Achim Gnann: Rembrandt. Landschaftszeichnungen / Landscape Drawings (= Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte; 184), Petersberg: Michael Imhof Verlag 2020, 368 S., ISBN 978-3-7319-0962-0, EUR 79,00
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Rembrandt ist in der Vorstellung der meisten Kunstliebhaber nicht unbedingt als ein Landschaftsmaler oder -grafiker verankert, gelten seine berühmtesten Werke doch als Höhepunkte der Porträt- und Historienmalerei. Nur wenigen ist bekannt, dass er mehr als zwanzig Landschaftsradierungen und über zweihundert Landschaftszeichnungen hinterließ. Auch die Literatur zu diesem Thema ist daher recht überschaubar. Unter den neueren Publikationen ist in diesem Kontext vor allem der Katalog der Ausstellung "Rembrandts Landschaften" von 2006 nennenswert. [1] Anfang 2021 erschien jedoch eine - auch rein äußerlich - beachtenswerte zweisprachige Studie über Rembrandts Landschaftszeichnungen aus der Feder des Albertina-Kurators Achim Gnann. Im Zentrum von Gnanns Überlegungen stehen zumeist Zuschreibungs- und Datierungsfragen. Der Forscher glaubt nämlich, dass über hundert Zeichnungen im Laufe der letzten Jahrzehnte Rembrandt zu Unrecht abgeschrieben wurden. Im Folgenden wird daher die Argumentation des Autors anhand mehrerer Beispiele näher beleuchtet. Zuvor sind jedoch einige allgemeine Bemerkungen zu Rembrandts Landschafts- und Zeichenkunst angebracht.
Rembrandts erste Landschaftsdarstellungen entstanden vermutlich in den späten 1630er Jahren, während die letzten wohl um 1655 zu datieren sind. Sie zeigen meist ländliche Motive aus der Umgebung von Amsterdam. Mit Vorliebe stellte der Künstler alte Bauernhäuser und Teile von Dörfern dar, gelegentlich auch Stadtansichten. Spektakuläre Landschaftsmotive wie Berge, Felsen, Seen oder Wasserfälle interessierten den Holländer hingegen kaum. In der Tat sind viele der Orte, die auf seinen Zeichnungen und Radierungen zu sehen sind, identifizierbar. Nur bei einem kleineren Teil seiner Landschaftsbilder handelt es sich um Phantasielandschaften, was natürlich nicht ausschließt, dass er bei seinen "Landschaftsporträts" das eine oder andere Detail modifizierte. Viele von Rembrandts Landschaftszeichnungen, darunter zum Beispiel Das Bauernhaus am Waldrand von 1644 (New York, Metropolitan Museum), die Baumgruppe und Häuser mit vorbeiführender Straße (St. Petersburg, Eremitage) oder Pferdegespann auf einer von Bäumen gesäumten Straße (verschollen), sind - trotz ihrer eher bescheidenen Motivik - Meisterwerke der europäischen Landschaftsgrafik.
Selbst für Rembrandt-Spezialisten und erfahrene Kenner ist es aber nicht einfach, sich in den Stil der Zeichnungen Rembrandts beziehungsweise seiner zahlreichen Schüler einzusehen. Ein Grund dafür ist, dass der Künstler mit vielen verschiedenen Techniken experimentierte: er zeichnete unter anderem mit Feder, Pinsel und Kohle, wobei er häufig mehrere Techniken miteinander kombinierte. Stilkritisch arbeitende Forscher müssen daher die Formensprache der Radierung gleichsam in die Formensprache der Pinsel- oder Federzeichnung übersetzen, um stilistische Entsprechungen zu erkennen. Erschwerend kommen noch Rembrandts stilistische Entwicklung, der Abstraktionsgrad seiner Werke und ihr Entwurfsstadium hinzu. Eine Rembrandt-Zeichnung kann nämlich malerisch oder abstrakt wirken, weil sie relativ spät entstand, oder weil sie ein erster, sehr kursorischer Entwurf ist. Aus diesem Grund sind sowohl die Zuschreibung als auch die Datierung zahlreicher Werke umstritten. Nur bei wenigen Landschaftszeichnungen ist sich eine Mehrheit der Forscher einig, dass es sich um eigenhändige Arbeiten handelt, da die Mehrzahl dieser Werke weder signiert noch datiert ist. Bei einem Teil der Zeichnungen ist Rembrandts Stil jedoch relativ leicht erkennbar. Bei anderen wiederum bestehen große Ähnlichkeiten zu gesicherten Werken, sodass man sie als Entwürfe ansieht.
Bis zu einem gewissen Grad kann man Rembrandts Landschaftszeichnungen daher aufgrund ihres Stils in Gruppen einteilen. So gliedert sich Gnanns Studie in insgesamt zwanzig Kapitel, wobei jeweils ein Abschnitt auf die Einleitung und den Schluss entfällt. Somit ergeben sich nicht weniger als 18 Gruppen. Die Übergänge zwischen diesen sind aber durchaus fließend und bei einzelnen Werken ist nicht ganz nachvollziehbar, warum sie in eine bestimmte Gruppe eingereiht wurden. Überraschend ist etwa die Datierung zweier Zeichnungen, welche die Stadttore von Rhenen darstellen, in die frühen 40er Jahre (63-65). Wie aus den ausführlichen Literaturangaben in den Endnoten hervorgeht, wurden diese Zeichnungen von der bisherigen Forschung zumeist in die späten 40er, gelegentlich auch um 1650 datiert. In meinen Augen entstanden sie zur gleichen Zeit wie zwei weitere Ansichten von Gebäuden in Rhenen, die zum Teil auch in die frühen 50er datiert werden. Gnanns Hauptargument ist, dass der Durchblick durch die Tore räumliche Tiefe erzeuge (63). Eine gewisse perspektivische Dynamik ist zwar vorhanden, aber dennoch wird der Stil stärker von der strengen Frontalität des Gebäudes, den bildparallelen Mauern sowie der statischen Flächigkeit der Komposition bestimmt, welche durch die zahlreichen horizontalen und vertikalen Linien zustande kommt. All dies würde eher für eine Datierung zwischen etwa 1652 und 1656 sprechen. Sehr ähnliche Merkmale zeigt außerdem auch die Darstellung eines Bauerngehöfts mit Baum und sitzenden Figuren (New York, Frick Collection), die Gnann in die Jahre 1650-1651 datiert (152). Stilistisch steht diese auch Rembrandts "bühnenhaften" Radierungen mit religiöser Thematik nahe, die ab 1652 entstanden. Eng miteinander verwandt sind außerdem auch das Seegelboot auf dem Fluss Schinkel (Los Angeles, Getty Museum), eine Flusslandschaft mit zwei Booten (Ackland Art Museum) und die Mühle de Bok (Paris, Fondation Custodia). Gnann zufolge entstand das Segelboot jedoch einige Jahre früher als die beiden anderen Zeichnungen (155). Der Blick in die Endnoten offenbart, dass alle drei Werke überwiegend in die 1640er datiert werden. Meines Erachtens kann man die Zusammengehörigkeit der Zeichnungen nicht bezweifeln, doch für ihre zeitliche Einordnung gibt es eigentlich keinerlei Anhaltspunkte.
Gnann kritisiert Forscher wie Holm Bevers, die dem Künstler Zeichnungen abgeschrieben haben (316). In zahlreichen Fällen muss man dem Wiener Kurator Recht geben. Zwei sehr gute Beispiele hierfür wären die Baumgruppe mit Bootshaus (Berlin, Kupferstichkabinett) und das Bauernhaus unter Bäumen an vorbeiführender Straße (Chatsworth, The Devonshire Collections). Beide Zeichnungen wurden zuletzt einem mutmaßlichen Rembrandt-Schüler namens Pieter de With zugeschrieben, stehen jedoch sehr eng mit zwei Radierungen Rembrandts in Verbindung. Der Autor vergleicht die Zeichnungen mit gesicherten Werken de Withs und verweist zurecht darauf, dass die Gestaltung der Bäume bei den zugehörigen Radierungen sehr ähnlich ist (214, 195). De Withs Zeichenstil sei hingegen zu gleichförmig und formelhaft, weshalb die Blattformen nicht dasselbe Volumen besäßen wie bei Rembrandt. Wieder andere Werke wurden abgeschrieben, obwohl sie stilistisch offensichtlich mit Zeichnungen zusammenhängen, deren Zuschreibung nicht bezweifelt wird. Dies gilt insbesondere für das Pferdegespann auf einer von Bäumen gesäumten Straße (verbleib unbekannt) und ein baumumstandenes Bauerngehöft an einem Graben (Chatsworth, Devonshire Collections). Letztere wurde ebenfalls Pieter de With zugeschrieben, da sich auf der Rückseite des Blattes eine Zeichnung von ihm befindet. Allerdings unterscheidet sich der Stil der Zeichnung deutlich vom Stil de Withs. Zudem hängt das Werk auch technisch sehr eng mit einer weiteren, spiegelverkehrten Zeichnung eines Bauerngehöfts an einem Graben (Cambridge, Mass., Harvard Art Museums) zusammen. Der malerische Stil des Pferdegespanns auf einer von Bäumen gesäumten Straße wiederum zeigt deutliche Parallelen zu einer Landschaft am Wasser mit Bauernhäusern unter Bäumen, deren Verbleib ebenfalls unbekannt ist. Erwähnenswert ist auch der Versuch, mehrere Landschaftszeichnungen Rembrandts Heyman Dullaert zuzuschreiben. Gnann weist auf die Problematik dieser Zuschreibungen hin, da von Dullaert nur eine einzige Zeichnung bekannt ist, die ein Selbstporträt zeigt (316). Überzeugend sind seine stilistischen Argumente insbesondere bei der Allee am Diemerdijk (Berlin, Kupferstichkabinett): die Atmosphäre ist hier von Licht und Luft getränkt und die Einzelformen lösen sich auf (317). Rembrandt beschreibt dem Autor zufolge nicht mehr das konkrete Aussehen der Landschaft, sondern ihre optische Erscheinung. Ergänzen könnte man, dass die Spontaneität und Virtuosität der Linienführung an Werke wie den Entwurf für die berühmte Hieronymus-Radierung (Hamburg, Kunsthalle) erinnern.
Gnanns Zuschreibungen sind also in der Regel nicht unbegründet. Allerdings behandelt er eine sehr große Anzahl von Zeichnungen und schreibt über die einzelnen Werke meist nur wenige Sätze, weshalb seine Stilanalysen manchmal "skizzenhaft" wirken. Obwohl er seine Überlegungen in den Endnoten gelegentlich genauer ausführt, wäre es vielleicht sinnvoller gewesen, die wichtigsten abgeschriebenen Werke auszuwählen und ihre erneute Zuschreibung an Rembrandt ausführlicher zu diskutieren.
Problematischer erscheinen jedoch viele von Gnanns ungewöhnlich präzisen Datierungen. Die meisten Zeichnungen datiert der Autor nämlich auf das Jahr genau. Zwar lässt sich Rembrandts stilistische Entwicklung bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen, da einzelne Zeichnungen datiert sind oder eng mit datierten Arbeiten zusammenhängen, aber dennoch ist die Anzahl der undatierten Werke viel zu groß, um für alle Landschaftszeichnungen eine derart präzise Chronologie zu erstellen.
Insgesamt ist Achim Gnanns Studie also vor allem für Leser, die sich noch kaum mit Rembrandts Zeichnungen beschäftigt haben, keine einfache Lektüre. Wenn man sich aber auf das sehr umfangreiche und hochqualitative Bildmaterial, das die Publikation enthält, einlässt, kann es auch ein äußerst lehrreiches Buch, ja sogar eine Art Schule des Sehens sein. In jedem Fall sind die in dem Band präsentierten Überlegungen ernstzunehmen und als ein konstruktiver Beitrag zu den Zuschreibungsdiskussionen auf diesem Gebiet zu werten.
Anmerkung:
[1] Christiaan Vogelaar / Boudewijn Bakker: Rembrandts Landschaften, München 2006.
Anna Simon