Rezension über:

Gianluca Montinaro: Riscrivere la storia. Francesco Maria II della Rovere, Giovanni Battista Leoni e le biografie dei duchi d'Urbino (1605) (= Piccola Biblioteca Umanistica; Vol. VIII), Florenz: Leo S. Olschki 2023, VI + 153 S., ISBN 978-88-222-6901-0, EUR 25,00
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Rezension von:
Sebastian Becker
Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Sebastian Becker: Rezension von: Gianluca Montinaro: Riscrivere la storia. Francesco Maria II della Rovere, Giovanni Battista Leoni e le biografie dei duchi d'Urbino (1605), Florenz: Leo S. Olschki 2023, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 1 [15.01.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/01/38830.html


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Gianluca Montinaro: Riscrivere la storia

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Wie nutzte ein mindermächtiger Fürst der Renaissance Geschichtsschreibung und Biografik, um das Andenken seiner Vorfahren zu beeinflussen? Und wie ging ein Literat, der die entsprechenden Werke verfassen sollte, mit den Herausforderungen um, die sich aus dem Spannungsverhältnis zwischen dynastischen Ambitionen und historiographischer Tradition ergaben? Am Beispiel der Beziehung des letzten Herzogs von Urbino, Francesco Maria II. della Rovere, zu dem Polygrafen Giovanni Battista Leoni geht Gianluca Montinaro diesen Fragen nach.

Es waren die politisch-dynastischen Notwendigkeiten der Jahre um 1600, die es aus Sicht des Herzogs von Urbino notwendig machten, die Geschichte seines Hauses nicht nur neu, sondern - so auch der Titel des anzuzeigenden Buches - "umzuschreiben". Vor dem Hintergrund seiner eigenen, krisenhaften und - das wog besonders schwer - kinderlosen Ehe mit Lucrezia d'Este schien das Ende der männlichen Linie der Della Rovere um 1600 unausweichlich. Und so erwarteten nicht nur gut informierte Zeitgenossen wie der venezianische Botschafter Paolo Paruta, dass der Heimfall Urbinos an den Kirchenstaat unvermeidbar sei. Die Verehrung, die der Herzog seinen beiden bedeutendsten Vorfahren Federico da Montefeltro (1422-1482) und Francesco Maria della Rovere (1490-1538), zwei der großen Condottieri-Fürsten der italienischen Renaissance, seit jeher entgegenbrachte, war also nicht der alleinige Grund für das Projekt.

Damit ist der Rahmen skizziert, in dem die beiden 1605 bei Giovanni Battista Ciotti in Venedig gedruckten Viten entstanden sind, die im Mittelpunkt des Buches stehen: Girolamo Muzios "Historia [...] de'fatti di Federico di Monte Feltro" und Giovanni Battista Leonis "Vita di Francesco Maria di Montefeltro della Rovere". Ihnen, so die gut begründete These Montinaros, kam im Rahmen einer vielschichtigen Memorialpolitik eine besondere Bedeutung zu. Nachdem mit der Vita Federicos da Montefeltro zunächst der ungleich bekanntere Bernardino Baldi beauftragt gewesen war, dessen Entwürfe aber den Herzog nicht hatten überzeugen können, war der Auftrag an den venezianischen Gelehrten und Polygrafen Giovanni Battista Leoni übergegangen. Er firmierte fortan nicht nur als Autor der Vita Francesco Marias della Rovere, sondern überarbeitete auch eine ältere, bereits 1554 von Girolamo Muzio verfassten Vita Federicos da Montefeltro. In enger Absprache mit dem Herzog passte er Muzios Text an die von ihm verfasste Biografie Francesco Marias della Rovere an. Montinaro kann nachzeichnen, dass dies ebenso den Aufbau wie den Inhalt der Vorlage betraf, aber eben auch Fragen der Typografie und der Gestaltung. Beide Viten sollten eine Einheit darstellen und auch als solche erkannt werden.

Im Mittelpunkt des Buches steht die Arbeit Leonis. Sein Briefwechsel mit dem urbinatischen Hof wertet Montinaro akribisch aus, um den Weg zur Drucklegung der beiden Werke zu rekonstruieren. Dabei kann er zeigen, wie Leoni sich - zum Teil vergeblich - bemühte, den Ansprüchen seines Auftraggebers gerecht zu werden. Das vorliegende Buch ist damit einerseits als Spezialstudie zum Herzogtum Urbino zu verstehen. Andererseits stellt es für Leserinnen und Leser, die sich für die Historiographie des Humanismus auch abseits der großen Namen der italienischen Renaissance interessieren, eine spannende literaturhistorische Mikrostudie dar. Es geht um die Anforderungen an die Authentizität von Werken, die diesbezüglichen Aushandlungsprozesse zwischen einem Literaten und seinem Auftraggeber und nicht zuletzt um die Ökonomie des frühneuzeitlichen Buchmarktes.

Die Frage, wie die Memoria an die Dynastie nicht nur beeinflusst und bewahrt werden konnte, sondern auch politisch nutzbar würde, stellt dabei den roten Faden dar. Als Autor der Vita Francesco Maria della Roveres sollte Leoni nicht nur die Bedeutung seines Protagonisten hervorheben, sondern auch die Kontinuitäten zwischen dem aktuellen Herzog zu seinem berühmten Großvater zeigen. In dieser Hinsicht hatte das Werk eine innenpolitische Stoßrichtung, denn auf diese Weise grenzte sich der Herzog von seinem Vater ab, dessen despotische Herrschaft einen Aufstand der Untertanen ausgelöst hatte. Zugleich aber galt es, an die militärische Tradition und die Tugenden der Herren von Urbino anzuknüpfen und damit in einer Zeit der Krise ein Argument für die politische Unabhängigkeit Urbinos hervorzuheben.

Dass diese Aufgabe zumindest mit Blick auf die Vita Francesco Marias della Rovere nicht leicht zu erfüllen sein würde, lag daran, dass Leoni die weit verbreiteten Vorwürfe widerlegen musste, die Francesco Guicciardini, ein erklärter Gegner Della Roveres, in seiner Storia d'Italia (zwischen 1537 und 1540 verfasst, posthum 1561 erschienen) erhoben hatte. Das war nicht nur wegen der Popularität des Werkes herausfordernd, sondern auch, weil della Rovere seinen Zeitgenossen stets genug Angriffsfläche geboten hatte: 1511 hatte er als Generalkapitän der Kirche das strategisch wichtige Bologna an die Franzosen verloren, wenig später den Kardinallegaten Francesco Alidosi auf offener Straße ermordet, wofür er mit dem Interdikt belegt worden war. Und als sei dies nicht genug, warf ihm Guicciardini vor, als Generalkapitän der venezianischen Truppen den Sacco di Roma billigend in Kauf genommen zu haben, obwohl er die Möglichkeit zum Einschreiten gehabt habe.

Montinaro bettet diese und andere Episoden zunächst in einen Überblick über die Ursprünge und die Herrschaft der della Rovere ein, um dann im eigentlichen Hauptteil auf die beiden Biografien einzugehen. Leonis Briefe, die Montinara überwiegend ungekürzt und oft unkommentiert in den Fließtext einbaut, geben einen tiefen Einblick in den Entstehungsprozess der Werke und lassen die Perspektiven sowie Intentionen der beteiligten Akteure eindrücklich hervortreten. Das betrifft die ökonomischen Herausforderungen ebenso wie die politischen Strategien, die hinter der Publikation standen. Entscheidend waren hier nicht zuletzt die jeweiligen Widmungen, die die politischen Pole abbilden sollten, zwischen denen sich Urbino zu dieser Zeit bewegte: Die Vita Federicos da Montefeltro war mit Kardinal Federico Colonna einem Mann der Kirche mit enger Verbindung zur spanischen Krone gewidmet, die Vita Francesco Marias della Rovere hingegen dem Dogen Marino Grimani, unter dessen Onkel der Herzog von Urbino als Befehlshaber der Serenissima gedient hatte. So war mit Rom, Venedig und Spanien das politische Koordinatensystem abgebildet, in dem sich Urbino verortete.

Deutlich wird aber auch, wie unsicher die Wirkung eines solchen historiografischen Projekts sein konnte. Nur kurze Zeit nach der Publikation der beiden Viten erschien in Venedig posthum die "Historia Venetiana" Paolo Parutas. Das war eine unglückliche Koinzidenz, weil Paruta, seinerzeit mit eigenen politischen Zielen, ausgerechnet Francesco Maria della Rovere die Schuld für das Fernbleiben der venezianischen Truppen bei der Belagerung Mailands und dem Sacco di Roma zuschob. Leoni, der das Manuskript kannte, hatte noch versucht, die kritischen, seiner eigenen Darstellung widersprechenden Stellen ändern zu lassen, war damit aber gescheitert. Und so blieb ihm, der sich zu dieser Zeit in Venedig aufhielt, nichts anderes übrig, als Parutas Werk widerstrebend zur Kenntnisnahme an den urbinatischen Hof zu senden.

Mit Blick auf die Geschichte des Herzogtums Urbino und insbesondere des letzten Herzogs aus dem Haus Della Rovere ist Montinaros Buch ein wichtiger Beitrag, denn es stellt ein weiteres Puzzlestück für die Rekonstruktion der Herrschaft Francesco Marias II. della Rovere dar. Davon abgesehen legt er eine quellengesättigte Mikrostudie zur Kultur der Historiografie in der italienischen Renaissance vor. Deren Lesbarkeit hätte zwar durch manche Paraphrasierung verbessert werden können. Andererseits erlaubt gerade die quellennahe Darstellung einen eindrücklichen Blick hinter die Kulissen der fürstlichen Memorialpolitik.

Sebastian Becker