Tytus Jaskułowski: Von einer Freundschaft, die es nicht gab. Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR und das polnische Innenministerium 1974-1990, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2021, 464 S., ISBN 978-3-525-36761-2, EUR 35,00
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Das jüngste Buch von Tytus Jaskułowski folgt einem vielversprechenden Trend, die Aktivitäten der Geheimdienste im ehemaligen Ostblock in einer vergleichenden Perspektive zu analysieren. [1] Es basiert auf einer breiten Recherche sowohl im Archiv des polnischen Instituts für nationales Gedächtnis, jener Institution, welche die Akten des Sicherheitsdienstes im östlichen Nachbarland aufbewahrt und maßgeblich bearbeitet, als auch im Archiv des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Jaskułowski gibt eingangs einen Überblick über die Entstehung beider Sicherheitsdienste in den Gründungsjahren der Volksrepublik Polen und der DDR. In beiden Fällen geschah dies unter den Auspizien des sowjetischen KGB, dem sich beide "Bruderorgane" als tschekistisches Vorbild und machtpolitischer Instanz verpflichtet sahen. Doch die Ausgangslage war schwierig: Polen gehörte nominell zu den Siegern des Zweiten Weltkriegs und sah sich mit seinem ab 1939 aufgebauten, selbstbewussten Untergrundstaat der harten Realität eines oktroyierten sowjetischen Gesellschaftssystems ausgesetzt, wobei dem Sicherheits- und Machtapparat eine entscheidende Rolle zukam.
Nach dem Untergang des nationalsozialistischen Deutschland beanspruchte die SED den antifaschistischen Neubeginn in Gestalt der DDR - ein ostdeutscher Teilstaat, der sich in steter Konkurrenz mit der ökonomisch attraktiveren und demokratischen Bundesrepublik befand. Für diesen kleinen Frontstaat im Kalten Krieg blieb die Sowjetunion über Jahrzehnte in besonderer Weise die Garantiemacht. Diese Konstellationen, die Zugehörigkeit zum selben politischen Block und zudem die mentalen Belastungen der deutschen Besatzungsherrschaft in Polen bildeten den Hintergrund, vor dem der ostdeutsche und der polnische Geheimdienst eine Kooperationsbasis zu finden hatten. Jaskułowski analysiert nicht nur die vertragliche Grundlage der gegenseitigen Beziehungen zwischen dem MfS und dem MSW (Ministerstwo Spraw Wewnętrzych, Ministerium für innere Angelegenheiten), sondern auch Schlüsselbereiche von gemeinsamem Interesse, die Formen der Kommunikation auf verschiedenen Ebenen des Sicherheitsapparats und besondere Beispiele der Zusammenarbeit sowie den breiteren Kontext von Konflikten und deren Lösungen.
Die 1970er Jahre sind das Jahrzehnt zunehmender Zusammenarbeit, die 1974 in einem Rahmenvertrag beider Sicherheitsdienste ihren Ausdruck fand. Das MfS informierte intensiv über Zusammenhänge und Personen aus der Bundesrepublik, auch aus dem politischen Vertriebenenmilieu, das die polnischen Genossen traditionell interessierte. Das polnische Innenministerium übermittelte hingegen vielfältige Informationen aus dem Vatikan und über Kontakte von Bundesbürgern nach Polen. Für den Informationsfluss abträglich erwiesen sich der enorme personelle Zuwachs des MfS und die damit einhergehende Wissbegier, welcher der polnische Geheimdienst nicht entsprechen konnte und bei sensiblen Informationen auch nicht wollte, wie der Verfasser überzeugend darlegt.
Eine Zäsur besonderer Tragweite für das ostdeutsch-polnische Verhältnis stellte die Entstehung der polnischen Gewerkschaftsbewegung Solidarność in den Jahren 1980/81 dar. Die SED und das MfS waren regelrecht geschockt, dass es zur Entstehung und zudem gerichtlichen Registrierung dieser Gewerkschaft im Oktober 1980 mit Billigung der polnischen Staats- und Parteiführung kommen konnte. Mehr als das nun manifest gewordene ideologische Misstrauen, war es jedoch die Furcht Ost-Berlins vor "feindlicher" Umklammerung - nicht mehr nur vom Westen, sondern auch vom Osten her, die SED und MfS aktiv werden ließen. In der Folge wurde die "Operativgruppe Warschau" eingerichtet, die in Polen eigene inoffizielle Mitarbeiter rekrutierte und bis 1989 Informationen sammelte. Dies geschah mit Billigung des MSW, sofern das MfS nicht selbst im oppositionellen Milieu Polens aktiv wurde und so die Operationen des polnischen Partnerdienstes störte.
Das polnische MSW hingegen interessierte sich insbesondere für Informationen, die für eine Annäherung deutsch-deutscher Interessen sprachen. Die wachsende wirtschaftliche Abhängigkeit der DDR von der Bundesrepublik wurde dafür als Beleg gesehen. Dagegen wurde die politische Abgrenzung von der Bundesrepublik, welche für die DDR-Führung existenziell unerlässlich war, bei der Warschauer Führung insgeheim als wenig dauerhaft betrachtet. Polnische Diplomaten und das MSW hatten weit weniger ideologische Berührungsängste mit Vertretern der ostdeutschen evangelischen Kirche und der Bürgerrechtsgruppen Kontakt aufzunehmen, und vermochten auch dadurch die demokratischen Veränderungen des Herbstes 1989 recht zutreffend vorherzusehen. Mehr noch, der über Jahrzehnte in Warschau zu Unrecht geschürte Argwohn vor einem deutsch-deutschen Einvernehmen zu Lasten von Polen schärfte paradoxerweise das Sensorium des MSW so, dass es ab 1989 die Umstände der deutschen Wiedervereinigung recht zutreffend prognostizierte.
Gelungen beschreibt der Autor den heiklen operativen Umgang mit dem Terrorismus, den beide Dienste zwar unterstützen, eine offene Solidarisierung mit international gesuchten Verbrechern mieden sie aber tunlichst. Eine Trouvaille hat Jaskułowski im Fall des palästinensischen Terroristen Abu Daoud, dem Drahtzieher des Münchner Olympia-Attentats von 1972, gefunden. Er wurde am 1. August 1981 im Warschauer Hotel "Victoria" angeschossen und unter aktiver Mithilfe von MSW und MfS zur medizinischen Versorgung nach Ost-Berlin geflogen.
Die Zusammenarbeit von MfS und MSW war überwiegend von Pragmatismus und Sachbezogenheit geprägt. Für Freundschaft blieb dabei faktisch wie verbal wenig Raum - ohnehin wurden im Jargon von Nationaler Volksarmee und MfS nur die Angehörigen des KGB und der sowjetischen Armee als "Freunde" bezeichnet. Ob der Grad des Misstrauens, welcher (mitunter auch heute) zwischen Partnerdiensten zu beobachten ist, zwischen der DDR und Polen tatsächlich größere Formen annahm, ließe sich erst durch einen weiteren Vergleich etwa mit der rumänischen Securitate überprüfen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die grundsätzliche Weigerung der Hauptkommission zur Erforschung der deutschen Verbrechen (Główna Komisja Badania Zbrodni Hitlerowskich) in Polen mit dem MfS zusammenzuarbeiten. Die Hauptkommission verfügte über umfangreiches NS-Archivmaterial, was für die kompromittierende Tätigkeit des MfS in der Bundesrepublik von Belang war. Zwar gelang es dem MfS, mit Hilfe getarnter Ämter an einiges Material zu gelangen, doch das erhebliche polnische Unbehagen auf diesem sensiblen Erinnerungsfeld bekamen auch (oder gerade) die ostdeutschen Tschekisten zu spüren.
Jaskułowskis Buch ist profund und quellengestützt recherchiert und ermöglicht weitere Vergleiche. Seine Erkenntnisse sind vielfach bereichernd und präzisieren das bisherige Wissen über die Zusammenarbeit der sozialistischen Geheimdienste. Die breite Wissensbasis erschließt sich jedoch fast ausnahmslos durch indirekte Zitate verbunden mit häufig markanten Interpretationen des Autors. Dabei ist nicht zu übersehen, dass die polnischen Sicherheitsorgane in einem milderen Licht als die ostdeutschen gezeichnet werden. Dem Leser werden selten unmittelbare Einblicke in das Geschehen aus dem reichen Quellenkorpus eröffnet. Das gilt auch für die handelnden Akteure: Seien es Wolfgang Templin und Ludwig Mehlhorn [2], zwei programmatisch maßgebliche Vertreter der DDR-Bürger- und Menschenrechtsbewegung oder Mitarbeiter der mittleren Ebene beider Geheimdienste. Das Beleuchten biographischer Hintergründe und Werdegänge insbesondere bei den Verbindungsoffizieren, aber auch dem Austausch der Fachleute über gemeinsame Operationen oder deren halbprivaten Begegnungen hätten einen inhaltlichen und wohl auch erzählerischen Mehrwert bedeutet. [3] So richtet sich der Blick des Autors in vielen Fällen auf die jeweilige Führungsebene, namentlich auf den über 30 Jahre amtierenden Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke und - weniger ausgeprägt - auf dessen Pendant in Gestalt des polnischen Innenministers der Jahre von 1981 bis 1990, Czesław Kiszczak. Beide besaßen den nötigen Ehrgeiz, das organisatorische Geschick und die Skrupellosigkeit von Tatmenschen, um in ihren Sicherheitsapparaten Karriere zu machen.
Das Ende des Staatssozialismus erlebten beide Minister denkbar unterschiedlich. Zwei Tage vor dem Mauerfall trat der 81-jährige Mielke resigniert als Minister zurück. Kiszczak, 18 Jahre jünger, besaß die Chamäleonhaftigkeit, um die beispielgebenden Gespräche am Runden Tisch und den friedlichen Systemwechsel in Polen 1988/89 zu begleiten. [4] Er hielt sich als Innenminister auch in der demokratischen Regierung von Tadeusz Mazowiecki. Schließlich wurde ihm seine tschekistische Loyalität zum Verhängnis. Nachdem er die Vernichtung von belastenden Akten erlaubt hatte, musste er im Juli 1990 aus der Regierung ausscheiden.
Anmerkungen:
[1] Georg Herbstritt, Entzweite Freunde. Rumänien, die Securitate und die DDR-Staatssicherheit 1950 bis 1989, Göttingen 2016; Georg Herbstritt, Douglas Selvage (Hg.) Der 'große Bruder'. Studien zum Verhältnis von KGB und MfS 1958 bis 1989, Göttingen 2022; Douglas Selvage, Walter Süß, Staatssicherheit und KSZE-Prozess. MfS zwischen SED und KGB (1972-1989), Göttingen 2019.
[2] Vgl. Ilko Sascha Kowalczuk, Im Blick des Staatssicherheitsdienstes - Ludwig Mehlhorn, in: Stephan Bickhardt. In der Wahrheit leben. Texte von und über Ludwig Mehlhorn, Leipzig 2012, 214-241.
[3] Tytus Jaskułowski führte nach eigenen Angaben Gespräche mit (ehemaligen) Mitarbeitern des MSW, siehe S. 217. Ferner ist auf Seite 317 die Analyseebene 'Herkunft', 'Erfahrungen' und 'Lebensweg' erwähnt, welche jedoch wenig konkretisiert wird.
[4] Lech Kowalski, Cze.Kiszczak. Biografia gen. broni Czesława Kiszczaka, Poznan 2015, 648ff.
Burkhard Olschowsky