Marian Füssel (Hg.): Der Siebenjährige Krieg 1756-1763. Mikro- und Makroperspektiven (= Schriften des Historischen Kollegs; Kolloquien 105), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2021, VIII + 275 S., 2 Tbl., 3 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-070964-3, EUR 74,95
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Zu den ausgewiesenen Kennern der Geschichte des Siebenjährigen Krieges gehört der Göttinger Frühneuzeit-Historiker Marian Füssel. Während seiner Zeit als Senior Fellow des Historischen Kollegs verantwortete er im März 2018 ein international besetztes Kolloquium, das sich auf seine Anregung hin mit der Frage auseinandersetzte, wie am Beispiel dieses Großkonflikts, der nicht nur in Europa, sondern auch in vielen anderen Teilen der Welt ausgetragen wurde, eine möglichst fruchtbare Verbindung von mikro- und makrohistorischen Perspektiven hergestellt werden kann. Bereits in der Einleitung des Sammelbandes, der die einzelnen Beiträge des Kolloquiums vereint, mahnt Füssel eine globale Betrachtungsweise an, die die unterscheidbaren, gleichwohl aber eng miteinander zusammenhängenden Kriege verknüpft. Schaut man sich beispielsweise eine einzelne Schlacht etwas genauer an, so wird schnell deutlich, dass diese nicht nur eine lokale Erfahrungsgeschichte vor Ort entstehen ließ, sondern oftmals politische, ökonomische, soziale und auch mediale Folgewirkungen hatte, die weit darüber hinauswiesen. Füssel skizziert den aktuellen Forschungsstand und diskutiert anschließend einige der Optionen, die die mikrohistorische Betrachtung eines globalen Konflikts des 18. Jahrhunderts bietet.
Die einzelnen Beiträgerinnen und Beiträger haben durchaus unterschiedliche thematische Zuschnitte, Perspektiven und methodische Herangehensweisen gewählt. Nicht alle Aufsätze können an dieser Stelle gleichermaßen ausführlich vorgestellt werden. Der Fokus liegt auf denjenigen Beiträgen, die sich in besonderer Weise darum bemühen, mikro- und makrohistorische Aspekte ihres Themas miteinander zu verbinden. Tim Neu beschäftigt sich in seinem Aufsatz "Glocal Credit. Die britische Finanzlogistik als fraktales Phänomen am Beispiel des Siebenjährigen Krieges" vordergründig mit der Krise der New Yorker Militärkasse im Jahre 1759. Methodisch geht es ihm jedoch vor allem darum herauszufinden, wie "Fraktalität", also die Selbstähnlichkeit von Strukturen, bei näherer Betrachtung bzw. Vergrößerung des Maßstabs in der Praxis hervorgebracht wird. Neu schlägt vor, "public credit" und Finanzlogistik als fraktale Phänomene zu verstehen. Damit möchte auch er einen möglichen Weg aufzeigen, um das Mikro-Makroproblem zu unterlaufen.
Daniel Hohrath bricht in seinem Aufsatz eine Lanze für die stärkere Beachtung von Belagerungen. Am Beispiel der für Preußen wie Österreich gleichermaßen bedeutsamen Provinz Schlesien kann er überzeugend herausarbeiten, dass die Belagerung von Festungen wesentlicher Bestandteil der jeweiligen Kriegführung war. Methodisch versucht Hohrath eine Verbindung der "großen Linien", die den Hauptteil des Beitrags ausmachen, mit einer Betrachtung "aus der Nähe". Am Beispiel der Kapitulation der Festungen Breslau (1757) und Glatz (1760) strebt er eine Verbindung der politischen, strategischen und ökonomischen mit der mikrohistorischen Ebene an. Im Ergebnis stellt sich heraus, dass sowohl die zivile Bevölkerung als auch die einfachen Soldaten sehr wohl eine das Geschehen maßgeblich bestimmende Rolle spielen konnten.
Sven Externbrink untersucht in seinem Aufsatz den Einfluss des Faktors "Zeit" rund um die Schlacht bei Quebec 1759. Einerseits geht es ihm dabei um das Handeln der Akteure und andererseits soll generell die Dimension dieses Faktors für die Ereignisse des Sommers 1759 untersucht werden. Externbrink betont, dass neben der "natürlichen" auch die "erfahrene" Zeit der beteiligten Akteure berücksichtigt werden müsse. Ein Beispiel dafür sei die von den einfachen Soldaten wahrgenommene, "erfahrene" Zeit während der lebensbedrohlichen Bombardierung. In den Berichten von Offizieren findet sich dagegen eher eine "protokollierte" Zeit, die in erster Linie für Ordnung und Reihenfolge sorgte. Überzeugend herausgearbeitet wird auch, wie ein kurzer, strategisch klug genutzter Moment zu einem entscheidenden Wendepunkt des Krieges werden konnte.
Mark Häberlein und Michaela Schmölz-Häberlein leisten mit ihrem Aufsatz über das Kommunikationsnetz des Halleschen Pietismus im Siebenjährigen Krieg gleichfalls einen Beitrag zur globalen Mikrogeschichte. Ihre Kernthese lautet dabei, dass die Halleschen pietistischen Geistlichen und ihre Förderer, mit denen sie vor allem über den Austausch von Briefen in transnationaler und interkontinentaler Gemeinschaft verbunden waren, diesen Krieg als einen Religionskrieg auffassten. Das militärische Agieren des preußischen und des britischen Königs galt ihnen als uneingeschränkt unterstützungswürdig, da sie das Schicksal der evangelischen Kirche im Reich und in Übersee als unmittelbar damit verbunden sahen.
Im Mittelpunkt des Beitrags von Horst Carl steht ein Vergleich europäischer und außereuropäischer Okkupationserfahrungen während des Siebenjährigen Krieges. Während der erste Teil zunächst bekannten Beispielen mitteleuropäischer Besatzungszeiten (u. a. die preußische im Kurfürstentum Sachsen (1756-1763) und die russische in Ostpreußen (1758-1762) nachspürt, rücken im zweiten Teil drei außereuropäische Okkupationen in den Fokus. Sie stehen jeweils in Verbindung mit erfolgreichen britischen Militäroperationen und betreffen einerseits Kanada ab den 1760er Jahren und andererseits die beiden Städte Havanna und Manila (jeweils 1762 bis 1764). Die Ergebnisse liegen dabei recht weit auseinander. Während z.B. in Manila Ausbeutung und rasche Profitmaximierung als vorrangige Ziele gelten können, ging es in Kanada eher darum, einen Weg für eine dauerhafte und dabei mehr oder weniger akzeptierte Beherrschung des eroberten Gebiets zu finden. Die Okkupationen führten nirgends zu einer Intensivierung administrativer oder gar staatlicher Tätigkeiten, aber sie wurden durchaus als epochale Einschnitte wahrgenommen. Auch Thomas Weller setzt sich mit der Eroberung Havannas durch ein britisches Expeditionsheer im August 1762 auseinander. Mikroperspektivisch wird der Verlauf der militärischen Operationen kleinteilig nachgezeichnet. Anschließend stehen makrohistorisch die spezifischen Besonderheiten des kolonialen Festungskrieges im Mittelpunkt des Interesses. Von besonderer Bedeutung waren dabei umweltgeschichtliche Aspekte, wie etwa das Vorkommen der Gelbfiebermücke, der regelmäßig weit mehr Soldaten zum Opfer fielen als im Kampf.
Diego Téllet Alarcia erweitert mit seinem Beitrag die Perspektive des Bandes um einen weiteren Akteur, die spanische Krone. Während des Großteils des Siebenjährigen Krieges blieb die Großmacht Spanien neutral, ehe sie schließlich doch noch Kriegspartei wurde und damit zur weltweiten Ausbreitung des Großkonflikts beitrug. Téllet Alarcia zeichnet zunächst chronologisch die Entwicklung der spanischen Außenpolitik nach und schildert dann das Eingreifen der spanischen Truppen in den Krieg, beginnend 1762 mit dem Angriff auf das Nachbarland Portugal. Am Ende wurden die Niederlagen beinahe als nationale Katastrophe empfunden. Besonders der Verlust Havannas an die Briten schmerzte sehr. Das verspätete sowie zeitlich und räumlich begrenzte Mitwirken Spaniens am Siebenjährigen Krieg blieb allerdings ohne spürbaren Einfluss auf das Endergebnis. Gleichwohl waren tiefgreifende Folgewirkungen für die spanische Monarchie festzustellen. Dazu zählt auch, dass Militärreformen in Spanien als dringend erforderlich angesehen und schließlich auch umgesetzt wurden. Hier knüpfen Katrin und Sascha Möbius unmittelbar an, indem sie untersuchen, welchen Einfluss die Entsendung spanischer Militärbeobachter nach Preußen, Österreich, Frankreich und Russland vor und während des Siebenjährigen Krieges auf die Ordenanzas von 1768 besaß. Wesentliche Ziele dieser Heeresreform waren Professionalisierung, verschiedene Formen von Vereinheitlichung, die Herstellung einer funktionierenden Kommandostruktur und die Implementierung eines professionelleren militärischen Ehrbegriffs.
In einem weiteren Beitrag untersucht Stephen Conway aus der Perspektive der Londoner Regierung die britische Strategie im globalen Siebenjährigen Krieg, während sich Erica Charters anhand überwiegend quantitativer Quellen mit der zahlenmäßigen Erfassung von Soldaten in der englischen und der französischen Armee auseinandersetzt. Lothar Schilling analysiert in seinem akteurszentrierten Beitrag den Einfluss des österreichischen Staatskanzlers Kaunitz auf das Renversement des alliances, das die Jahrhunderte alte Feindschaft der Habsburger mit Frankreich beendete und beide europäische Großmächte ab 1758 zu Bündnispartnern werden ließ. Schließlich versucht sich Marion Godfroy-Tayart de Borms an einer Neubewertung des 1763 von Frankreich initiierten Kourou-Projekts, das ursprünglich als Revanche für die vorangegangenen globalen Verluste französischer Gebiete an die Briten gedacht war, letztlich aber an seiner mangelhaften Vorbereitung und an fehlenden Ressourcen scheiterte.
Alles in allem liegt ein sehr gelungener Band vor, der zahlreiche Anknüpfungspunkte zur weiteren Erforschung der facettenreichen Geschichte des Siebenjährigen Krieges bietet und darüber hinaus dazu anregen dürfte, auch auf anderen Themenfeldern der frühneuzeitlichen Geschichte verstärkt nach Wegen für eine bessere Verknüpfung von Mikro- und Makroperspektive zu suchen.
Stefan Kroll