Hall Bjørnstad: The Dream of Absolutism. Louis XIV and the Logic of Modernity, Chicago: University of Chicago Press 2021, XII + 230 S., 7 Farb-, 14 s/w-Abb., ISBN 978-0-226-80383-8, USD 30,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Wolf H. Birkenbihl: Elisabeth Charlotte von Orléans. Eine pfälzische Prinzessin am französischen Königshof, Marburg: Tectum 2023
Anuschka Tischer: Ludwig XIV., Stuttgart: W. Kohlhammer 2017
Regina Schleuning: Hof, Macht, Geschlecht. Handlungsspielräume adeliger Amtsträgerinnen am Hof Ludwigs XIV., Göttingen: V&R unipress 2016
Georg Eckert / Carola Groppe / Ulrike Höroldt (Hgg.): Preußische Staatsmänner. Herkunft, Erziehung und Ausbildung, Karrieren, Dienstalltag und Weltbilder zwischen 1740 und 1806, Berlin: Duncker & Humblot 2023
Tobias Schenk: Wegbereiter der Emanzipation? Studien zur Judenpolitik des "Aufgeklärten Absolutismus" in Preußen (1763-1812), Berlin: Duncker & Humblot 2010
Der Absolutismus-Begriff in den Geschichtswissenschaften als Kennzeichnung einer spezifischen Herrschaftsform der Frühen Neuzeit oder gar einer ganzen Epoche war von Anfang an immer mehr als ein objektiver Fachbegriff zur Umschreibung eines bestimmten Sachverhalts - im Sinne eines taciteischen "sine ira et studio": Kampfbegriff in Zeiten der Französischen Revolution, ideale Herrschaftsform für viele im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert gerade auch unter den großen Preußenhistorikern, die den starken, transzendent überhöhten Machtstaat verherrlichten, Herausforderung für die Historiographie nach 1945, die ausgehend von der Ständeforschung das traditionelle Konzept absolutistischer Herrschaft relativierte und die Frage nach dem Nicht-Absolutistischen im Absolutismus immer dezidierter stellte, Hinweis auf den engen, durchaus positiv wahrgenommenen Zusammenhang von Wachstum des Staates unter absolutistischem Vorzeichen und der Idee von Entwicklung, Modernisierung und Fortschritt, schließlich die Entlarvung des Absolutismus als Mythos (Nicholas Henshall), womit neue Dynamiken freigesetzt wurden, die immer stärker auf die Begrenzungen absolutistischer Herrschaft aufmerksam machten und deren Charakter als konsensuale Herrschaft und verhandelten Kompromiss mit den Machteliten des (vor-)modernen Staates hervorhoben. Viele dieser Forschungsperspektiven konzentrierten sich auf Ludwig XIV. (1638-1715), der bis heute als Idealtypus und Inbegriff des absolutistischen Herrschers gilt.
Und auch Hall Bjørnstad, Professor für Französisch an der Indiana University Bloomington/USA, beschäftigt sich in dem hier zu rezensierenden Buch mit dem Roi Soleil, auch wenn nicht dieser, sondern das Wesen des Absolutismus im Zentrum steht. Nach einer instruktiven Einführung in Thema und Methodologie (1-40) öffnet der Autor, wie er im Vorwort (XI-XII) formuliert, "three very different, yet complementary windows into the dream and logic of absolutism" (XII). Diesen Fenstern entsprechen die drei Kapitel des vorliegenden, mit 21 Abbildungen illustrierten Buches.
(1) Auf der Basis der Mémoires Ludwigs XIV., einer Art Politischem Testament, das anstelle anderer traditioneller Herrscherinstruktionen als nunmehr allein gültiges Musterbuch der politischen Praxis den Dauphin "by example and counsel" (69) auf sein künftiges Amt vorbereiten sollte, entwickelt Bjørnstad mittels grammatikalischer und inhaltlicher Analyse sein Traumkonzept des Absolutismus, ein Traum "that not only belongs to but that constitutes absolutism, the dream that absolutism is" (35). Es ist der Traum von königlicher Allmacht, Omnipräsenz und Glorie, den der Vater mittels seiner Instruktionen im Sinne einer dynastischen Kontinuität in die Zukunft verlängern will - vergeblich allerdings, da die ungewisse Zukunft dem Zugriff der königlichen Autorität entzogen ist. (2) Anschließend beleuchtet er (93-150), ausgehend vom künstlerischen Gesamtkonzept von Charles Le Brun (1619-1690) für die Decke des Versailler Spiegelsaals und insbesondere seiner Gemälde, die unmittelbare, vergangenheitslose Präsenz des selbstreferentiellen absolutistischen Herrschers. Die Herrschaftskultur des Absolutismus wird in Versailles besonders greifbar, in "a brave new world [...] with the same essential focus on superficiality, on a surface with no depth or history, not emerging from a tradition, the illusion of timelessness, which is really an eternal present" (150) - eine Welt, die den Rahmen für den kollektiv geträumten Traum des Absolutismus darstellt und - ganz im Sinne Norbert Elias (1897-1990) - die adlig-höfische Gesellschaft diszipliniert und domestiziert. (3) Schließlich zeigt der Autor (151-203) anhand von zwei zeitgenössischen, besonders überschwänglichen Lobschriften auf Ludwig XIV. - die eine (1685) stammt von Charles Guyonnet de Vertron (1645-1715) und die andere (1698) von Jean de Préchac (1647-1720) -, die in den Augen moderner Leser*innen des 21. Jahrhunderts geradezu lächerlich und als "absolutist absurdities" erscheinen, dass auch diese panegyrischen Werke "operate very self-consciously according to the same logic that is at work at the heart of absolutism [...,] grappling with the paradoxes and impasses of the dream of absolutism" (153). Die Ergebnisse seiner Studie fasst der Autor in sieben Thesen (205ff.) knapp und konzis zusammen; abgerundet wird das Buch von einer Danksagung (209ff.), dem Quellen- und Literaturverzeichnis (213-222) und einem Gesamtregister (223-230).
Nach Ansicht des Literatur- und Kulturwissenschaftlers Hall Bjørnstad habe die bisherige Forschung die Bedeutung wichtiger Quellen unterschätzt und das komplexe Problem des Absolutismus durch die anachronistische Anwendung moderner Kommunikationstheorien häufig nur verkürzt wahrgenommen. Ganz im Gegensatz dazu versucht er eine Annäherung über die vormodernen Kategorien "Royal Glory and Royal Exemplarity" (21), womit die Autorität des Monarchen an die göttliche Allmacht gebunden sei. Als Gegenentwurf zum rationalen, analysierenden und demystifizierenden Blick des 21. Jahrhunderts auf die Herrschaftskultur des Absolutismus propagiert Bjørnstad das Bild eines Absolutismus-Traums, um das historische Phänomen des 17./18. Jahrhunderts in seiner ganzen rationalen und affektiven Dimension zu erfassen. Denn der Begriff des Traumes erlaube es über alle rationalen und messbaren Wahrheiten hinaus auch die Kräfte der Imagination, praktische Lebenserfahrung, "extra-rational, premodern knowledge" (35) und sogar widersprüchliche Aussagen miteinzuschließen.
Bjørnstads Traumkonzept des Absolutismus ist gekennzeichnet (1) von einer a-historischen überwältigenden Präsenz im Hier und Jetzt, (2) von unmittelbarer praktischer Teilhabe der zeitgenössischen Gesellschaft mittels Unterhaltung, Spiel und Festlichkeiten, (3) von Handlungen, die demonstrativ nach außen, auf die Öffentlichkeit gerichtet sind, und (4) von einem kraftvollen direkten Bezug zur politischen Lebensrealität. "The dream of absolutism is a dream of divinely invested ontological hierarchy, fueled by passions such as admiration and devotion, upheld by participatory cultural practices revolving around royal glory and royal exemplarity. Important, therefore, it is not a top-down enterprise, but a dream dreamt together collectively, from the king's erudite historiographers to the humble sonneters who entered their work into competitions to praise Louis XIV. Together, they form an invested, imaginative totality, with ample room for tensions and contradictions." (205).
Auf einer angemessenen, fast ausschließlich anglo-französischen Literaturgrundlage entwickelt Hall Bjørnstad seine Argumentation anhand einer detaillierten, bisweilen allzu kleinteiligen Interpretation seines vielgestaltigen Quellencorpus (Mémoires, Literatur, Kunstwerke). Ohne Zweifel trägt dieser interdisziplinäre Ansatz zu einem besseren Verständnis des Gesamtphänomens Absolutismus bei, das sich dem rationalen Zugriff der Gegenwart häufig entzieht, erweitert den aktuellen Kenntnisstand zum Thema aber nur unwesentlich, auch wenn der Autor immer wieder Versäumnisse der bisherigen - in ihrer Breite von ihm nur zum Teil erfassten - Geschichtsschreibung betont, um, wie so oft bei neuen Studien, das eigene Werk in umso helleren Licht erscheinen zu lassen. Überaus vage bleibt auch der Begriff der Modernität und seine Logik, obwohl er im Titel auftaucht. Ungeachtet dieser Einschränkungen gelingt es Björnstad aber doch, sein Traumkonzept vom Absolutismus anschaulich werden zu lassen und damit einen neuen, durchaus erfrischenden Blick auf das komplexe Thema des Absolutismus zu werfen.
Peter Mainka