Jann M. Witt: Die Bounty war sein Schicksal. Das abenteuerliche Leben des William Bligh, Darmstadt: Primus Verlag 2014, 192 S., 10 s/w-Abb., ISBN 978-3-86312-041-2, EUR 19,95
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Jürgen Overhoff: Friedrich der Große und George Washington. Zwei Wege der Aufklärung, Stuttgart: Klett-Cotta 2011
Anthony Clayton: Three Republics One Navy. A Naval History of France 1870-1999, Solihull: Helion & Company 2014
Scott Eyman: John Wayne - the Life and Legend, Chicago: Simon & Schuster 2014
Es gibt maritime Epen, welche über die Jahrhunderte hinweg nichts von ihrer Faszination einbüßen. Zu ihnen rechnen ohne Zweifel die Geschichte von HMAV Bounty, respektive die sich darum rankenden Geschichten. Die Odyssee des kleinen Schiffes unter seinem vermeintlich wahnsinnigen Kapitän William Bligh hat Tausende von Buchseiten, Hunderte von Erklärungs- und Kommentierungsversuchen, sowie unzählige Kilometer Zelluloid an filmischem Echo hervorgebracht. In der Tat - der Schock einer Meuterei auf einer Einheit seiner Britischen Majestät saß und sitzt tief und fordert immer noch den Fachmann in ebenso hohem Maße heraus wie er auch ein breiteres Publikum zu faszinieren imstande ist.
Der überwiegende Anteil der bislang hierzu vorgelegten Literatur blieb verständlicherweise im angelsächsischen Raum angesiedelt [1], manches davon fand seinen Weg in die Stuben deutscher Übersetzer [2] und von dort auf den hiesigen Büchertisch. Genuin deutsche Darstellungen des Themas waren Mangelware, biografische Einzeluntersuchungen zu den Beteiligten darüber hinaus ebenfalls.
Umso erfreulicher ist es nun, mit dem hier zu besprechenden Werk aus der Feder Jann M. Witts die Schließung der zumal für unsere Lande offenen Lücke in beiden Bereichen anzuzeigen. Auf knapp zweihundert Seiten konnte der fachspezifisch renommierte Autor [3] eine konzise Lebensgeschichte dieses oft verkannten und fehl gedeuteten Seemanns vorlegen, welche dem Leser nicht nur einen Überblick über Vita und Leistung offeriert, sondern darüber hinaus eine ganze manchmal im Dunkeln zwischen den strahlenden Epochen davor und danach gebliebene Ära der Seefahrtsgeschichte beleuchtet.
Inhaltlich orientiert sich die Darstellung legitimer Weise an der Biografie Blighs. Diese aber bietet in ihrer nahezu stereotypen Verhaftung im cursus honorum der Royal Navy wertvolle Einsichten in deren Sozial- und Mentalitätsgeschichte. Das Stereotypische endete jedoch schlagartig mit den Vorgängen des Jahres 1789 im Pazifik. Von da an erfährt Bligh eine Umdeutung, wird er für weite Teile der Rezeptionsgeschichte zum maritimen Tyrannen par excellence, zum Menschenschinder und seemännischen Unmenschen. Dass dies keineswegs den historischen Gegebenheiten entspricht, ist für den Kenner der Materie zwar keine allzu neue Einsicht, doch Witt gelingt es, diese einem breiteren Publikum nachvollziehbar und anschaulich vor Augen zu stellen.
Diese Ausgewogenheit des Urteils bleibt nicht bei den allzu bekannten und im Buch wie gesagt ausführlich genug erörterten, hier nicht zu wiederholenden Vorgängen um die Bounty stehen. Bligh hatte ein Leben nach der Bounty, sogar ein sehr spektakuläres. Als herausragender Seeoffizier in den Kriegen ab 1793 zeichnete er sich ebenso aus, wie in dem völlig anders gelagerten Posten eines Gouverneurs im australischen New South Wales ab 1805. Dass er auch hier mit einer Erhebung konfrontiert wurde, zementierte für manche der früheren Betrachter nur das oben gezeichnete Bild; eine stärker nuancierte Betrachtung, wie sie auch Witt bereithält, gelangt gerechter Weise hier ebenfalls zu einem völlig anderen Urteil.
Man muss den sicherlich raubeinigen und verschlossenen Seemann am Ende des Bandes, da er sein Leben als Admiral und Leiter der Dubliner Hafenbehörde beendet, nicht unbedingt liebgewonnen haben. Der Eindruck eines manisch Verrückten aber, wie ihn Charles Laughton 1939 in einer der klassischen Verfilmungen des Stoffes schauspielerisch meisterhaft lieferte, hat sich nach Lektüre des vorliegenden Bandes verflüchtigt.
Dieser unzweifelhaften publizistischen Leistung stehen einige wenige Nachfragen gegenüber. Diese betreffen vor allem die Auswertung der, wie erwähnt, schier unüberschaubaren Literatur zum Thema. Sicher wird niemand von einer eindeutig populärwissenschaftlich ausgerichteten Veröffentlichung eine komplette, oder gar kritische, beziehungsweise kommentierte Bibliografie erwarten, welche Umfang und Ansatz völlig sprengte. Aber kann eine einseitige Literaturauswahl mit einem einleitenden Verweis auf eine wiewohl große, eigentlich aber nicht zitierbare, sich zudem dauernd verändernde Internetenzyklopädie tatsächlich hinreichen? Hätten nicht einige weitere Spezialuntersuchungen, vor allem zu Einzelfragen wie der Versorgung auf See [4] und der Sozialgeschichte der Navy [5], nicht nur dem Leser weiterführende Fragestellungen aufgezeigt, sondern bei entsprechender Verwendung auch einige leider wieder übernommene Vorurteile im Text (so die ihrerseits stereotypen Geschichten von madenstichigem Brot, verfaultem Wasser und Mangelernährung) überflüssig gemacht? Sicher waren solche Phänomene anzutreffen (sie führten ja, neben anderen gravierenderen Ursachen, auch zu den großen Meutereien von 1797), dem Regelfall dürften sie aber angesichts sowohl der Quellenlage wie auch der offensichtlichen Erfolgsgeschichte der Navy nicht entsprochen haben. Ein kleiner Hinweis auf Literatur etwa zu Blighs australischer Zeit hätte überdies den allzu klassischen Konnex "Bligh-Bounty" im Sinne des Autors etwas entzerrt. [6]
Ein Sach- und Personenregister würde schließlich - diese Beobachtung richtet sich an den Verlag, nicht den Autor - die Benutzung des Bandes sehr erleichtern. Das beigefügte Glossar hingegen sowie das übrige Material im Anhang sind sehr zu begrüßen und vor allem für ein Nicht-Fachpublikum hilfreich.
Im Résumé aber können diese marginalen Desiderate das überzeugende Gesamtbild einer anschaulichen Publikation nicht nachhaltig trüben, welche vor allem im Dienste einer positiv verstandenen vulgarisation eines Sujets von ungebrochenem Interesse ihr Ziel mehr denn erreicht.
Anmerkungen:
[1] So: Rosalind Amelia Young: Mutiny of the Bounty and the Story of Pitcairn Island, 2Honolulu 2003; Rolf E. Du Rietz: The Bias of Bligh: An Investigation into the Credibility of William Bligh's Version of the Bounty Mutiny, Uppsala 2003; Greg Dening: Mr. Bligh's Bad Language. Passion, Power and Theatre on the Bounty, Cambridge u.a. 1992; Gavin Kennedy: Captain Bligh. The Man and His Mutinies, London 1989.
[2] Caroline Alexander: The Bounty. The True Story of the Mutiny on the Bounty, New York 2003 (dt. Die Bounty. Die wahre Geschichte der Meuterei auf der Bounty, Berlin 2004) und die exzellente Darstellung von Blighs Pazifikdurchquerung nach der Meuterei: John Toohey: Captain Bligh's Portable Nightmare. From the Bounty to Safety - 4162 Miles Across the Pacific in a Rowing Boat, New York 2000 (dt.: Käpt'n Blighs Albtraum. Das außergewöhnliche Leben des Kapitäns der Bounty, Hamburg 2002).
[3] Vgl. aus den seehistorischen Veröffentlichungen Witts: Seefahrtsgeschichte Schleswig-Holsteins in der Neuzeit, Heide 2012; Die Ostsee, Darmstadt 2009; Horatio Nelson, Hamburg 2005.
[4] V.a. Janet Macdonald: Feeding Nelson's Navy. The True Story of Food at Sea in the Georgian Era, London 2004.
[5] Brian Lavery (ed.): Shipboard Life and Organisation, 1731-1815, Aldershot 1998; ders.: Royal Tars - the Lower Deck of the Royal Navy 875-1850, London 2010, 197-243; Dudley Pope: Life in Nelson's Navy, 21981 (Ndr. London 1999); N. A. M. Rodger: The Wooden World - an Anatomy of the Georgian Navy, Annapolis, Md. 1986 (Ndr. New York 1998).
[6] Anne-Maree Whitaker: "William Bligh", in: David Clune / Ken Turner (eds.): The Governors of New South Wales 1788-2010, Sydney 2009, 87-105; Richard Neville: The Arrest of Governor Bligh - Pictures and Politics, in: Australiana 13 (1991), Nr. 2, 38-42; Herbert V. Evatt: Rum Rebellion: A Study of the Overthrow of Governor Bligh, 2London 1968.
Josef Johannes Schmid