Rezension über:

Alfons Kenkmann / Bernadette Spinnen / bcsd e. V. (Hgg.): Stadtgeschichte, Stadtmarke, Stadtentwicklung. Zur Adaption von Geschichte im Stadtmarketing, Heidelberg: Springer-Verlag 2019, X + 163 S., zahlr. Abb., 2 Tbl., ISBN 978-3-658-23705-9, EUR 38,00
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Rezension von:
Daniela Mysliwietz-Fleiß
Historisches Seminar, Universität Siegen
Redaktionelle Betreuung:
Christian Kuchler
Empfohlene Zitierweise:
Daniela Mysliwietz-Fleiß: Rezension von: Alfons Kenkmann / Bernadette Spinnen / bcsd e. V. (Hgg.): Stadtgeschichte, Stadtmarke, Stadtentwicklung. Zur Adaption von Geschichte im Stadtmarketing, Heidelberg: Springer-Verlag 2019, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 2 [15.02.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/02/33407.html


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Alfons Kenkmann / Bernadette Spinnen / bcsd e. V. (Hgg.): Stadtgeschichte, Stadtmarke, Stadtentwicklung

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Eine "anhaltende Begierde nach Geschichte" attestiert Alfons Kenkmann als Mitherausgeber des Sammelbandes zur "Adaption von Geschichte im Stadtmarketing" in der Überschrift seines programmatischen Beitrags den Menschen der Gegenwart. Sie treibe die Suche nach dem Authentischen, das sie in der Geschichte - in Reenactments, Mittelalterspektakeln und historisch rekonstruierten Bauwerken - suchten, an. Dass es sich dabei jeweils um "Events", um künstliche Erlebnisse handelt, die gerade nicht authentisch sind, wird zwar am Rande festgestellt, aber nicht problematisiert.

Diese so begehrte Geschichte, und dass sie begehrt ist, zeigt eine große Spannbreite von Untersuchungen der vergangenen Jahre, scheint aber auch im Bereich des Stadtmarketings, wie viele Beiträge vermuten lassen, gerne ohne Historikerinnen und Historiker auszukommen, zumindest ohne solche, die ganz im Rankeschen Sinne eine Geschichtswissenschaft betreiben wollen, die nicht zweckgebunden ist. Zwar ziehen Marketingexperten Historikerinnen und Historiker zu Rate, um ihre praktische Arbeit auf einen einigermaßen festen Grund zu stellen, sie nicht als reine Fiktion erscheinen zu lassen. Was für eine Geschichte sie letztlich nutzen und wie sie sie nutzen, hängt jedoch vom gewünschten Marketing-Ziel ab. Das widerspricht zumeist dem Ziel der Geschichtswissenschaft natürlich grundlegend, die zweckfrei betrieben werden und nicht den Gesetzen eines Marktes gehorchen sollte.

Diese Problematik greift der Sammelband indes in weiten Strecken nicht auf. Basierend auf einer Tagung aus dem Jahr 2015, veranstaltet von der Bundesvereinigung City- und Stadtmarketing Deutschland e.V., mit dem Ziel "den Praktikerinnen und Praktikern in den Städten Deutschlands konkrete Beispiele für einen Umgang mit Stadtgeschichte aufzuzeigen" (VI), geht es ganz im Gegenteil vorwiegend um die Nutzung der Geschichte, verstanden zwar als "seriöse Inwertsetzung und Übersetzung" (VI), aber doch zweckgebunden in ihrer Interpretation als Alleinstellungsmerkmal und Mittel einer städtischen Identitätskonstruktion.

Zwar sind sich die Herausgeber der Problematik bewusst, dass es bei der Stadtgeschichte als Teil des aktuellen Geschichtsbooms häufig zu einer unlauteren "Ausbeutung der Geschichte zum Zwecke ihrer massentauglichen Vermarktung" (V) komme, und berechtigterweise stellen sie fest, dass es "Vertretern der historischen Wissenschaften in Museen oder anderen Institutionen der Geschichtsvermittlung durchaus nicht immer [gelingt], Stadtgeschichte zu einem interessanten und begehrten Narrativ für Viele zu machen" (V-VI). Die Lösung kann jedoch aus Sicht der Geschichtswissenschaft nicht lauten - und das erscheint letztlich doch als Tenor des Bandes -, sich dem Stadtmarketing anzudienen, um überhaupt geschicht(swissenschaft)liche Inhalte in die Öffentlichkeit zu transportieren.

Sehr strukturiert arbeitet der Beitrag von Gerold Leppa unter dem Titel "Stadtgeschichte verkauft sich gut und gibt den Städten Kraft" unter Bezug auf die Stadtsoziologie von Martina Löw die Mechanismen heraus, die in der Postmoderne Geschichte zum wesentlichen Teil einer Stadtidentität werden lassen. Ein Praxisbeispiel der Mitherausgeberin Bernadette Spinnen verdeutlicht die Bedeutung von Geschichte als Alleinstellungsmerkmal einer Stadt. Hier wird das Interesse der 'Praxis' des Stadtmarketings an der Geschichte klar ersichtlich. Doch welches Interesse motiviert Historikerinnen und Historiker, den entsprechenden Gegenpart zu spielen? Wie genau sollte dieser aussehen?

Hierauf gibt der Beitrag von Irmgard Zündorf, Koordinatorin des Studiengangs 'Public History' an der Freien Universität Berlin, eine dezidierte Antwort, indem er zwischen 'Public History' und 'History Marketing' differenziert. Ziel der 'Public History' sei es, Geschichtsdarstellungen an eine breite Öffentlichkeit zu vermitteln, ohne dass der geschichtswissenschaftliche Kern verloren gehe. Trotz eines nötigen Unterhaltungswerts dürfe die geschichtswissenschaftliche Grundlage nicht nur ein Etikett sein. Nötig dazu seien "Public Historians [...], die sich immer noch als Historiker verstehen und nicht zum Beispiel als Marketingexperten" (65). 'History Marketing' dagegen betrachte Geschichte allein als Rohstoff, der gestaltbar ist und instrumentalisiert werden könne.

Dass wissenschaftliche Erkenntnisse gar gänzlich ohne Qualitätsverluste in die Öffentlichkeit getragen werden können, demonstriert der Beitrag von Viola van Melis, der aus der Überzeugung heraus, dass die Geistes- und Sozialwissenschaften Orientierungswissen für aktuelle Debatten und Ereignisse lieferten, konkrete Handreichungen zur Popularisierung bietet.

'Public History', das betont auch Zündorf, könne gleichzeitig verstanden werden als Unterdisziplin der Geschichtswissenschaft, die das Phänomen der Geschichtsdarstellung in der Öffentlichkeit untersucht. Mit ihrer Analyse der Veränderung der urbanen Festkultur in Berlin unternimmt die Ethnologin Cornelia Kühn genau das, nämlich indem sie nicht die 'Erfolge' des Stadtmarketings unkritisch bejubelt, gar eine Art Leitfaden aus der Praxis für gelungenes und gelingendes 'History Marketing' liefert, wie es einige weitere Beiträge des Sammelbands tun, sondern indem sie die Mechanismen hinter diesem Gelingen herausarbeitet und daraus allgemeine Rückschlüsse auf Möglichkeiten der Stabilisierung von Identität von der Nachkriegszeit bis in die Gegenwart, gar auf die Konstitution dieser Identität, ermöglicht. Ähnliche Wege beschreiten die Beiträge von Charlotte Bühl-Gramer über die Transformationen von Stadtimage und lokaler Geschichtskultur in Nürnberg und von Frank Britsche über die Etablierung der Stadt Leipzig als Marke.

Neben diesen gelungenen Untersuchungsbeispielen stehen, wie schon gesagt, Beschreibungen, die sich einfach wie nachahmenswerte Praxisbeispiele gelungenen Stadtmarketings unter Zuhilfenahme von Geschichte lesen. Dass dies eher der Tenor der Herausgeber des Sammelbands ist, lässt sich unter anderem auch an dem abgedruckten Positionspapier der Bundesvereinigung City- und Stadtmarketing Deutschland e.V., ebenfalls Mitherausgeber, ablesen. Der Historiker Gerd Althoff legitimiert diese 'Nutzung' von Geschichte sogar in gewisser Weise, wenn er dem Stadtmarketing eine "lange 'Ahnenreihe'" (76) bescheinigt, in der - insbesondere vor der modernen kritischen Geschichtswissenschaft - eine grenzenlose Nutzung von Geschichte zur positiven Deutung der eigenen Identität möglich gewesen sei.

Insgesamt prägt das Spannungsverhältnis zwischen 'Public History' und 'History Marketing', wie es Zündorf in ihrem Beitrag ausführt, zwischen (Stadt-)Historik und (Stadt-)Marketing den gesamten Band, allerdings nicht immer in einer reflektierten und damit konstruktiven Weise. Für Historikerinnen und Historiker steht am Ende der Lektüre der in ihrer Zusammenstellung und in ihren Positionen disparaten Beiträge die Erkenntnis, dass das Feld der Popularisierung von Geschichte nicht den Marketingexpertinnen und -experten überlassen werden darf - und das nicht nur mit Blick auf die Geschichte der Stadt, sondern auf jede Geschichte, die in der Populärkultur instrumentalisiert werden kann, ob im historischen Roman, im Tourismus oder im Computerspiel. Für die Praxis des Stadtmarketings wird die Vermarktung von Geschichte dagegen als Weg zum Erfolg beschrieben, sofern man sich ein wenig an den Erkenntnissen aus der Wissenschaft orientiert, um glaubwürdig zu bleiben.

Daniela Mysliwietz-Fleiß