Harm Klueting / Wolfgang Schmale (Hgg.): Das Reich und seine Territorialstaaten im 17. und 18. Jahrhundert. Aspekte des Mit-, Neben- und Gegeneinanders (= Historia profana et ecclesiastica. Geschichte und Kirchengeschichte zwischen Mittelalter und Moderne; Bd. 10), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2004, IX + 236 S., ISBN 978-3-8258-7414-8, EUR 24,90
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Mit ihrer zweiten Tagung 2002 haben sich die Deutsche und die Österreichische Gesellschaft zur Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts erneut in den Dienst der Verständigung über die gemeinsame frühneuzeitliche Vergangenheit gestellt. Dies ist bekanntlich kein unkompliziertes Unterfangen: Das österreichische Bemühen um Distanzierung, begründet in der jüngeren Geschichte, spielt dabei eine wesentliche Rolle. 2004 ist nun der Tagungsband "Das Reich und seine Territorien im 17. und 18. Jahrhundert. Aspekte des Mit-, Neben- und Gegeneinander" erschienen. In der Einleitung spricht der Herausgeber Harm Klueting die unterschiedlichen historischen Welten der beiden Seiten ebenso an wie das Bemühen um übergreifende, gemeinsame Ansatzpunkte. Er stellt heraus, dass österreichische und deutsche Autoren, die nach ihrem Tätigkeitsort zugeordnet werden (3), sich in der Herangehensweise an die Frage nach "Reich und Territorialstaaten" nach wie vor unterschieden: Während in Österreich die Tradition der österreichischen Reichsgeschichte fortwirkte, betonte die deutsche Seite seit den 1960er Jahren das Funktionieren des Reichsverbandes.
Der von Klueting gemeinsam mit Wolfgang Schmale herausgegebene Band nimmt sein Thema unter verschiedenen Gesichtspunkten in den Blick und betrachtet die "föderalistischen, die hierarchischen und die dualistischen Kräfte im Reich" ebenso wie das "Herauswachsen" größerer Reichsstände aus dem Reich (2). Ein zentraler Punkt der Auseinandersetzung zwischen der deutschen und der österreichischen Seite, die Einbindung Österreichs in das Reich - dazu hat Klueting selbst 1999 eine Monographie vorgelegt [1] -, wird in erster Linie am Beispiel des Kaisers selbst thematisiert. Er sollte, so Klueting, "stärker den Territorialstaaten als dem Reich zu[geordnet]" werden (1). Dies wird begründet mit der Stärkung der landesherrlichen Position des Kaisers, die dieser durch den Westfälischen Frieden erfahren habe, sowie mit der Großmachtpolitik des Hauses Österreich im ausgehenden 17. und im 18. Jahrhundert. Der Kaiser als Reichsoberhaupt sollte nach Klueting gleichwohl mitbedacht werden. Die Frage nach den Rollenkonflikten des Kaisers, zwischen seinen Funktionen für Reich, Erblande und Dynastie, wird indes nicht ausdrücklich gestellt, obwohl doch gerade die Prägung der kaiserlichen Reichs- durch die habsburgische Interessenpolitik ab der Mitte des 18. Jahrhunderts nicht selten heikel für das Reichssystem wurde.
Wenn Christof Römer vom Auf und Ab der Beziehungen zwischen Wien und den welfischen Territorien erzählt, vermischen sich freilich die Rollen des Kaisers als Reichsoberhaupt und als Territorialherr, aber maßgeblich ist erstere. Zu ähnlichen Befunden gelangt auch Matthias Schnettger, der die wechselvollen Beziehungen zwischen Kurpfalz und Kaiser vorführt und zeigt, wie die Politik Wiens sich im 18. Jahrhundert "allmählich von einer kaiserlich-reichsrechtlich geprägten zu einer primär machtpolitisch orientierten Politik hin" entwickelte (93). Gabriele Haug-Moritz führt ebenso Grundlinien der kaiserlichen Politik vor. Sie arbeitet den Reichshofrat als maßgebliches Instrument zur faktischen Kompensation des kaiserlichen Positionsverlustes nach 1648 heraus. Zur Bewahrung der eigenen Handlungsfähigkeit, das betont sie wie Schnettger, musste es eine "Grundmaxime kaiserlichen Handelns" sein, auch in konfessionellen Fragen den Anspruch auf das oberste Richteramt aufrechtzuerhalten (Schnettger, 83).
Ein verbindendes Element mehrerer Beiträge ist zudem die Betonung der Jahre um 1750 als "Schwellenzeit" (Franz M. Eybl), die unter verschiedenen Aspekten untersucht wird: des Renversement des alliances, der zuvor von der Wiener Politik intendierten Neutralisierung Norddeutschlands (Römer) wie der besonderen Geschlossenheit der "protestantische[n] Nation" seit den 1750er Jahren (Haug-Moritz, 33). Auch die beobachtete "Nationalisierung der Gelehrtenrepublik" spricht für diese Datierung (Eybl, 152). In René Hankes instruktiver Fallstudie zur Außenpolitik Sachsen-Polens, einer Mittelmacht zwischen zwei verfeindeten Großmächten, ist die Zeit um 1750 ebenfalls Bezugspunkt. Hanke betont die Offenheit der Situation bis zum Siebenjährigen Krieg: Hätte nicht auch diesem Land der Aufstieg zur Großmacht gelingen können? Er zeigt, wie Abhängigkeiten, das Lavieren zwischen den Positionen sowie kurzfristige Mittel- und Zielveränderungen zu den Grundkonstanten der Politik eines solchen Staates in dieser Zeit gehörten.
Zur Auslotung der "machtpolitischen Intentionen bzw. Realitäten" im Reich dient Christian Benedikt die Architektur (112). Ihre Funktion im Ringen der Reichsfürsten um Macht- und Souveränitätsansprüche spricht auch Andreas Pečar an. Bezugspunkt ihrer Bemühungen um Rang und Ehre war "nicht eine höfische Gesellschaft des Reiches" (205) im Sinne Alois Winterlings, vielmehr hätten sie in einem Status-Wettbewerb mit den europäischen Monarchen gestanden.
Den Stichworten "Habsburgermonarchie"/"Österreichbewusstsein" können die Beiträge von Dana Štefanová und Christoph Gnant zugeordnet werden. Während Štefanová sich anhand der "Schwarzenberg Bank" adligen Wirtschaftsaktivitäten und deren Motivierung zuwendet, verfolgt Gnant die Entwicklung der Disziplin österreichische Reichsgeschichte, die der "Etablierung eines österreichischen Staatsbewusstseins" (20) dienen sollte. Schon im ausgehenden 19. Jahrhundert wurde also ein österreichisches Eigenbewusstsein historiographisch gestützt. Schmale operiert mit dem Begriff des "Gedächtnisraumes": Auf der Ebene der Wahrnehmung von außen, von französischer Seite, setzt er diesen Prozess des Ausscheidens Österreichs aus Deutschland bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert an.
Der Band vereint damit informative Darstellungen. Insbesondere zur Rolle des Kaisers und zum Agieren der Mittelmächte finden sich aufschlussreiche Informationen und Anstöße, ebenso zu Kontinuitäten zwischen den Klosteraufhebungen unter Joseph II. und der Säkularisationsdiskussion im Reich vor 1803 (Klueting). Manche Beiträge geben indes vor allem eine Reihe von Hinweisen (Eybl, Römer, Štefanová ). Auch Schmale streift in seiner "Propagandageschichte einer virtuellen europäischen Vereinigung und Enteinung" eine Vielzahl von Entwicklungen und Ereignissen, bis hin zu den pornographischen Schriften über Marie Antoinette. Die Begrifflichkeit allerdings ist teilweise problematisch. So legt der wiederkehrende Terminus "Europapolitik" die Assoziation nahe, es gehe um ganz Europa betreffende Ordnungsvorstellungen, wo von machtpolitischen Manövern und hegemonialen Ansprüchen die Rede ist.
Der unter Historiken zu beobachtende deutsch-österreichische Konflikt tritt übrigens wider Erwarten nicht allzu deutlich hervor. So ist beispielsweise für Gnant (Wien) das Alte Reich das Heilige Römische Reich (19) und nicht jenes "vom Hochrhein bis an den Ostrand der Karpaten" (2). Doch wird ersteres als solches ja generell kaum zum Thema. Wurde die Konfrontation umschifft? Symptomatisch ist wohl Schmales expliziter wie inhaltlich wenig überraschender Hinweis, die "deutschsprachigen österreichischen Erblande" hätten "auf jeden Fall", "völlig unzweifelhaft zur Germania", zum Heiligen Römischen Reich gehört (114). Handelt es sich, wie Wolfgang Burgdorf [2] gemutmaßt hat, um einen Konflikt unter österreichischen Historikern? Zu vermerken bleibt, dass eine Verständigung über ein engeres gemeinsames Kriterienraster wohl wünschenswert gewesen wäre, zumal in erster Linie die Einleitung als Klammer dient und die Syntheseleistung dem Leser überlassen bleibt.
Anmerkungen:
[1] Harm Klueting: Das Reich und Österreich 1648-1740, Münster 1999.
[2] Wolfgang Burgdorf: Rezension von: H. Klueting: Das Reich und Österreich 1648-1740, Münster 1999, in: H-Soz-u-Kult (19.10.2000), URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=470
Astrid Ackermann