Sebastian Elsbach: Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Republikschutz und politische Gewalt in der Weimarer Republik (= Weimarer Schriften zur Republik; Bd. 10), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2019, 730 S., ISBN 978-3-515-12467-6, EUR 89,00
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Das Anfang 1924 in Magdeburg gegründete "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Bund der republikanischen Kriegsteilnehmer" - so der offizielle Name - hat in der vergangenen Dekade intensive Aufmerksamkeit gefunden. Als ein dem Namen nach überparteilicher, mitgliederstarker Zusammenschluss engagierter Republikaner, die sich sowohl politisch wie kulturell für die Verteidigung der belagerten Republik gegen ihre (rechts-)radikalen Gegner einsetzten, ist die Existenz dieses Verbandes ein wichtiges Korrektiv gegen die mancherorts noch verbreitete Vorstellung, Weimar sei eine "Republik ohne Republikaner" gewesen. Zur Korrektur dieses Geschichtsbildes hat unter anderem die Untersuchung von Nadine Rossol beigetragen, die den Beitrag des Reichsbanners zu einer performativen Festkultur, mit der die Weimarer Verfassung und der am 11. August begangene Verfassungstag inszeniert und zelebriert wurde, analysiert [1]. Substanzielle Regionalstudien haben am Beispiel Sachsens, Badens und Württembergs nicht nur ein weites Panorama von Organisation und Aktivitäten des Reichsbanners aufgezeigt, sondern zugleich seine ambivalente Verankerung im sozialdemokratischen Milieu belegt [2]. Zudem gab es den Versuch, das Reichsbanner in soziokultureller und erinnerungspolitischer Hinsicht in erster Linie als einen Verband sozialdemokratischer Kriegsveteranen zu beschreiben [3].
Angesichts dieser Vorarbeiten mutet es etwas vermessen an, wenn Sebastian Elsbach für seine an der Universität Jena als Dissertation entstandene Arbeit über das Reichsbanner in Anspruch nimmt, "eine wesentliche Leerstelle in der Literatur zur Weimarer Republik zu füllen" (567). Allerdings wählt Elsbach einen anderen Ansatz als die genannten Studien: Zum einen interessiert er sich für die Organisationsgeschichte des Reichsbanners, wobei er neben lokalen und regionalen Beispielen vor allem die Politik der Reichsbannerführung analysiert. Zum anderen untersucht er dessen sicherheitspolitische Aktivität, auch und gerade im Kontakt mit der Reichswehr und den Regierungen in Preußen und im Reich. Im Kern läuft Elsbachs Studie darauf hinaus, die öffentlich verkündete Primärfunktion des Reichsbanners - der Schutz republikanischer Parteien und Organisationen gegen gewaltsame Angriffe, in erster Linie durch den Saal- und Versammlungsschutz, aber potenziell auch als Hilfspolizei - als das Zentrum seiner Aktivitäten herauszustellen.
Der Verfasser hat eine wahre Fülle an gedruckten und vor allem an archivalischen Quellen herangezogen. Mit umfangreichen Recherchen in vielen Archiven, darunter auch in Polen und in den USA, geht Elsbachs Arbeit über die vorliegenden Studien hinaus. Er kann damit auch eine Reihe von wichtigen Details, die in der 1966 erschienenen Pionierstudie von Karl Rohe [4] nur auf Interviews mit Zeitzeugen basierten, entweder erhärten oder falsifizieren. Nach einer umfänglichen Einleitung ist die Studie chronologisch aufgebaut: In vier Abschnitten werden die Vorgeschichte, die Jahre 1924 bis 1928 und 1928 bis 1932 sowie die Zerschlagung der Republik 1932/33 behandelt.
Von diesen vier Abschnitten sind der erste und letzte in vielerlei Hinsicht am interessantesten. Im ersten Abschnitt zeichnet Elsbach die Vorgeschichte des Reichsbanners nach. Sein Blick richtet sich dabei neben dem 1919 gegründeten Republikanischen Führerbund auf den seit 1921 operierenden Republikanischen Reichsbund (RRB), dessen Wirken er auch für die Jahre nach 1924 weiter verfolgt. Elsbach korrigiert die Mitgliederzahl des RRB nach oben, auf mehrere Zehntausend, zeigt seine vielfältigen Aktivitäten im Detail auf und analysiert die Konzepte zum Aufbau einer republikanischen Hilfspolizei, die im Umfeld des RRB entstanden und wichtige Aspekte der Reichsbannerarbeit vorwegnahmen.
Der Abschnitt zu 1932/33 führt vor Augen, dass das Reichsbanner auch nach dem "Preußenschlag" vom 20. Juli 1932 keineswegs seine Moral verlor, sondern ungebrochen weiterarbeitete - trotz des Ausschlusses von Otto Hörsing aus der SPD und der Abspaltung einer eigenen Partei um den Reichsbannergründer. Elsbach kann nachweisen, dass sich die "partielle Zusammenarbeit" (570) zwischen Reichsbanner und Reichwehrministerium nach dem 20. Juli 1932 intensivierte, und dass es bis zur Ernennung Hitlers als Reichskanzler Kontakte zu Kurt von Schleicher in der Frage einer möglichen Aufwertung des Reichsbanners zur Hilfspolizei gab.
In den Abschnitten zu den Jahren 1924 bis 1932 finden sich neben Ausführungen etwa zur Beteiligung von Juden am Reichsbanner und zu dessen Kampf gegen den Antisemitismus auch problematische Thesen. So etwa zum Verhältnis von Reichsbanner zu SPD und KPD und der Chance einer "roten Einheitsfront" (296-308, 437-447). Hier hat Elsbach die wichtige Studie von Joachim Häberlen nicht rezipiert, die am Beispiel Leipzigs die Zerstörung des Vertrauens im linksproletarischen Milieu aufzeigt [5]. Elsbachs Ausführungen kranken zudem an der falschen Grundprämisse seiner Arbeit, nach der das Reichsbanner nicht fest im sozialdemokratischen Arbeitermilieu verankert war, sondern eine "nationalrepublikanische" Grundhaltung vertrat (32f., 114-134). Diese These basiert darauf, dass er die Annahme verwirft, wonach bis zu 90 Prozent der einfachen Mitglieder des Reichsbanners dem SPD-Milieu angehörten. Jedoch gelingt es Elsbach selbst nicht, diese Forschungsmeinung zu widerlegen, zumal er von der falschen Prämisse ausgeht, dass zum sozialdemokratischen Milieu nur eingeschriebene Mitglieder der Partei gehört hätten (32, Anm. 4) und nicht etwa auch die weitaus zahlreicheren Mitglieder der Freien Gewerkschaften und anderer SPD-naher Organisationen. Die primäre Verankerung des Reichsbanners im sozialdemokratischen Arbeitermilieu ist in allen Regionalstudien breit belegt, und auch Elsbach selbst bietet - entgegen seiner eigenen These - viele Belege dafür (u. a. 182, 188, 192, 194, 205f., 308, 422, 544).
Nicht überzeugend ist auch Elsbachs These einer "republikanischen Gewaltkultur" (309) im Reichsbanner. Gewiss, der Autor kann aufzeigen, dass einzelne Reichsbannermitglieder an Tötungsdelikten als Form politischer Gewalt beteiligt waren. Dieser Umstand spricht aber nicht gegen die defensive Ausrichtung des Reichsbanners als Organisation. Obwohl er in seiner Studie den Anspruch erhebt, eine mikrosoziologische Analyse von Gewalt vorzunehmen, wird in den von Elsbach untersuchten Beispielen nicht klar, warum Reichsbannermitglieder vereinzelt tödliche Gewalt ausübten (454). Der Autor überschätzt die praktische Relevanz der Schießausbildung an Kleinkalibergewehren im "Reichskartell Republik" seit 1926 (354-359), spricht von militärischen "Geländeübungen" im Plural, obwohl er nur einen gesicherten Beleg für eine solche präsentiert (232-234, Zitat: 239), schließt aus einem singulären Vorfall kollektiver aggressiver Gewaltanwendung auf ein "beträchtliches Gewaltpotential" im Reichsbanner (493) und versteigt sich zu der nicht überzeugend belegten und geradezu absurd anmutenden These, die seit Herbst 1930 aufgebauten Schutzformationen des Reichsbanners (Schufo) hätten bald darauf "die SA an Mannstärke" und auch an Kampfkraft "weit" übertroffen (353, Zitat: 545). In Berlin, einer Hochburg der SPD, standen Mitte 1932 600 Schufo-Aktivisten circa 15.000 SA-Männern gegenüber [6].
Fazit: Mit ihrem organisationsgeschichtlichen Fokus und ihrer Top-Down-Perspektive bietet die Studie von Sebastian Elsbach eine hilfreiche Ergänzung zu den vorliegenden Arbeiten zum Reichsbanner. Sie stellt dessen nie erlahmenden Einsatz für den Republikschutz heraus. Auch mit der Darstellung der sicherheitspolitischen Debatten und Kontakte zur Reichswehr sowie zu den Regierungen in Preußen und im Reich werden bislang weitgehend unbekannte Konturen der Reichsbannerpolitik sichtbar. Zentrale Thesen der Studie, so vor allem die einer konsequent überparteilichen, weit über das sozialdemokratische Milieu hinausreichenden "nationalrepublikanischen" Orientierung und die einer "gewaltkulturellen" Dimension der Reichsbannerarbeit, können hingegen nicht überzeugen. Problematisch ist auch die Präsentation: Bei allem Respekt für die solide Quellenarbeit stellt sich die Frage, ob daraus ein an vielen Stellen langatmiges Buch mit 582 Textseiten entstehen musste, in dem auf beinahe jeder Seite Exkurse und parallele Erzählungen in den Fußnoten zu finden sind, die vom Gang des Arguments ablenken. Weniger wäre hier mehr gewesen.
Anmerkungen:
[1] Nadine Rossol: Performing the Nation in Interwar Germany. Sport, Spectacle and Political Symbolism 1926-36, Basingstoke u. a. 2010.
[2] Carsten Voigt: Kampfbünde der Arbeiterbewegung. Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und der Rote Frontkämpferbund in Sachsen 1924-1933, Köln u. a. 2009; Marcel Böhles: Im Gleichschritt für die Republik. Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold im Südwesten, 1924 bis 1933, Essen 2016.
[3] Benjamin Ziemann: Veteranen der Republik. Kriegserinnerung und demokratische Politik 1918-1933, Bonn 2014.
[4] Karl Rohe: Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Ein Beitrag zur Geschichte und Struktur der politischen Kampfverbände zur Zeit der Weimarer Republik, Düsseldorf 1966.
[5] Joachim C. Häberlen: Vertrauen und Politik im Alltag. Die Arbeiterbewegung in Leipzig und Lyon im Moment der Krise 1929-1933/38, Göttingen 2013.
[6] Ziemann: Veteranen (wie Anm. 3), 296.
Benjamin Ziemann