Judith Mengler / Kristina Müller-Bongard (eds.): Doing Cultural History. Insights, Innovations, Impulses (= Mainzer Historische Kulturwissenschaften; Vol. 41), Bielefeld: transcript 2018, 195 S., 1 Farb-, 2 s/w-Abb., ISBN 978-3-8376-4535-4, EUR 34,99
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Wie Kulturgeschichte zu schreiben ist, steht in keiner Einführung. Ein Band, bei dem der Leser Autorinnen und Autoren bei der schrittweisen Entwicklung ihrer Überlegungen und der Entfaltung ihrer Thesen zusehen kann, ist daher hochwillkommen. Erzählt werden Vorgehensweisen, Vorannahmen und Erwartungshaltungen (bsp. 29, 40). Diese Arbeitsberichte und die anderen Aufsätze kommen aus dem Mainzer "Forum Junge Kulturwissenschaften" und behandeln Themen der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte. Schwerpunkte bilden Friedensvorstellungen und Männlichkeitsbilder, die mittelalterliche Geschichte Schottlands sowie narrative Elemente in juristischen Texten.
Die letztgenannte Sektion verbindet eine kurze Einleitung (Cathleen Sarti, Damien B. Schlarb, Charlotte Backera), die als das Gemeinsame die Frage herausarbeitet, wie mittels einer "fictitious reinvention of historical reality" (60) Gemeinschaften erzeugt und Verhaltensweisen reguliert werden. Die Antworten variieren von Fall zu Fall: In der "Bill of Rights" von 1689 verschleierten erzählende Textelemente die rechtlich problematischen Positionen. Der 1731 abgeschlossene zweite Wiener Vertrag habe dadurch seine eigene Realität geschaffen, dass die Vereinigten Niederlande als Vertragspartner aufgeführt wurden, obgleich sie nicht an den Verhandlungen beteiligt gewesen waren, aber als dessen Folge dem Vertrag beitraten. Jonathan Winthrop wiederum, der erste Gouverneur der Massachusetts Bay Colony, soll den Puritanern Neuenglands mit seiner Predigt "A Model of Christian Charity" (1630) ein ideales Gemeinschaftsmodell geboten haben, indem er emotionale Aspekte bediente. Seine Einlassungen werden hier aber nicht als Predigt, der Emotionalität ja prinzipiell gattungsgemäß ist, sondern als juristischer Text gelesen. Die Beispiele sind erhellend, verweisen sie doch auf die Notwendigkeit quellenkritischen Vorgehens auch in kulturgeschichtlichen Studien.
Die Themen in der Rubrik Kommunikation des Friedens sind die Antizipation eines möglichen neuen Krieges im englisch-schottischen Friedensvertrag von Edinburgh-Northampton von 1328 (Davina Hachgenei) und die Darstellung des Münsteraner Friedens zwischen Spanien und den nördlichen Niederlanden von 1648 im bekannten Gemälde Gerard ter Borchs (Kristina Müller-Bongard). Als "snapshot" des Eidschwörens (47) und durch seine Verbreitung als Stich habe das Bild die visuelle Darstellung weiterer Friedensverträge geprägt [1], so des Friedens von Breda, der 1667 den zweiten englisch-niederländischen Seekrieg beendete. Matthias Däumer beleuchtet in einem lebendig geschriebenen Text, der mit Anachronismen und Aktualisierungen spielt, Kriegserfahrungen und Friedensvorstellungen in der Artus-Literatur.
Den Faktor Gewalt nehmen auch die Beiträge zu mittelalterlichen Männlichkeitsidealen in den Blick: Dominik Schuh zeigt, wie in fiktionalen Texten die Unfähigkeit der Protagonisten, physischer Gewalt zu widerstehen, zur sozialen Unordnung führt. Judith Mengler betrachtet auf originelle Weise "mutige" ("couragous") Chirurgen (131) der mittelalterlichen Militärmedizin. Sie hätten vergleichbare Qualitäten wie die Kämpfenden benötigt und diese selbst demonstrieren müssen, um nicht die eigene Männlichkeit in Frage zu stellen.
Die Studien zu Schottland fragen nach dem Aufstieg der adligen Familie Maxwell durch Heiratspolitik (Julia Noll), nach Klöstern in den Schottischen Unabhängigkeitskriegen (Sebastian Weil) und beleuchten kritisch das historiographische Erklärungsschema eines "clash of civilisations" im mittelalterlichen Schottland (Matthias Berlandi). Berlandi zeigt damit auch, wie der Begriff "Kultur" zur "black box" werden kann (156).
Vielleicht hätte generell eine verstärkte Kontextualisierung und Einbettung in die Forschungskontexte, die etwa die Aufsätze von Mengler oder Weil bieten, das Einzelne zu einem Ganzen gerundet. Oder eine Einleitung, die die unterschiedlichen Untersuchungsgebiete verbunden oder Forschungsfelder abgesteckt hätte. Auch wenn die Vortragsfassungen fast durchweg beibehalten wurden, hätte sich beispielsweise beim Thema "Frieden" ein stärkerer Bezug zur historischen Friedensforschung und bei der Analyse von Verträgen deren Einordnung in die internationalen Beziehungen angeboten. Aufschlussreich wäre zudem die Frage gewesen, was kulturwissenschaftliches Arbeiten in diesem Band ausmacht. [2] Die anschauliche - wenngleich im Kern auf die Globalgeschichte orientierte - Einführung Roland Wenzlhuemers bietet dafür wichtige Ansätze. [3]
Eine aufmerksamere Redaktion des - wie die knappe Einleitung betont - spontan konzipierten Bandes (12) hätte Überflüssiges und Fehler eliminieren können, wie die Erläuterungen zu bei der Quellenarbeit verwendeten Farbmarkierungen (110 f.) oder die Nennung einer Autorin unter verschiedenen Nachnamen (12, 29).
Das Close Reading der Quellen in vielen Beiträgen eröffnet jedoch die Nachvollziehbarkeit des Arbeits- und Argumentationsganges. So bietet der Band erste Zugänge zu unterschiedlichen Gegenstandsbereichen und zu diversen Quellengruppen sowie gelungene Fallstudien.
Anmerkungen:
[1] Vgl. auch Alison M. Kettering: Gerard ter Borchs "Beschwörung der Ratifikation des Friedens von Münster" als Historienbild, in: 1648: Krieg und Frieden in Europa. Textbd. 2: Kunst und Kultur, hgg. von Klaus Bußmann / Heinz Schilling, Münster 1998, 605-614.
[2] Vgl. zum weiteren Fokus die Darstellung von Denkansätzen und Methoden bei Ute Daniel: Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter, 7. Aufl., Frankfurt am Main 2016.
[3] Roland Wenzlhuemer: Globalgeschichte schreiben: eine Einführung in 6 Episoden, Stuttgart 2017.
Astrid Ackermann