Rezension über:

Gregor Weber: Studien zur hellenistischen Monarchie (= Münchener Beiträge zur Papyrusforschung und antiken Rechtsgeschichte; Heft 123), München: C.H.Beck 2024, 160 S., ISBN 978-3-406-81618-5, EUR 88,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Kostas Buraselis
National and Kapodistrian University of Athens
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Kostas Buraselis: Rezension von: Gregor Weber: Studien zur hellenistischen Monarchie, München: C.H.Beck 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 1 [15.01.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/01/39320.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Gregor Weber: Studien zur hellenistischen Monarchie

Textgröße: A A A

Die ehrliche Bescheidenheit des Titels bereitet den Leser auf den Inhalt dieses Werkes vor, das aber schließlich viel gewichtiger ausfällt. Weber bietet hier fünf wesentliche Beiträge zu Aspekten von Genese, Struktur und Ideologie der hellenistischen Monarchie, die - erstmals bei verschiedenen Kolloquien u.ä. im vergangenen Jahrzehnt vorgetragen und hier in einer Endform verarbeitet - künftigen Synthesen über dasselbe Gesamtthema wertvoll sein werden.

Dementsprechend kommt es nach einer knappen Einführung (1-3), wo der bisherige Wissens- und Problematikstand aber auch die reichen weiteren Möglichkeiten der Hellenismusforschung kurz gewürdigt werden, zu einer Reihe von Spezialuntersuchungen. Die erste: "Alexander der Große und die Folgen. Wie sich die Welt veränderte, oder: Was ist eine Zeitenwende?" (5-28) gilt der Frage, inwieweit die Zeitgenossen Alexanders und die ersten darauf folgenden Generationen seine Epoche als eine Zeitenwende empfunden haben und wie dann in der Neuzeit Droysen zu seinem Konzept von Alexanders Wirken als Zäsur der Weltgeschichte gekommen ist. Wie gegenwartsrelevant eine solche historische Fragestellung über Zeitenwenden sein mag, wird durch die mutigen Assoziationen Webers mit gegenwärtigen, noch nicht abgeschlossenen Weltereignissen wie dem Ukrainekrieg und seiner Rezeption verdeutlicht (6-7). Es wird herausgearbeitet, welchen gewaltigen Eindruck der Feldzug Alexanders auf die griechische Welt gemacht hat, trotz der politischen Fragmentierung einschlägiger Reaktionen, und welcher entsprechende Widerhall in der Diadochenzeit zu spüren ist. Vielleicht hätte dem hier herangezogenen (21) Zeugnis des Demetrios von Phaleron (FGrHist 228 F 39) zum gewaltigen Gefühl einer Weltveränderung nach der Unterwerfung des Perserreiches mehr abgewonnen werden können. Weber schließt einleuchtend, dass Droysens Verständnis von Alexander als Wendepunkt auch ohne theologische Sichtweise in unserer globalen Wirklichkeit erst recht aufrechterhalten bleiben dürfte (27-28).

Die nächste Untersuchung: "Siegen, Verlieren, Kompensieren. Darstellungsmodi von Sieghaftigkeit und Misserfolg im frühen Hellenismus" (29-47) erforscht nicht nur die Haltung hellenistischer Monarchen in Bezug auf militärische Erfolge (eine feste legitimierende Grundlage ihres Königtums) sondern auch ihr Verhalten gegenüber den - eigentlich regelmäßig - vorkommenden Niederlagen und entsprechend zu suchenden Kompensationsmethoden in der Zeit bis etwa 270. Zuerst wird diese Parallelität von Siegen und Niederlagen in der Zeit bis zum Tod Alexanders skizziert und die Etablierung von Sieghaftigkeit als Herrscherqualität nach seinem Modell festgestellt. Dann geht Weber bestimmten Handlungsarten der Sieger im Hellenismus nach (Errichtung von Tropaia, Behandlung der Unterlegenen durch die Sieger, Weihungen und 'Monumentalisierung' des Sieges in der bildenden Kunst und Literatur, Zusatz von Siegesbeinamen in der Herrschertitulatur). Interessanterweise wird keine "überbordende Resonanz" (42) von Sieghaftigkeit festgestellt, besonders im Hinblick auf die eher bevorzugte Projektion euergetischer Tätigkeiten der Herrscher gegenüber griechischen Städten. Die Verlierer konnten sich andererseits auf ihre sonstigen Leistungen und ihren Anschluss an eine anerkannte Machttradition im Sinne eines gewissen Prestigeausgleichs berufen (so z.B. die Erscheinung von Anspielungen auf den Salamissieg 306 v.Chr. auf den Münzen des Poliorketes nach Ipsos). Man konnte also stets in der dynastischen Praxis eigene positive Reserven geschickt vorweisen.

Der Abschnitt "Gerechte Könige? Alexander d. Gr. und seine Nachfolger in Selbstdarstellung und Fremdwahrnehmung" (49-70) erforscht die Bedeutung der Gerechtigkeit als konstitutiver oder zumindest grundsätzlicher Qualität hellenistischer Herrscher. Der Fokus fällt hier besonders auf den Stellenwert dieser Herrschertugend in der Theorie (bes. der Fürstenspiegelliteratur), dann auf die entsprechenden Erwartungen der Untertanen an ihren jeweiligen Herrscher wie auch auf die Projektion dieser Eigenschaft des Herrschers in seiner schriftlichen und bildlichen Propaganda. Es wird hierbei sowohl auf die frühere Tradition der Gerechtigkeit als Grundtugend in der griechischen Philosophie wie auch auf die akzentuierte Fortsetzung solcher Reflexion in Bezug auf den König in den Schriften περὶ βασιλείας und dem sogenannten Aristeasbrief verwiesen, die wohl alle zumindest auf hellenistische Vorbilder zurückgehen, während das Quellenmaterial den Hofphilosophen seit Alexander in dieser Hinsicht eine negative Rolle zuschreibt (54-57). Am spezifischen - aber besser dokumentierten - Beispiel der Ptolemäer wird die Aufgabe / aktive Sorge des Königs für Gerechtigkeit auf drei Ebenen analysiert: der Elite der Königsfreunde, der Städte und der Untertanen (Griechen und Ägypter). Dabei bedarf der Satz in puncto Städte einer Umformulierung: "der König konnte also allerhöchstens in zwischenstaatlichen Konflikten als Schiedsrichter erscheinen" (58), da der ptolemäische König eine solche Rolle durch seine Emissäre auch in Städten ptolemäischer Dependenz spielen konnte. [1] Was die Position von Gerechtigkeit in königlicher Selbstdarstellung betrifft, stellt Weber fest, dass Plutarchs Zeugnis (Arist. 6, 2.5) mit der sonstigen Überlieferung in Einklang steht: die Koppelung königlicher Namen mit Epitheta/Substantiven, die einen expliziten Gerechtigkeitsinhalt haben, ist eher die Ausnahme, nur im osthellenistischen Raum scheinen sich solche Verweise anzuhäufen (unter dem möglichen Einfluss dortiger iranischer Tradition). Es folgt eine gehaltvolle Analyse königlicher Rechtspraxis seit Alexander gegenüber griechischen und orientalischen Untertanen (auch über die zweigleisige Rechtsprechung durch Chrematisten und Laokriten in Ägypten). Der allgemeinere Schluss: "Das Zusammenwirken von griechisch-makedonischen und - pauschal formuliert - altorientalischen Traditionen konnte auf verschiedene Weise erfolgen" (70) trifft das Richtige.

Den besonderen Wert der gelegentlichen Bezeichnung Makedon (Μακεδών) nach den Ptolemäernamen behandelt eine weitere Studie, wo nach Elementen einer spezifisch makedonischen Tradition dieser Dynastie gefragt wird (71-99). Es wird dabei durch sorgfältige Analyse epigraphischer, literarischer (auch der neuen Poseidippos-Epigramme) und baulicher Zeugnisse wie auch durch die Interpretation der Einführung und der parallelen Benutzung des makedonischen Kalenders in Ägypten festgestellt, dass solche 'Herkunftsverweise' eine essentielle Rückbindung der Dynastie an ihre Wurzeln und so eine weiter legitimierende Stützung der Ptolemäer im Kontext der hellenistischen Welt bedeuteten. Der Sinn solcher Tendenzen bei den Seleukiden wird auch am Ende angesprochen (98-99).

Die Bedeutung herrscherlicher Repräsentation und oft einhergehender Konkurrenz um Prestigegewinnung in panhellenischen Zentren bildet das Thema eines abschließenden Beitrags (101-121). Denn die traditionellen Versammlungsorte gemeinsamen griechischen Lebens der klassischen Periode haben ihr Anziehungs- und Werbepotential im Hellenismus kaum eingebüßt, während sich auch Rom dem Kreis der Werbelustigen hinzugesellt hat; darum beginnt Weber diesen Teil sehr passend mit der Umweihung des ursprünglichen Perseuspfeilers durch Aemilius Paullus in Delphi. Man findet hier gute Bemerkungen zum örtlichen Zusammenhang der Weihungen einer Dynastie im Rahmen der Monumente besonders von Delphi, Olympia und Delos, wobei die Politik der 'gastgeberischen' Heiligtümer angemessen berücksichtigt wird. Die Antigoniden und die Ptolemäer (besonders die früheren) waren überall präsent, die Seleukiden hatten ihr entsprechendes Interesse eher nach Kleinasien und dem Osten gerichtet, während die Attaliden ihre eigentliche Größe durch den Reichtum ihrer Weihungen aufzuwerten versuchten. Weitere Orte solcher Relevanz wie die Heiligtümer von Didyma, Samothrake und Dodona aber auch Städte wie Athen und Rhodos werden kurz angeschnitten. Man kommt zum abgewogenen Schluss (121): "die Welt der großen Heiligtümer bot jedenfalls den Königen keine Bühnen für universalistische Ambitionen" (etwa im Gegensatz zur späteren römischen Haltung).

Das Werk hat eine reichhaltige Bibliographie (123-149) berücksichtigt, wo aber einige Zusätze die behandelte Problematik hätten nützlich fördern können. [2] Gute Indizes (für Sachen, Orte und Personen, 151-160) erleichtern die Benutzung des Werkes.

Insgesamt liegen hier wichtige, eingehende Studien zum Fragenkomplex 'Hellenistische Monarchie' vor, der zentral für das Verständnis der welthistorisch immer mehr an Bedeutung gewinnenden Geschichte des Hellenismus bleibt.


Anmerkungen:

[1] Vgl. darüber und allgemeiner zu solchen Gerechtigkeitsaspekten hellenistischer Königreiche: Kostas Buraselis: A Royal Peace. The Hellenistic King and His Officials as Mediators/Arbitrators and Social Guarantors, in: Βορειοελλαδικά. Tales from the Land of the Ethne. Essays in honour of Miltiades B. Hatzopoulos, hgg. von Myrina Kalaitzi et al., Athen 2018, 253-264, hier 255.

[2] So z.B. auch (zu 20 u.a.): Paschalis Paschidis: Between City and King. Prosopographical Studies on the Intermediaries Between the Cities of the Greek Mainland and the Aegean and the Royal Courts in the Hellenistic Period (322-190 BC) (= ΜΕΛΕΤΗΜΑΤΑ 59), Athen 2008.

Kostas Buraselis