Martin Spenger: Green Beat. Gary Snyder und die moderne amerikanische Umweltbewegung (= Umwelt und Gesellschaft; Bd. 22), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2020, 239 S., 47 s/w-Abb., ISBN 978-3-525-31098-4, EUR 60,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Tobias Huff: Natur und Industrie im Sozialismus. Eine Umweltgeschichte der DDR, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015
Christian Möller: Umwelt und Herrschaft in der DDR. Politik, Protest und die Grenzen der Partizipation in der Diktatur, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2020
Christian Möller: Umwelt und Herrschaft in der DDR. Politik, Protest und die Grenzen der Partizipation in der Diktatur, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2020
Frank Uekötter: Deutschland in Grün. Eine zwiespältige Erfolgsgeschichte, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015
Romed Aschwanden: Politisierung der Alpen. Umweltbewegungen in der Ära der Europäischen Integration (1970-2000), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2021
Ursula Lehmkuhl / Hermann Wellenreuther (eds.): Historians and Nature. Comparative Approaches to Environmental History, Oxford: Berg Publishers 2007
Hansjörg Küster: Deutsche Landschaften. Von Rügen bis zum Donautal, München: C.H.Beck 2017
Franziska Torma: Eine Naturschutzkampagne in der Ära Adenauer. Bernhard Grzimeks Afrikafilme in den Medien der 50er Jahre, München: Martin Meidenbauer 2004
Auch wenn die einschlägige Bibliografie über Titel von oder über Gary Snyder 400 Seiten umfasst [1], fehlte bisher eine umfassende, wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Biografie des Umweltaktivisten, der zugleich als ein wichtiger Dichter des zeitgenössischen Amerikas gelten kann und von Spenger als "das grüne Gewissen des nordamerikanischen Westens" (195) bezeichnet wird. Der Titel "Green Beat" verweist auf die Freundschaft Synders zu den Beat-Poeten Jack Kerouac und Alan Ginsberg, die er 1955 kennenlernte. Kerouac verarbeitete eine gemeinsame Wanderung zum Matterhorn Peak und die Beschäftigung mit dem Buddhismus, die von Synder ausging, literarisch: Gary Synder war das Alter Ego von Japhy Rider in Kerouacs "Dharma Bums" [2], der deutsche Titel lautete "Gammler, Zen und Hohe Berge". Damit verhalf er Synder in der Beat Generation zu Ruhm, da viele Jugendliche und Aussteiger dem literarischen Vorbild folgen wollten. Mit weiteren Protagonisten der Beatgeneration, u.a. Alan Ginsberg, traf Synder 1962 in Indien zusammen. Sie bereisten gemeinsam das Land und besuchten den Dalai Lama. Auch diese Reise wurde literarisch verarbeitet und war Vorbild für Tausende junge Erwachsene in den USA und Europa u.a. für die Beatles und Bob Dylan, die ihr Heil fernab der Heimat in Asien und im Buddhismus suchten.
Die Fokussierung auf den Zen-Buddhismus, das Eintreten für lokale wie globale Umweltprobleme und später der Protest gegen den Vietnam-Krieg waren die entscheidenden Themen, die in der amerikanischen Jugendkultur der Westküste auch später präsent blieben - genauso wie deren "grünes Gewissen", der "Umweltpoet", Gary Synder. Spenger macht deutlich, dass er ein wichtiger Protagonist war, der für die Transformation der eher unpolitischen Beats zu den politischen Hippies stand - er war für die Hinwendung zur Umwelt und zum Zen-Buddhismus verantwortlich - andere vollzogen die musikalische Wandlung vom Jazz und Bebop zu psychodelischer Rockmusik und Folk-Liedern (76).
Nach seinen Asienaufenthalten in den 1960er Jahren kam Synder wieder in die USA zurück, lehrte u.a. in Berkeley, ließ sich mit seiner Familie 1970 in der Sierra Nevada nieder und lehrte ab 1985 an der University of California in Davis. Ausgehend vom Einsatz für seine lokale Umwelt setzte er sich für unzählige Umweltkampagnen überall in der Welt ein. In der Sierra Nevada baute er sich ein Haus, "Kitkitdizze", wo der Münchener Umwelthistoriker Spenger den Biografierten besuchte, was er im Epilog voll Faszination beschreibt (197-203). Die Energieversorgung des Hauses funktionierte schon in den 1970er Jahren mit Solarenergie, Synder besaß lange Zeit weder Fernsehgerät noch Telefon. Mit dem kalifornischen Gouverneur Jerry Brown (von 1975-1983 und 2010-2019) verband ihn eine enge Freundschaft. Er wurde Vorsitzender des "California Arts Council" für die Förderung junger Schriftsteller und beriet ihn in Umweltthemen. Dabei kam Synder sein Optimismus und seine pragmatische und zupackende Art zugute.
Zugleich zeichnet sich sein Wirken dadurch aus, dass er immer in größeren Zusammenhängen und Zeiträumen dachte. In den 1960er, 1970er und 1980er Jahren veröffentlichte er zahlreiche Gedichte und Essays, u.a. das Buch "Turtle Island". Mit den Gedichten und Essays dieses Buches, für das Snyder 1975 den Pulitzer-Preis im Fach Poesie erhielt, macht der Dichter sich einmal mehr zum Vertreter der Natur und ihrer Belange, klagt ökologische Missstände an und zeigt Wege zur Lösung von Umweltproblemen auf. Viele der Texte, die Spenger als zentrale Quellen nutzt, vorstellt und in den Entstehungszusammenhang einordnet, klingen heute noch genauso aktuell wie vor mehr als 40 Jahren.
Dabei vermag es Spenger sowohl das wechselvolle Leben Synders als auch die Wurzeln und Denktraditionen offen zu legen, die ihn prägten: Ausgehend von seiner Kindheit auf dem Land in der nordwestlichen Pazifikgegend und von verschiedenen Arbeiten in der Forstwirtschaft, gehörte Snyder nicht nur zur Beat Generation, sondern auch zur frühen Generation der Umweltschützer in den USA, prominent institutionalisiert etwa in der Organisation "Earth First!". Seine Literatur ist immer in diesem Sinn engagiert. Als tiefenökologischer Denker besteht er darauf, dass es nicht nur darum gehe, durch Umweltschutz Ressourcen für den Menschen zu erhalten. Für ihn trägt die natürliche Welt ihren Wert in sich selbst. Dadurch, dass der Mensch dafür sorgt, dass die natürlichen Systeme gesund bleiben, bleibt auch der Mensch selber gesund. Besonders die amerikanischen Ureinwohner können dem modernen Amerikaner in diesem Sinne Lektionen der "Wildnis" erteilen. [3]
In Spengers materialreicher Biografie vermisst man die kritische Auseinandersetzung mit Synders Art, die man als "eine Art ästhetische Unterstützung der Umweltbewegung" bezeichnet hat. [4] Gerade die Aneignung der indigenen Kulturen in Turtle Island wurde als "weißer Schamanismus" kritisiert und auch die Interpretation des Zen-Buddhismus fand keine ungeteilte Zustimmung. Hier hätte man sich eine tiefergehende Analyse der schillernden Persönlichkeit Synders gewünscht, die nicht nur den Entstehungszusammenhang und die Quellen berücksichtigt, sondern auch die Bandbreite der Rezeption seiner Schriften erörtert.
Zusammenfassend erfasst die Biografie Synders Leben und Wirken umfassend und sollte daher zur Pflichtlektüre desjenigen gehören, der sich mit der Theorie und den Wurzeln der (amerikanischen) Umweltbewegung beschäftigt.
Anmerkungen:
[1] John Sherlok: A Bibliography of Works By and About Gary Synder. Based in part on the Gary Synder Papers and Other Holdings of the University of California, Davis 2010.
[2] Jack Kerouac: The Dharma Bums, New York 1958.
[3] Deutsche Version des Dokumentarfilms "The Practise of the Wild" mit dem Titel "Lektionen der Wildnis": John Healey (Regie), The Practise of the Wild, 2010, Film (53:00 min.).
[4] SZ vom 02.11.2012, Rezension zum Erscheinen der deutschen Übersetzung von Gary Synders Essayband: The Practise of the Wild, dt.: Lektionen der Wildnis, übersetzt von Hanfried Blume, Berlin 2011.
Anselm Tiggemann