Edward James Kolla: Sovereignty, International Law, and the French Revolution (= Studies in Legal History), Cambridge: Cambridge University Press 2017, XI + 340 S., 7 Kt., ISBN 978-1-107-17954-7, GBP 75,00
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Um es gleich vorwegzunehmen: Edward J. Kolla ist mit seiner Studie zur Bedeutung der Französischen Revolution für die Geschichte des Völkerrechts eine wichtige Pionierleistung gleich in zweifacher Hinsicht gelungen.
Die erste Pionierleistung betrifft die Thematik des Bandes: Bislang hat die Französische Revolution in der Disziplin der Völkerrechtsgeschichte selten eine prominente Rolle gespielt. Denn die Revolution irritiert die Disziplin und ihre Standardnarrative: Sie passt nicht so recht zur bis heute vorherrschenden Vorstellung vom Aufstieg des souveränen Machtstaats, der angeblich erst im 20. Jahrhundert (1920/28/45) durch vermeintlich "neue" völkerrechtliche Normen in seine Schranken gewiesen wurde. [1] In völkerrechtlichen Lehrbüchern wird die Französische Revolution denn auch in der Regel als peripheres Nebenereignis oder als Exkurs zwischen früher Neuzeit und 19. Jahrhundert abgehandelt - wenn nicht gar ignoriert. Nicht so aber Kolla: Wie der US-amerikanische Historiker anhand intensiver Quellenforschung belegen kann, war die Konfrontation der auf dynastischem Recht basierenden internationalen Ordnung mit der Idee der Volkssouveränität im wörtlichen Sinne revolutionär. Die Volkssouveränität wurde demnach nicht nur zur zentralen Idee der soziopolitischen Neuordnung in Frankreich, sondern auch zum leitenden Konzept im revolutionären Diskurs der Völkerrechtspolitik. Das verstand sich keineswegs von selbst: So bemühten sich die nordamerikanischen Revolutionäre im Gegensatz zu den Franzosen darum, an die internationale Ordnung der europäischen Monarchien anzuknüpfen (177). Aber auch den revolutionären Eliten in Paris war die Sprengkraft, die die Volkssouveränität für die internationale Ordnung besaß, keineswegs von Anfang an bewusst: Wie Kolla zeigt, realisierten sie erst nach und nach die legitimatorische Kraft, die von dieser Idee für das Völkerrecht Europas ausging (2, 25-34).
Damit ist die zweite, die analytische Pionierleistung der Studie angesprochen: Nicht nur hat die Französische Revolution in der Völkerrechtsgeschichte bislang eine recht geringe Rolle gespielt, selbiges gilt - einmal von den Studien des Pariser Historikers Marc Belissa oder des Gießener Völkerrechtlers Heinhard Steiger abgesehen [2] - auch für den Kriegsdiskurs dieser Zeit. Diese Forschungslücke hängt mit einem allgemeinen methodischen Ungleichgewicht in der Völkerrechtsgeschichte zusammen: Während wissenschaftshistorische Studien zur völkerrechtlichen Doktrin überwiegen, fehlt es bislang an völkerrechtshistorischen Studien anhand der diplomatischen Praxis. Kolla unterstreicht diesen Befund (10), und man kann noch betonen: Er gilt besonders für die völkerrechtshistorische Forschung zu Kriegsdiskursen. Publikationen über die Theorie(n) des "gerechten Krieges" erfreuen sich nach wie vor großer wissenschaftlicher Beliebtheit; die politische Praxis der Kriegslegitimation - und damit die Rolle von Normen in diesen historischen Gewaltdiskursen - wird bislang allerdings erstaunlicherweise marginalisiert. [3] In seiner erfreulich reflektierten, unter Rückgriff auf geschichts-, politik-, und völkerrechtshistorische Theorien argumentierenden Einleitung plädiert Kolla denn auch für eine Analyse, die das Recht als Argument in sozialen Praktiken in den Vordergrund rückt (10 f.). Damit stehen historische Prozesse anstelle von theoretischen und mehr oder minder zeitlosen Reflexionen im analytischen Fokus der Studie.
Aus dieser Fokusverschiebung auf konkrete historische Konflikte, in denen sich normative "Rechtfertigungsnarrative" allmählich herausbildeten [4], lässt sich auch der Aufbau des Buchs erklären: Fünf von Einleitung und Fazit eingerahmte Kapitel behandeln rechtspolitische Debatten von der französischen Réunion mit Korsika (1.) bis zur gewaltsamen Errichtung der französischen Tochterrepubliken (5.). Mit dieser chronologischen Darstellung gelingt es Kolla, nicht nur die allmähliche Radikalisierung der französischen Außenpolitik, sondern auch den Bedeutungszuwachs einer zunehmend expansiv ausgelegten Volkssouveränität anregend und gut nachvollziehbar zu beschreiben. Wie der Autor in den ersten beiden Kapiteln zeigt, war es zu ersten Réunionen Frankreichs - jenen mit Korsika (1789) und dem Elsass (1789) - sowie zur Annexion Avignons (1791) erst gekommen, nachdem Teile der lokalen Bevölkerungen einen entsprechenden Appell an Paris gerichtet hatten. Wie die intensiven Debatten in der Verfassungsgebenden bzw. Gesetzgebenden Nationalversammlung unterstrichen, war den revolutionären Eliten dabei durchaus bewusst, dass der "Wille des Volkes" (volonté générale) mit der "alten", dynastischen Völkerrechtsordnung kaum kompatibel war (82). Die Réunionen gingen vielmehr mit offenen Vertragsbrüchen - etwa unter Missachtung der princes possessionnés gemäß Art. 87 des Friedensvertrags von Münster - einher (68). Noch bevor der Erste Koalitionskrieg 1792 ausbrechen sollte, waren anhand von "Korsika 1789", "Elsass 1789" und "Avignon 1791" die zentralen Rechtfertigungsnarrative für die "präventive Selbstverteidigung" gegen Österreich und die spätere Expansion bis in die Napoleonische Zeit hinein entwickelt worden (267). Der Kriegsbeginn von 1792 kann dabei als Wendepunkt angesehen werden: Radikal-bellizistische Auslegungen Jean-Jacques Rousseaus waren nun besonders unter Jakobinern (die zunächst im Gegensatz zu den Brissotins einen Krieg abgelehnt hatten) weitverbreitet: Die Republik galt es um jeden Preis zu verteidigen - auch wenn das in immer weitreichenderem Maße Plünderungen, Besetzungen, Eroberungen und Annexionen bedeutete (187).
Eine besondere Stärke Kollas Buch besteht darin, dass er in den jeweiligen Konflikten nicht nur politische, sondern auch juristische Stimmen und Argumente zu Wort kommen lässt. So brachte der französische Jurist Philippe Antoine Merlin de Douai (1754-1838) die neue französische Völkerrechtspolitik im Streit um Korsika und das Elsass besonders präzise auf den Punkt: Das Völkerrecht, so der politisierte Jurist Merlin de Douai, basiere nicht auf Verträgen zwischen Fürsten; die Menschen auf Korsika und im Elsass könnten die Rechte der Monarchen daher durch ihren puren Willen für geltungslos erklären (66-68). Auch Jérôme Pétion de Villeneuve (1756-1794) begründete die Missachtung der monarchischen Rechte - ganz im Sinne Rousseaus - damit, dass der Gesellschaftsvertrag zwischen freien Individuen geschlossen werde. Dass Rousseaus Lehren zunehmend auch dafür genutzt wurden, um Eroberungen und Annexionen gegen den Willen der betroffenen Bevölkerung zu rechtfertigen (187), steht freilich auf einem anderen Blatt. Indem die französischen Revolutionäre sich nun anmaßten, anderen Völkern gewaltsam Freiheit und Fortschritt zu bringen, griffen sie, so Kolla, gewissermaßen den Zivilisierungsmissionen des 19. und 20. Jahrhunderts vorweg (279). Zugleich wurde mit dieser zunehmenden Ausweitung der Volkssouveränität als Legitimation für Gewalt und Unterdrückung aber auch der Keim für den Untergang des Napoleonischen Imperiums gesät (283): So regte sich nach dem verheerenden Russlandfeldzug von 1812 zunehmend Widerstand gegen Napoleon. Der Kampf gegen den "Usurpator und Tyrann Europas" wurde nun wiederum unter instrumenteller Bezugnahme auf die zu befreienden Völker gerechtfertigt. [5]
Damit ist bereits auf Kollas Fazit verwiesen: Die neuen völkerrechtlichen Narrative der Revolution - insbesondere die Volkssouveränität - sollten für die Herausbildung der modernen internationale Ordnung im 19. und 20. Jahrhundert weiterhin bedeutsam bleiben (298). Um die Geschichte der modernen internationalen Beziehungen besser zu begreifen, gilt es daher, die Revolutionsära stärker in den wissenschaftlichen Fokus zu rücken und auf ihre Bedeutung für die internationale Ordnungsbildung zwischen Kontinuität und Kontingenz hin zu befragen. Auch wenn Kolla selbst es nicht dezidiert so formuliert, stärkt sein Band doch die These, dass sich in der Revolutionsära die Geburtsstunde des modernen Diskurses über Krieg und internationale Ordnung identifizieren lässt. Damit aber sind althergebrachte Periodisierungen und Narrative der Völkerrechtsgeschichte - etwa jene des "klassischen" und "modernen" Völkerrechts, des "Fortschritts" oder der Herausbildung des modernen Machtstaates - dringend zu überdenken. Mit seiner so lesenswerten wie gut lesbaren Pionierstudie leistet Edward J. Kolla zu dieser notwendigen Neuausrichtung der Forschung einen wichtigen Beitrag.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Randall Lesaffer: In the Embrace of France. An Introduction, in: Beatrix Jacobs / Raymond Kubben / Randall Lesaffer: In the Embrace of France. The Law of Nations and Constitutional Law in the French Satellite States of the Revolutionary and Napoleonic Age (1789-1815), 7-14. Zur Kritik am Narrativ eines unbeschränkten Machtstaates in der frühen Neuzeit siehe Anuschka Tischer: Offizielle Kriegsbegründungen in der Frühen Neuzeit. Herrscherkommunikation in Europa zwischen Souveränität und korporativem Selbstverständnis, Berlin 2012; sowie zum 19. Jahrhundert siehe Hendrik Simon: The Myth of Liberum Ius ad Bellum. Justifying War in 19th-Century Legal Theory and Political Practice, in: European Journal of International Law, 29:1 (2018), 113-136, https://doi.org/10.1093/ejil/chy009
[2] Marc Belissa: Fraternité universelle et intérêt national (1713-1795). Les cosmopolitiques du droit des gens, Paris 1988; Heinhard Steiger: Das natürliche Recht der Souveränität der Völker. Die Debatten der Französischen Revolution 1789-1793, in: Jörg Fisch (Hg.): Die Verteilung der Welt. Selbstbestimmung und das Selbstbestimmungsrecht der Völker, München 2011, 51-86.
[3] In den letzten Jahren ist in diese Forschungsrichtung aber etwas Bewegung gekommen, siehe Tischer, Anmerkung 1, und Lothar Brock / Hendrik Simon (eds.): The Justification of War and International Order. From Past to Present, Oxford (in Vorbereitung).
[4] Andreas Fahrmeir (Hg.): Rechtfertigungsnarrative Zur Begründung normativer Ordnung durch Erzählungen, Frankfurt 2013.
[5] Die nationale Aufladung beschränkte sich allerdings noch auf gesellschaftliche und politische Eliten, siehe Ute Planert: Der Mythos vom Befreiungskrieg, Paderborn 2007.
Hendrik Simon