Peter Bennett / Bernard Dompnier: Cérémonial politique et cérémonial religieux dans l'Europe moderne. Échanges et métissages (= Travaux du Centre d'Études Supérieures de la Renaissance de Tours; 5), Paris: Classiques Garnier 2020, 358 S., zahlr. s/w-Abb., 1 Kt., ISBN 978-2-406-09751-8, EUR 32,00
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Werke mit umfassenden Titeln wecken zurecht umfassende Erwartungen seitens des Lesepublikums. Je allgemeiner und umgreifender diese gewählt werden, desto umfangreicher stellt sich der unvoreingenommene potentielle Adressat einer solchen Publikation, nämlich der Leser, die Aufarbeitung des so evozierten Stoffes vor. Folgten wir dieser Grundregel, so müsste mit dem hier anzuzeigenden Titel eines der größten Forschungsdesiderate für die Neuzeithistoriographie der vergangenen Jahrzehnte endlich getilgt sein. Tatsächlich stellt ja der intensivierte Fokus auf Fragen des "politischen und religiösen Zeremoniells im modernen Europa" eine der erfreulichsten Neubeleuchtungen der Historie dar, welche im Zuge eines zunehmend umfassend kulturhistorischen Ansatzes Fragestellungen, Methoden und Herangehensweisen der Geschichtswissenschaft gewinnbringend erweiterten.
Nun, auf das Risiko hin, nunmehr den Leser dieser Zeilen ebenfalls enttäuschen zu müssen - diese Erwartung wird im vorliegenden Band (leider auch) nicht erfüllt; dies wäre bei einem Umfang von knapp über 350 Textseiten wohl auch schwer möglich. Darin erschöpfen sich aber auch schon nahezu die Einschränkungen und Negativa des Werkes.
Generell weist der mit zwei Ausnahmen durchgängig in französischer Sprache gehaltene Sammelband auch einen deutlichen Fokus auf den gallischen Raum auf, dies mit neun der insgesamt elf Beiträge. Daneben findet sich einer für den italischen sowie ein letzter für den niederländischen Bereich. Innerhalb des französischen Kontextes widmen sich ihrerseits vier Aufsätze der Korrelation von Musik, Zeremoniell und repräsentativer Ambition des Ancien Régimes, drei andere sowie der italische aber dem Einzelphänomen der fürstlichen entrée, also dem feierlichen Einzug, sowohl von Monarchen als auch von Prälaten und (im italienischen Falle) Regionalfürsten. Ein einziger Text von Peter Bennett erreicht sogar anhand der königlichen Einzüge Louis' XIII in Städte der Provinz ein inhaltlich-analytisches Amalgam anhand des sehr pointierten Nachweises musikalischer und liturgischer Interdependenzen.
Gerade in der Liturgie, einem für das Verständnis der Vormoderne zentralen Gesichtspunkt von einer die heutige, rein kirchlich (meist nur sonntags-)gottesdienstliche Bedeutung des Wortes weit übersteigenden Signifikanz, erfahren die angesprochenen und hier vorrangig behandelten Sinnzusammenhänge ja erst ihre eigentliche Bedeutung. Alle drei wesentlichen Elemente der Untersuchung fanden ihr Urbild ja im Einzug Christi in Jerusalem am Palmsonntag: Königtum und Huldigung (Monarchie), rituelle Akklamation (Liturgie und Musik) sowie die gewollte Inszenierung des Eselrittes (messianisch-royale entrée). In dieser Verdichtung traditionell-monarchischer Manifestation findet sich auch die gemeinsame heilsgeschichtliche wie sakramentale Referenz von sakralem Königtum und hierarchischem Weihepriestertum. Von daher bietet Stéphane Gomis' Untersuchung zu den bischöflichen entrées in der Epoche französischer Frühneuzeit nicht nur eine willkommene thematische Erweiterung des gewählten Fokus', sondern die Vorstellung eines damit intim verbundenen Sujets.
Musik, Zeremoniell und traditionell-monarchisches Selbstverständnis beschränk(t)en sich aber keineswegs auf die diversen Einzüge, sondern erfuhren ihre Sinnverwirklichung in zahlreichen Kontexten. Hierunter fallen zum einen an Einzelaspekte des monarchischen Erbes, wie etwa die gerade für Frankreich (und dann in Anlehnung auch Rußland) zentral wichtigen Kronorden, sowie zentrale Referenzgestalten. Thomas Leconte widmet dem entsprechend den Feierlichkeiten des Ordens vom Heiligen Geist im Zeitraum von 1578 bis 1661 eine bislang so noch nicht verfügbare Aufarbeitung, während Bernard Dompnier sich Ausgestaltung und inhaltliche Interpretation der öffentlichen Feierlichkeiten des Ludwigsfestes (la Saint Louis, 25. August) in der Regierungszeit von Louis XIII angelegen sein lässt. Diese erfreuliche Emphase auf eine vor der meist im Blick-, beziehungsweise Mittelpunkt des Interesses stehenden Epoche des kulminierenden Grand Siècle unter Louis XIV (1661-1715) findet sich wieder in der substantiellen, oben bereits angesprochenen Entsprechung von göttlicher und monarchischer Sphäre in den Zeilen von Marie-Claude Canova-Green zu den entrées des Roi cornélien. Ähnliches findet sich, epochal erweitert und gekonnt an den zwei hochgradig symbolisch-traditionell behafteten Indikatoren von Orangenblüten und Weihrauch als Elemente der königlichen entrée festgemacht, in den Ausführungen von Rosa de Marco. Den Blick in die geographische Ferne weitet zunächst noch monarchisch akzentuiert der wichtige und oft vergessene Aspekt dessen, was man heute als Auslandsdarstellung bezeichnen würde. Exemplifiziert wird es hier anhand der französischen Nationalkirchen in Rom und ihrem musikalisch-liturgisch-zeremoniellen Leben, welches Michela Berti verdienstvollerweise erstmals in passendem Rahmen vorstellt. Ein anderer Blick schweift nach Lyon, um, geleitet von den Ausführungen Judi Loachs, das Dreifaltigkeitsfest in seiner ganzen zeremoniell-volkstümlich ausgeprägten komplexen Sinnhaftigkeit nachzuverfolgen. Endgültig die französische Welt zumal geographisch verlassend beschließen Caroline Heering mit einer Festanalyse der Feierlichkeiten in den südlichen Niederlanden anlässlich der Doppelkanonisation der jesuitischen Zentralheiligen Ignatius (von Loyola) und Franz Xaver im Jahre 1622, sowie Iain Fenlon mit einer thematisch näher verwandten Studie zu den symbolisch-metaphorischen Konnotationen fürstlicher entrées im Italien des Cinquecento den Band.
Unvollständig wäre unser résumé aber ohne einen abschließenden Hinweis auf den ersten und vielleicht in seiner bilanzierenden Verbindlichkeit zentralen Text des Bandes, Thierry Faviers zusammenfassende Untersuchung zu geistlicher Musik und monarchischer Konzeption unter Louis XIV. Favier ist als profunder Kenner der Materie hierzu bestens prädestiniert, und der Text erfüllt in seiner Aussagevielfalt auch die so geweckten Erwartungen.
Abschließend bleibt nurmehr, dem hier aus Platzmangel nur knapp skizzierten Band eine hohe Verbreitung zu wünschen. Sicher wird nicht jeder Leser und jede Leserin jede darin getroffene Aussage, Haltung und Sichtweise nachvollziehen wollen und können. Was bleibt, ist aber ein beeindruckendes Bild einer faszinierend facettenreichen Geisteswelt, welche weit über das bislang leider zu oft schablonenmäßig gesehene Materiell-Etikettenhafte epochaler Ein-, wie fachdisziplinärer Zuordnung hinausgeht.
Gerade in seiner genremäßig notwendigen Begrenztheit betont und belegt der schöne Sammelband Anspruch, Wert und Potential des im Titel aufscheinenden übergeordneten Gesamtanliegens.
Anmerkung:
[1] Inhaltsverzeichnis online abrufbar unter: https://classiques-garnier.com/export/html/ceremonial-politique-et-ceremonial-religieux-dans-l-europe-moderne-echanges-et-metissages-table-des-matieres.html (13.7.2021).
Josef Johannes Schmid