Anne Röhl / André Schütte / Philipp Knobloch et al. (Hgg.): bauhaus-paradigmen. künste, design und pädagogik, Berlin: De Gruyter 2021, 421 S., ISBN 978-3-11-072696-1, EUR 79,00
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Christian Fuhrmeister / Monika Hauser-Mair / Felix Steffan (Hgg.): Kunst und Nationalsozialismus. vermacht. verfallen. verdrängt, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2017
Christian Fuhrmeister / Monika Hauser-Mair / Felix Steffan (Hgg.): Kunst und Nationalsozialismus. vermacht. verfallen. verdrängt, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2017
Ausgangspunkt für den 2021 erschienenen Sammelband ist die im Bauhaus-Jubiläumsjahr 2019 veranstaltete mehrtägige Fakultätstagung Bauhaus-Paradigmen. Von Gestaltungsutopie zu Popkultur? an der Universität Siegen. Sowohl die Veranstaltung als auch der zu besprechende Band gehen Fragen nach der Aktualität von Bauhaus-Konzepten für das 21. Jahrhundert nach. Genauer thematisieren sie, inwieweit die teils utopischen, teils widerstreitenden Ideen des Bauhauses, künste, design und pädagogik betreffend, noch über Aktualität verfügen, beziehungsweise wie deren jeweiligen Potentiale erneuert werden können oder auch müssen. Dafür wurden insgesamt 28 design-, kultur-, politik- und erziehungswissenschaftliche Beiträge ausgewählt und zusammengetragen. Diese werden durch die Herausgeber:innen vier Themenbereichen zugeordnet, die jeweils in der Einleitung aufgeführt und in kurzen Sektionstexten vorgestellt werden.
So widmet sich der erste Teil mit Beiträgen von Annette Geiger, Joseph Imorde, Andreas Zeising, Anne Röhl, Thomas Hensel und Reinke Schwinning dem Bauhaus in der Populärkultur. Noch heute steht das Bauhaus als Sinnbild für die internationale Moderne. Diese geläufige und maßgeblich positive Rezeption, wie sie von Walter Gropius vorangetrieben und in einer Vielzahl von Publikationen verbreitet wurde, soll innerhalb dieser Sektion - und unter Einbezug jüngster, mit dem Bauhausjubiläum in Verbindung stehender Rezeptionen - kritisch untersucht werden. Während sich die meisten Beiträge spezifischeren Themenkomplexen wie der Einordnung von Bauhausideen in digitale Welten widmen, stellt Geigers Aufsatz einen gelungenen Einstieg in das Kapitel dar, um unterschiedliche Rezeptionskonzepte des Bauhauses aufzuzeigen. Interessant ist hier die Verknüpfung mit den Low Budget-Möbelanleitungen des Architekten Van Bo Le-Menzel. In seinen zeitgenössischen Möbeldesigns und den von ihm konzipierten Tiny Houses sind nicht nur die ursprünglichen formästhetischen und funktionalen Fragen des Bauhauses inhärent. Vielmehr manifestiert sich in diesen Arbeiten eine zeitgenössische Rezeption unterschiedlicher Bauhausgedanken.
Die zweite Sektion Pädagogik und Gestaltung thematisiert das Bauhaus als Ausbildungsstätte und zielt mit ihren Beiträgen auf die Erweiterung des Pädagogikbegriffs am Bauhaus ab. So beruhten dessen kunstpädagogische Zielsetzungen nicht ausschließlich auf der Vermittlung einer funktionalen und zweckmäßigen Gestaltungspraxis, sondern vielmehr auch auf der Auseinandersetzung mit der positiven erzieherischen, sozialisierenden und bildenden Wirkung der entwickelten Produkte auf Mensch und Gesellschaft. Diesen den Erzeugnissen einverleibten Prozessen widmen sich die hier versammelten Aufsätze von Clemens Bach, André Schütte, Martin Viehhauser und Anja Küttel, Arnd-Michael Nohl, Sarah Hübscher und Elvira Neuendank, Henning Schluß gemeinsam mit Johanna Klär und Ken Nilles sowie Phillip D. Th. Knobloch. In unterschiedlichen erziehungswissenschaftlichen Annäherungsversuchen werden dabei auch Brücken zur Gegenwart geschlagen.
Interessanterweise fokussieren fast alle Beiträge auf die erzieherischen Qualitäten der produzierten Gebrauchsgegenstände, obwohl diese Gegenstände ausschließlich für das gehobene Bildungsbürgertum konzipiert und an dieses verkauft wurden. Folglich wirken diese Objekte entgegen der eigentlichen Intention spezifisch auf eine bestimmte Gesellschaftsschicht. Auch wenn auf diese Problematik in einzelnen Aufsätzen verwiesen wird, ist die Auseinandersetzung mit Gebrauchsgegenständen weiterhin über die Maßen präsent. Weniger selektiv erscheint indes die Architektur, die ebenso zur Erziehung von Mensch und Gesellschaft eingesetzt werden kann. Umso erfreulicher ist Viehausers und Küttels Befragung des Bildungsbaus hinsichtlich seiner "pädagogischen Absichten" (150), nicht nur als Ausbildungsstätte, sondern auch als Sinnbild von erzieherischen Ideenkonzepten und als physische Manifestation des Neuen Bauens. Innerhalb des Aufsatzes wird dem Material Glas eine entscheidende Rolle für das Bauhausgebäude in Dessau zugeschrieben: Das transluzide Material überwindet scheinbar physische Barrieren, baut neue Sichtbezüge auf und lässt folglich neue Seh- und Raumerfahrungen zu. Weiterführend kann die Konsequenz gezogen werden, dass durch die offene Baugestaltung das am Bauhaus gelebte Ideal einer Neuen Gesellschaft von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen und adaptiert werden sollte.
Dem Umgang mit Materialien am Bauhaus und den späteren Nachfolgeinstitutionen widmet sich die dritte Sektion Materialien in der Lehre am Bauhaus, den Nachfolgeinstitutionen und der Kunstpädagogik. So beleuchten die Beiträge von Susanne Henning, Sara Hornäk, Sidonie Engels, Alexandra Panzert, Carolin Höfler, Ina Scheffler, Johanna Edler und Angela Weber unter anderem die Potentiale von Material und Bauhauslehre als Impulsgeber künstlerischer Schaffensprozesse seit den 1960er-Jahren. Eine Grundlage dieser Auseinandersetzungen bildet in dieser Sektion die Materiallehre von Josef Albers, die in den ersten drei Aufsätzen von Henning, Hornäk und Engels thematisiert wird. Diese Schwerpunktsetzung bedeutet jedoch, dass andere pädagogische Positionen, wie jene von Johannes Itten oder László Moholy-Nagy, weniger stark behandelt werden und folglich das Bauhaus und dessen Nachfolgeinstitutionen wie das Black Mountain Collage als heterogene Lehranstalten unberücksichtigt bleiben. Auch ist die Auswahl und Anordnung der Aufsätze in dieser Sektion teils fragwürdig: So wäre womöglich eine allgemeine chronologische Gliederung sinnstiftender, beispielsweise beginnend mit Panzerts Kontextualisierung der Bauhaus-Idee innerhalb der Reformschullandschaft in Deutschland. Positiv herauszuheben sind allerdings die Aufsätze von Hornäk und Höfler: Ausgehend von Theorieansätzen Albers' und Moholy-Nagys gelingt es den Autorinnen, eine Brücke zu zeitgenössischen Diskursen zu schlagen.
Hornäk beschreibt in ihrem Beitrag den Versuch, materialbasierte Übungen und Konzepte seit dem Bauhaus aus ihrem ursprünglichen historischen Kontext zu lösen, und prüfte sie in einem Seminar auf ihre Übertragbarkeit in eine gegenwärtige kunstpädagogische Praxis. Die Beschreibungen, die Versuchsprotokollen gleichen, zeugen von neuen spielerisch-künstlerischen Umgangsmöglichkeiten mit Materialien und materialgebundenen Problemstellungen, die womöglich notwendig für die Überwindung tradierter Materialkonzepte für die zeitgenössische Kunst sind. Die Bedeutung von Materialität in einem anderen zeitgenössischen Medium - der virtuellen Realität - beschreibt indes Höfler. Aus ihrem Aufsatz geht die Relevanz von haptischen und taktilen Erfahrungen zur Steigerung von Virtual-Reality-Erlebnissen hervor. Die folglich antizipierte Verknüpfung der Sinne stellt sie nicht nur mittels aktueller Versuche aus der VR-Welt vor, sondern verknüpft diese mit Theorien von Moholy-Nagy. Ihr Aufsatz ist damit als impulsgebend für weitere künstlerische Auseinandersetzungen mit der Generierung neuer Raumerlebnisse zu werten.
Inwieweit die Grundprinzipien des Bauhauses als initiierende Ideen auf unterschiedliche sich transformierende Bereiche des digitalen Zeitalters einwirken könnten, thematisiert die letzte Sektion Das Bauhaus als regulative Idee im digitalen Zeitalter. Ebenso lose wie die Definition regulativer Ideen scheint hier die Zusammensetzung der Beiträge von Ulrike Buchmann, Judith Dörrenbächer gemeinsam mit Matthias Laschke und Marc Hassenzahl, Ralph Dreher, Katharina Dutz und Niko Paech sowie Katharina Gimbel. Sie alle präsentieren fiktionale Lösungskonzepte, allerdings für unterschiedliche gesellschaftliche, bildungswissenschaftliche oder gestalterische Prozesse in zukünftigen und fiktiven Lebenswelten. Während viele der Beiträge sich überaus stark an den historischen Theorien orientieren, erscheint der von Dörrenbächer, Laschke und Hassenzahl gemeinsam verfasste Aufsatz "Utopien erleben. Eine Methode für soziale Innovationen aus dem Jahr 2020" überaus zukunftsorientiert. Wird hier doch eine mögliche gestalterische Praxis vorgestellt, die von utopischen Entwürfen ausgeht. Dieser Ausblick rundet den Band nicht nur ab, sondern unterstreicht zugleich die eingangs postulierte Aktualität und Zukunftsfähigkeit der Theorien des Bauhauses.
Der Sammelband stellt eine notwendige und im Nachhinein geradezu überfällig erscheinende Ergänzung zu den Publikationen zum Bauhaus dar. So gelingt es mittels der vielfältigen design-, kultur-, politik- und erziehungswissenschaftlichen Beiträge neue Perspektiven auf die heterogenen Ideenkonzepte des Bauhauses zu werfen. Konkrete Bezüge zu zeitgenössischen Positionen und Diskursen verdeutlichen nicht nur die Aktualität dieser Konzepte, sondern auch ihr jeweiliges Potential.
Das mit den Sektionsgliederungen verfolgte Ziel einer sinnstiftenden Übersichtlichkeit gelingt aufgrund der unzureichenden Einheitlichkeit der Einführungen nur teilweise, was auch der Mitarbeit unterschiedlicher Autor:innen geschuldet ist. Zudem bleibt die Aufteilung in die verschiedenen Sektionen zu wenig kommentiert, ebenso wie deren Reihenfolge. Dadurch entsteht stellenweise die Anmutung einer losen Aufsatzsammlung, was mitunter dem Entstehungskontext einer Konferenz geschuldet ist. So kommt es nicht nur zu inhaltlichen Wiederholungen, sondern auch zu thematischen Überschneidungen - trotz der unterschiedlichen Perspektiven auf dieselben Sachverhalte. Statt solcher Redundanzen wäre die Einführung weiterer historischer Positionen wünschenswert gewesen, gerade weil sich der Band die Darstellung der Komplexität und Heterogenität des Bauhauses zum Thema macht, was ihm auch zu großen Teilen gelingt.
Katharina Massing