Larry Eugene Jones: The German Right, 1918-1930. Political Parties, Organized Interests, and Patriotic Associations in the Struggle against Weimar Democracy, Cambridge: Cambridge University Press 2020, xx + 636 S., ISBN 978-1-108-64345-0, GBP 110,00
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Die Fragmentierung der politischen Rechten war ein beständiges Merkmal des deutschen Parteiensystems. Deutschkonservative und Nationalliberale repräsentierten zwei unterschiedlich gelagerte Milieus im Kaiserreich, die sich in "Kartellen" mit Interessenverbänden wie dem Bund der Landwirte gegen den Machtzuwachs von Sozialdemokratie und katholischer Zentrumspartei zusammenzuschlossen. Diese Zweckbündnisse blieben jedoch schon vor dem Ersten Weltkrieg äußerst fragil. Auch die Überlagerung konservativer und nationalliberaler Milieus in der Gründung der Deutschen Vaterlandspartei (DVLP) 1917, die sich als Sammlungspartei für expansive Kriegsziele und gegen die Friedensresolution der Mehrheitsparteien im Reichstag sowie gegen die Gründung der Unabhängigen Sozialdemokraten formierte, wirkte nur bedingt über das Kriegsende hinaus.
Aus der DVLP ging 1918 die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) hervor, die Larry Eugene Jones in das Zentrum seiner Geschichte der Rechten in der Weimarer Republik von 1918 bis 1930 stellt. Jones nimmt in seiner chronologischen Darstellung, in die auch einzelne Strukturkapitel zur Einbettung der DNVP in die rechten Organisationswerke eingewoben sind, Thomas Mergels These zum Ausgangspunkt, dass die Jahre zwischen 1928 und 1930 einen Wendepunkt in der Geschichte der DNVP hin zur Radikalisierung unter dem Parteivorsitzenden Alfred Hugenberg und weg von einem deutschen gouvernmentalen "Tory-Konservatismus" nach englischem Vorbild geführt habe. [1] Jones konzentriert sich in seiner Analyse der DNVP auf den Untersuchungszeitraum von 1918 bis 1930 und versucht deutlich zu machen, dass Mergel das Integrationspotenzial der DNVP überschätzt und das langlebige Ressentiment innerhalb der DNVP gegen Deutschlands erste Demokratie unterschätzt habe.
Jones zeichnet in quellenreicher Analyse die Entwicklung der Deutschnationalen nach und bestimmt die dauerhafte Herausforderung der DNVP als Sammlungspartei anhand zentraler Krisen, die den Zusammenhalt der Partei beständig in Frage stellten. Dass die DNVP von Beginn an ein organisatorischer Kompromiss war, der auf Dauer seine weltanschaulichen und politischen Integrationsmöglichkeiten überdehnte, macht der Autor unter anderem an der Diskussion um das Parteiprogramm deutlich.
Das Prinzip der "negativen Integration" (87) bestimmte fortan den Zusammenhalt der Partei, die ihren Grundkonsens zwischen den verschiedenen Flügeln und Vereinigungen in der gemeinsamen Ablehnung des Weimarer Systems suchten und zunächst auch fanden. Diese Konsolidierung fand ihre Entsprechung auf dem ersten Parteitag im Juli 1919 auf dem das Programm der DNVP als Kompromiss entstand, in dem Monarchisten und Antisemiten ihre Ziele wiederfanden. Der christlich-soziale Flügel sah jedoch die Arbeiterinteressen nicht genügend berücksichtigt und auch die Agrarier hofften auf mehr Gewichtung ihrer Interessen.
Eine Vereinigung mit der Deutschen Volkspartei (DVP), die nach 1918 ehemalige nationalliberale Anhängerschaften rekrutierte, die grundsätzlich im Rahmen der Weimarer Verfassung arbeiten wollten, scheiterte nach den Märzwahlen 1920. Jones zeichnet nach, wie auch die Einbindung katholischer Milieus ein dauerhaftes Problem blieb. Erst spät kam eine eigene Jugendorganisation hinzu, während die Organisation von Frauen, die immerhin die meisten DNVP-Stimmen ausmachten, zunächst keine Priorität genoss. Hinzu kam die Regionalisierung der Partei, die gerade in Bayern und Württemberg den Landesverbänden eine große Eigenständigkeit zugestand.
Verschiedene Interessengruppierungen innerhalb der DNVP, wie der Hauptverein der Deutschkonservativen, standen neben einem weitläufigen Organisationsspektum von Arbeitsausschüssen. Interessenverbände und berufsständische Organisationen wie der Reichslandlandbund oder der Deutsche Beamtenbund suchten in der DNVP zusätzlich eine parlamentarische Interessenvertretung.
Die DNVP fungierte auch als Projektionsfläche für eine parlamentarische Stellvertreterpartei zahlreicher außerparlamentarischer Organisationen, die eine enge Verflechtung mit den Deutschnationalen suchten und fanden. Paramilitärische Verbände wie die Organisation Escherich und Organisationen wie der Jungdeutsche Orden, die Arbeitsgemeinschaft für vaterländische Aufklärung, die Nationale Einheitsfront oder die Vereinigten Vaterländischen Verbände Deutschlands arbeiteten eng mit der Partei zusammen. Hinzu kamen Verflechtungen zur Ring-Bewegung, dem Juni-Klub, der Fichte-Gesellschaft und Fichte-Hochschule, dem Deutschen Herrenklub, der Deutschen Adelsgenossenschaft oder der Hochschule für nationale Politik. Die organisatorische Vielfalt war Ausdruck einer "ideological diversity" (77), die zunehmend die Partei im Grundsatz belastete.
Die Abspaltung des rassistisch-völkischen Flügels, der sich 1922 in der Deutschvölkischen Freiheitspartei formierte und gleichzeitig zur Gründung des Deutschvölkischen Reichsausschusses innerhalb der DNVP unter Einfluss führender alldeutscher Parteimitglieder führte, verwies frühzeitig auf die Spannungen innerhalb der Partei. Der Kapp-Putsch 1920 und der Hitler-Putsch 1923 zwang die DNVP zur Positionierung gegenüber Putschplanungen und Gewalt. Zwar distanzierte sich die Parteileitung öffentlich, aber der Charakter der Fundamentalopposition gegenüber Weimar blieb ungeklärt. Auch der Deutschkonservative Kuno Graf Westarp, 1925 bis 1929 Vorsitzender der DNVP-Reichstagsfraktion und 1926 bis 1928 Parteivorsitzender, lavierte beim Kapp-Putsch.
Die Reichstagsabstimmung über den Dawes-Plan 1924, in der die DNVP-Fraktion nur knapp dagegen stimmte, verdeutlichte die sprichwörtliche Zerrissenheit der Partei, die nach dem Wahlerfolg 1924 stärkste Fraktion im Reichstag war. Die kurzzeitigen Eintritte der DNVP in das Kabinett Luther I 1925, Marx III 1926 und Marx IV 1927 genügte den Realpolitikern der Partei, polarisierte aber die Anhängerschaft und stärkte letztlich den anti-gouvernementalen Flügel, der seit 1927 auf eine Sammlung der Landesverbände für die Wahl Hugenbergs zum Parteivorsitzenden hinarbeitete. Die Frage der Unterstützung der Regierungsarbeit stellte sich bei Problemen wie dem passiven Widerstand nach der Ruhrbesetzung 1923, der Stabilisierungspolitik Gustav Stresemanns, der Wahl Paul von Hindenburgs zum Reichspräsidenten 1925 oder dem Osthilfeprogramm für die marode Landwirtschaft immer wieder. Fundamentalopposition war nunmehr, so Jones, für viele Parteianhänger ein "Luxus" (239), den man sich auch wirtschaftlich nicht mehr leisten wollte.
Die knappe Wahl Hugenbergs zum Parteivorsitzenden am 20. Oktober 1928 führte zu keiner Versöhnung der beiden Lager. Vielmehr traten die moderaten Anhänger aus der Partei aus und schufen Sezessionsparteien. Die Christlich-nationale Bauern- und Landvolkpartei (CNBLP) gründete sich bereits im März 1928. Der Christlich-Soziale Volksdienst (CSVD) vereinigte dann im Dezember 1929 die Christlich-soziale Reichsvereinigung und den Christlichen Volksdienst.
Das Buch endet mit den Auswirkungen der Septemberwahlen 1930 und dem Aufstieg der NSDAP. Der Schlusspunkt ist von zentraler Bedeutung, da die Wahlen 1930 im Vergleich zur Reichstagwahl vom Mai 1928 das gesamte Machtgefüge der Rechten umkehrte. Für den Radikalisierungskurs der DNVP unter Hugenberg verwiesen die Wahlen 1930 bereits auf einen massiven Bedeutungsverlust der Deutschnationalen und des nationalkonservativ-protestantischen Milieus, der aber auch nicht durch die Sezessionsparteien aufgefangen werden konnte.
Insofern steht der These eines verfehlten "Tory-Konservatismus" innerhalb der DNVP nach Hugenbergs Übernahme des Parteivorsitzes 1928 die Frage gegenüber, warum die verprellten DNVP-Anhänger aus dem agrarischen Milieu, dem Arbeiterflügel und dem christlich-sozialen Lager nicht in der Lage waren, einen eigenständigen "Tory-Konservatismus" durch eine separate konservative Partei aufzubauen und die gouvernmentalen Anhänger in einer neuen Sammlungsbewegung zu vereinen.
Mit großer Detailkenntnis legt Jones dar, wie eine Sammlung der gouvernmentalen Organisationen im Vorfeld der Septemberwahlen 1930 erneut an Flügelkämpfen, Interessendivergenzen und isolationistischen Selbstbeschauungen der Sezessionisten scheiterte. Die Gründung der Konservativen Volkspartei (KVP) im Juli 1930 schien die letzte Möglichkeit, Interessen des Reichslandbundes, der Wirtschaftspartei, der CNBLP und des CSVD zusammenzuführen und auch die DVP parlamentarisch in einer zukünftigen Fraktionsgemeinschaft einzubinden. Der Kampf um finanzielle Ressourcen, wie von der im November 1927 von der Ruhrindustrie eingerichteten "Ruhrlade", verschärfte die politischen Auseinandersetzungen innerhalb des rechten Lagers.
Der Radikalisierungskurs der DNVP zwischen 1928 und 1933 stand dann auch im Zusammenhang mit dem Zuwachs an Anhängern der NSDAP, die ihre Wählermilieus zusätzlich aus den radikalen Segmenten des Konservatismus rekrutierte. Die Hugenberg-DNVP war demnach zweifach unter Legitimationsdruck: vom gouvernementalen und vom radikalen Flügel. Mit Junkern, Militär, Protestantischer Kirche, Beamten und Monarchisten als soziale Stützen des Konservatismus allein war angesichts des nationalsozialistischen Volksgemeinschaftsversprechens keine traditionelle Mobilisierungspolitik mehr zu betreiben.
Die Geschichte der radikalen Rechten zwischen 1918 und 1930 reiht sich somit ein in eine längere Perspektive der zunehmenden Führungskämpfe bis zur Machtübernahme 1933. Larry Eugene Jones hat mit seinem Buch ein Standardwerk zu den vielfältigen Sammlungsbemühungen, Machtkonkurrenzen, Fragmentierungen und Allianzverschiebungen der deutschen Rechten zwischen 1918 und 1930 vorgelegt. Es bleibt zu hoffen, dass der Autor die Geschichte von 1930 bis 1933 weiterschreibt.
Anmerkung:
[1] Thomas Mergel: Das Scheitern des deutschen Tory-Konservatismus. Die Umformung der DNVP zu einer rechtsradikalen Partei 1928-1932, in Historische Zeitschrift 276 (2003), 323-368.
Björn Hofmeister