Arthur Brunhart (Hg.): Herrschaft und Repräsentation. Dynastien, Prestige und Macht in Lichtenstein, 1400-1900, Zürich: Chronos Verlag 2021, 260 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-0340-1633-9, EUR 48,00
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Dass zwischen einer Tagung und der Publikation ihrer Erträge einmal vier, fünf oder auch mehr Jahre vergehen, haben wohl alle schon einmal erlebt, die im historischen Wissenschaftsbetrieb unterwegs sind. Die mehr als zwei Jahrzehnte, die zwischen der dritten Liechtensteinischen Historischen Tagung des Jahres 1999 und dem Erscheinen des hier anzuzeigenden Tagungsbandes vergangen sind, dürften indes rekordverdächtig sein. So ist es nicht verwunderlich, wenn zwei der seinerzeit beteiligten Referenten die Drucklegung ihrer Beiträge gar nicht mehr erlebten. Statt einer dieser misslichen Situation angemessenen Erklärung - am fehlenden Geld für den Druck wird es im Fürstentum Liechtenstein ja kaum gelegen haben - verliert der Herausgeber im Vorwort dazu bloß ein paar launige Worte, die peinlich berühren.
Anlass der Tagung im Sommer 1999 war ein damals beginnender Reigen liechtensteinischer Landesjubiläen: 300 Jahre Unterland (Herrschaft Schellenberg; 1999), 300 Jahre Oberland (Grafschaft Vaduz; 2012) und 300 Jahre Fürstentum Liechtenstein (2019). Das Rahmenthema 'Herrschaft und Repräsentation' war freilich umso glücklicher gewählt, als der zeitliche Horizont vom ausgehenden Mittelalter bis an die Schwelle der Gegenwart so weit gefasst ist, dass nicht allein das seit inzwischen mehr als dreihundert Jahren am Alpenrhein regierende Fürstenhaus im Fokus steht, sondern auch die vorangegangenen Dynastien der Grafen von Werdenberg-Sargans-Vaduz, der Freiherren von Brandis, der Grafen von Sulz und der Grafen von Hohenems zur Sprache kommen.
Aufgrund seines sehr konkreten, quellennahen und von zeitgebundenen "turns" gänzlich unangefochtenen Zugriffs hat insbesondere der von Karl-Heinz Spieß beigesteuerte Aufsatz über 'Herrschaftsrepräsentation und Sozialprestige im spätmittelalterlichen Hochadel' ein Vierteljahrhundert nach seiner Entstehung von seiner Gültigkeit nichts eingebüßt. Dabei handelt es sich um eine auf die Werdenberger, Brandisser, Sulzer und Hohenemser Verhältnisse zugeschnittene Zusammenfassung seiner Mainzer Habilitationsschrift über 'Familie und Verwandtschaft im deutschen Hochadel des Spätmittelalters' (1993), eines Standardwerks, das inzwischen bereits nachgedruckt werden musste (2015). Heinz Dopsch (gestorben 2014; 'Zur Entstehung des Landes und der Landesherrschaft im Gebiet des Fürstentums Liechtenstein') geht der Frage nach, seit wann in den Grenzen des heute bestehenden Staates ein Land und eine Landesherrschaft entstanden - wozu es eines umfassenden Landesbewusstseins und eines gemeinsamen Rechts bedurfte -, um abschließend zu konstatieren, dass entgegen einem in Liechtenstein gängigen Narrativ diese Voraussetzungen erst mit der Erhebung der vereinigten Herrschaften Schellenberg und Vaduz zum Reichsfürstentum durch Kaiser Karl VI. (1719) gegeben waren, indem erst seither beide Landesteile zu einem Staat verschmelzen konnten. Unter dem Titel 'Integration der Untertanen in die Herrschaftsausübung' gibt Jacqueline Villiger-Heibei Einblicke in die ältere Schellenberger und Vaduzer Herrschaftspraxis des 15. und 16. Jahrhunderts, die im Rahmen ihrer Landammannverfassung den Gemeinden wirksame Instrumentarien bot, an der Friedenswahrung hier und dort mitzuwirken.
Dieter Stievermann beleuchtet in seinem Beitrag 'Herrschaftswechsel, Herrschaftsstruktur und Herrschaftsrepräsentation zur Zeit der Freiherren von Brandis' die Modalitäten der Übergänge der Herrschaft von den Grafen von Werdenberg zu den Freiherren von Brandis (um 1400) und von diesen zu den Grafen von Sulz (um 1500), die dabei gewahrte Kontinuität, aber auch den Wandel in den Herrschaftsstrukturen sowie die elementare Funktion der Memoria im Gefüge der jeweiligen Herrschaftslegitimation und -repräsentation. Das gefährliche Dilemma der Freiherren von Brandis, sich im Schwaben- beziehungsweise Schweizerkrieg des Jahres 1499 politisch zu positionieren, schildert Claudius Gurt unter dem vielsagenden Titel 'Herrschaftsmacht - Herrschaftsohnmacht'. Dass man sich der einstigen Sulzer Herrschaft in Vaduz, Schellenberg und Blumenegg während des 16. Jahrhunderts durchaus positiv erinnert, führt Heinz Noflatscher ('Karl Ludwig von Sulz, das Reichskammergericht und die "glücklichen sulzischen Zeiten"') nicht zuletzt auf das persönliche Regiment des Grafen Karl Ludwig von Sulz (gestorben 1616) zurück, der - zeitweise Präsident des Reichskammergerichts in Speyer - sich als "guter territorialer Praktiker" und "patriarchalischer Landesherr" erwies und seinen Untertanen die anderwärts vielfach angefeindete "Verdichtung frühmoderner Staatlichkeit" offenbar ebenso geschickt wie nachhaltig zu vermitteln wusste. Gewiss spielt dabei aber auch der Kontrast zu den anschließenden, weit weniger erfreulichen hohenemsischen Zeiten eine Rolle, denen Karl Heinz Burmeisters (gestorben 2014) Beitrag über 'Repräsentation und Erbhuldigung im Haus Hohenems' gewidmet ist.
Weil eine dem aktuellen Forschungsstand Rechnung tragende Überarbeitung ihres Beitrags 'Herrschaft und Repräsentation: ein notwendiger Zusammenhang?' zwanzig Jahre nach seiner Entstehung einen nicht vertretbaren Aufwand erfordert hätte, beschränkt Regula Schmid sich legitimerweise auf stilistische Retuschen an ihrem seinerzeitigen Vortragstext. Es gelingt ihr, plausibel zu machen, wie wichtig für die reichen, noch lang im fernen Wien und Prag gesessenen Fürsten von Liechtenstein der Erwerb der zwar hochverschuldeten, aber reichständischen und damit höchst prestigeträchtigen Herrschaften Schellenberg und Vaduz und ihre dortige reichsfürstliche Repräsentation war, um in den Kreisen, in denen sie sich am Kaiserhof bewegten, angemessen wahrgenommen zu werden. Herbert Haupt ('Fürst Johann Adam I. Andreas von Liechtenstein. Repräsentation als Ausdruck von Sozialdifferenzierung') verdeutlicht, welchen Aufwands solche reichsfürstliche Repräsentation zu Lebzeiten bedurfte, und Evelin Oberhammer ('Auch im Tode ungleich') veranschaulicht an der Entwicklung des Begräbniszeremoniells im Fürstenhaus Liechtenstein im 17. und 18. Jahrhundert, wie das Erfordernis standesgemäßer Repräsentation mit dem Tod eines Fürsten noch lang nicht endet. Schließlich stellt Elisabeth Crettaz-Stürzel ('Kult, Kitsch und Konkurrenz: Schloss Vaduz im Burgenfieber, 1800-1914') die Wiederherstellung des fürstlichen Schlosses über Vaduz in den Jahren zwischen 1905 und 1914 in einen europaweiten Horizont von Burgenromantik, Architekturutopien und persönlichen Netzwerken. Wohlgemerkt: Obwohl und gerade weil es als Residenz des Landesherrn nur eingeschränkt zugänglich ist, repräsentiert eben dieses Schloss bis auf den heutigen Tag den Herrschaftsanspruch des letzten noch - und von Napoleons Gnaden seit 1806 souverän - regierenden Fürsten des Heiligen Römischen Reiches.
In summa: Ein vielfältiges und anregendes Gebinde zum Thema 'Herrschaft und Repräsentation'. Um dessen Inhalte auch noch mittels eines Registers zu erschließen, haben mehr als zwei Jahrzehnte zwischen der Tagung und ihrer Publikation leider nicht gereicht. Referenten und Autoren, die sich derart viel Mühe gemacht haben wie die hier versammelten, hätten jedenfalls einen respektvolleren Herausgeber verdient!
Kurt Andermann