der Entwicklung des Protestantismus in Frankreich sowie des obrigkeitlichen Umgangs mit ihm, wobei die humanistischen Reformbestrebungen vor der Rezeption reformatorischer Schriften aus Deutschland vielleicht etwas zu kurz kommen. Die anfänglich schwankende Haltung der Krone, die Konjunkturen von Duldung und Verfolgung, die Eskalation in den Bürgerkriegen und in der berühmten Bartholomäusnacht werden luzide und differenziert dargestellt, ebenso die Entwicklungen nach dem Edikt von Nantes und bis zur Aufhebung desselben 1685 im Edikt von Fontainebleau. Schunka gelingt es dabei, die in der älteren, oft von Hugenottennachfahren verfassten Literatur vielfach betonten Opfernarrative zu vermeiden und stattdessen die sozialen Verwerfungen hervorzuheben, die zu Grausamkeiten auf beiden Seiten führten, aber auch immer wieder Spielräume zur praktischen Koexistenz im alltäglichen Umgang ließen. Ob freilich in den Bürgerkriegen des 16. Jahrhunderts wirklich eine Frontstellung zwischen einer "königlich-katholischen Seite" (31) und den Hugenotten konstatiert werden kann, ist eher fraglich angesichts der Tatsache, dass die Krone selbst zwischen den auch (aber nicht nur) konfessionell bestimmten Parteien lavieren musste und zwischenzeitlich sogar zwischen ihnen aufgerieben zu werden drohte. Dass freilich religiöse, ökonomische, soziale und politische Verwerfungen einander durchdrangen, dass also die Frage, ob es sich tatsächlich um Religionskriege gehandelt habe, somit eigentlich kaum zu beantworten ist, stellt Schunka sehr deutlich und plausibel heraus. Und so betont er auch zu Recht, dass der Weg in die Aufhebung des Edikts von Nantes eigentlich aus einer spürbaren Erstarkung der Monarchie spätestens seit Antritt der Selbstregierung Ludwigs XIV. 1661 nur folgerichtig gewesen sei.
Sehr begrüßenswert ist der Fokus des Verfassers auch auf wissenskulturelle Zusammenhänge. Schunka geht nicht nur auf die Bildungsinstitutionen der Hugenotten ein, sondern auch auf deren Profile (insbesondere der Akademie von Saumur) und auf die theologischen, philosophischen und wissenschaftlichen Debatten. So wird deutlich, dass der französische Protestantismus nicht einfach ein homogener Block war, sondern von Richtungsstreitigkeiten etwa zwischen der strengen Genfer Auslegung der calvinistischen Prädestinationslehre und dem Universalismus eines Moyse Amyraut geprägt war, ein Streit, der mit der Synode von Dordrecht 1618 keineswegs endgültig beigelegt war.
Im zweiten Teil des Buches geht es dann um die Migration der Hugenotten, die keineswegs erst mit dem Edikt von Fontainebleau einsetzte. Vielmehr macht Schunka deutlich, dass das 'Premier Refuge' des 16. Jahrhunderts Wanderungswege und Zielorte vorprägte. Sehr deutlich wird auch, dass wir uns das 'Refuge' nicht zu eindimensional vorstellen sollten. Die Migration von Hugenotten war mitnichten ein einmaliger und dann abgeschlossener Vorgang. Vielmehr war sie geprägt von einem hohen Maß an Fluktuation, von Sekundär- und Tertiärwanderungen, von Rückwanderungen und einem mehrfachen Hin- und Herreisen. Entlang des Rheins entstanden ebenso wie in den Niederlanden und England schon im 16. Jahrhundert Zufluchtsorte, teilweise (insbesondere in den deutschen Territorien) sogar neuangelegte Siedlungen, die zumeist auch oder sogar vorrangig von französischsprachigen Wallonen aus den südlichen Niederlanden besiedelt wurden. Herausragend war zudem die Stellung Genfs, aber auch Frankfurts. Die bereits existierenden Gemeinden dienten auch im "Grande Refuge" des ausgehenden 17. Jahrhunderts als Anlaufstellen, als Orte der Informationsbeschaffung und ersten Hilfe.
Gleichwohl kamen im 17. Jahrhundert neue Aufnahmegebiete hinzu. Schunka widmet sich dabei ausführlich der Aufnahme von Hugenotten in Brandenburg-Preußen, das als von den französischen Grenzen weit entferntes, in vielerlei Hinsicht geografisch benachteiligtes Territorium einen besonders großen Aufwand betrieb, um Hugenotten zur Ansiedlung zu gewinnen. Neben der konfessionellen Solidarität spielten die zeitgenössischen Wirtschaftslehren und Peuplierungsinteressen eine zentrale Rolle im Wettbewerb um Neusiedler. Differenziert stellt Schunka sowohl die Erwartungshaltungen der kurfürstlichen Regierung als auch die zumindest in Teilen eher ernüchternden Realitäten dar. Andere deutsche Aufnahmeländer werden im Vergleich zu Brandenburg eher knapp und kursorisch angesprochen. Die europäische Dimension der Hugenottenmigration hingegen wird durchaus thematisiert. Einen besonderen Akzent setzt Schunka bei den globalen Zusammenhängen. Er spricht von einer "globalen Diaspora", die bei allen unterschiedlichen Entwicklungen doch lange an einem Gemeinschaftsgefühl und einer gemeinsamen Identität festhielt, Kontakte aufrechterhielt und auch von Außenstehenden als Gemeinschaft wahrgenommen werden konnte. Dabei geht es nicht nur um überseeische Siedlungsräume, sondern auch um hugenottische Partizipation an der europäischen Expansion, an der Sammlung von Wissen über die außereuropäische Welt und die dadurch induzierten Debatten in Europa.
Abschließend reflektiert Schunka noch einmal die Bedeutung der Geschichte der Hugenotten für die gegenwärtige Welt, macht aber auch deutlich, wie sehr diese Geschichte immer noch von Mythenbildungen geprägt ist. Insgesamt legt er damit ein sehr lesenswertes Bändchen vor, das nicht nur als Einführung in die komplexe Thematik funktioniert, sondern auch als anregende und differenzierende Lektüre für diejenigen, die sich schon länger mit den Hugenotten befassen.
Anmerkungen:
[1] Eberhard Gresch: Die Hugenotten. Geschichte, Glaube und Wirkung, 5. Aufl., Leipzig 2015.
[2] Barbara Dölemeyer: Die Hugenotten, Stuttgart 2006.
[3] Ulrich Niggemann: Hugenotten (= UTB. Profile), Köln u.a. 2011.
Ulrich Niggemann