Gregor Weber / Martin Zimmermann (Hgg.): Propaganda - Selbstdarstellung - Repräsentation im römischen Kaiserreich des 1. Jhs. n. Chr. (= Historia. Einzelschriften; Heft 164), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2003, 355 S., ISBN 978-3-515-08251-8, EUR 108,00
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Im Jahr 1613 veröffentlichte der spanische Karmeliter Thomas A Jesu in Antwerpen eine Schrift mit dem Titel "De erigenda Congregatione pro fide propaganda"; nur neun Jahre später, 1622, wird in Rom eine "S. Congregatio de propaganda fide" gegründet: Gilt es doch, den Missionsauftrag des Neuen Testamentes auszuführen und den christlichen Glauben im ursprünglichen Sinne des Wortes 'fortzupflanzen', 'Ableger zu setzen', ihn 'im Raume auszubreiten' - im Kontext der europäischen Kolonisation wird 'Propaganda' zum terminus technicus für christliche Missionsanstalten. Zu Beginn der Aufklärung erfährt der Begriff eine konfessionelle Eingrenzung und polemische Konnotation, bezeichnen die Gegner der römisch-katholischen Kirche diese Institution doch als "geheime Angriffszentrale des Papsttums gegen den Protestantismus". [1] Und bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts - nach einer Zeit politischer Verschwörungstheorien, die das konservative Europa gegenüber dem revolutionären Frankreich pflegte - hat sich die Bedeutung dahingehend verändert, dass eine institutionelle Organisation entbehrlich ist, fortan kann Propaganda 'gemacht' werden. Der Begriff beschreibt revolutionäre Breitenwirkung, politische Aktion, Agitation - und schließlich auch die Methoden faschistischer und kommunistischer Indoktrination. Welches Phänomen also, so mag man sich in Anbetracht des hier zu besprechenden Sammelbandes fragen, soll dieser Begriff mit seinem negativen Sinngehalt im Imperium Romanum des ersten nachchristlichen Jahrhunderts bezeichnen können?
Diese anachronistische Begriffsverwendung, die seit den Vierzigerjahren des letzten Jahrhunderts in der Forschung zur frühen Kaiserzeit zu beobachten ist, haben Gregor Weber und Martin Zimmermann aufgegriffen, um sie zusammen mit beziehungsweise in Abgrenzung von Konzepten der 'Selbstdarstellung' und 'Repräsentation' einer strikten Revision zu unterziehen. Die beiden Althistoriker veranstalteten Ende des Jahres 2000 an der Universität Tübingen eine Tagung, auf der Vertreter der Altertums- wie der Geschichtswissenschaften die begriffliche Trias zu definieren und beispielhaft zu verwenden suchten. Demzufolge ist die Anlage des Bandes zweigeteilt: "Theoretische[]n Vorüberlegungen und der Diskussion über die Leitbegriffe in der Geschichte des Mittelalters und der Zeitgeschichte" schließen sich "Wege und Medien" an. Und also stellen sich zunächst die Herausgeber selbst der Aufgabe, "Die Leitbegriffe des Kolloquiums in der Forschung zur frühen Kaiserzeit" (11-40) in ihren einzelnen Facetten auszuleuchten. Unter 'Propaganda' wollen sie eine "intendierte und den Empfänger bewusst manipulierende Verbreitung von Ideologemen" ebenso verstanden wissen wie "allgemein einem politischen Kontext angehörende parteiliche oder tendenziöse Äußerungen", 'Selbstdarstellung' betone dagegen mehr den Aspekt der Zurschaustellung von Reichtum und die Zustimmung zu einem bestimmten Wertekodex, während 'Repräsentation' sowohl die Darstellung eines jeden Handelns (die repräsentative Seite) als auch Personen oder Gegenstände meinen könne, die für jemanden stehen (ihn repräsentieren). Allein der letztgenannte Begriff berücksichtige auch die Erwartungen der Beherrschten und sei darum als heuristisches Mittel vorzuziehen. Schließlich zeige eine tour de force durch die Bibliografie der letzten drei Jahrzehnte, dass ein konsequent organisierter und instrumentalisierter Einsatz der verschiedenen Medien - Münzen, Monumenten und Literatur - zwecks Manipulation der öffentlichen Meinung nicht nachweisbar ist.
Alle drei idealtypischen Kategorien greift Armin Eich wieder auf, um "gesellschaftliche Konvergenzen und Divergenzen von Moderne und römischer Kaiserzeit" zu bestimmen (41-84). Er fasst 'Propaganda' als ein mit gesellschaftlicher Modernisierung korreliertes Phänomen, das auf die Ausbildung des sozialen Kommunikationsraumes 'Öffentlichkeit' und die nichtregierungsinduzierte Mobilisierung einer Gesellschaft angewiesen sei, die ihre Angehörigen komplex und langwierig sozialisiere. Über diese Faktoren verfüge das vormoderne Rom nicht; so sei das Verhältnis der "Putschisten der domus Iulia" zur Wirklichkeit unmittelbar, sie übernähmen nicht rational kalkulierend eine Rolle und unterlägen damit dem "Eigentlichkeitsvorbehalt", sondern inszenierten ihre Macht ausschließlich in ihrem "öffentlichen Sosein".
Nicht auf die Voraussetzungen, sondern auf den Wirkungszusammenhang zielen die beiden folgenden Beiträge aus der Mediävistik und der Neuzeit. Ludger Körntgen definiert in seinem Artikel "Repräsentation - Selbstdarstellung - Herrschaftsrepräsentation" (85-101) den Adressatenkreis 'politische Öffentlichkeit' als eine überschaubare und strukturierte Gruppierung von Entscheidungsträgern, mit der der Herrscher eher unmittelbar und persönlich als medial vermittelt kommuniziert. Herrschaftsrepräsentation zeigt sich hier (nach Hagen Keller) als Vollzug, als Ausdruck eines Geschehens, das für Herrscher und Beherrschte gleichermaßen essenziell ist; als Grundlage, Sicherung und Artikulation von Ansprüchen. So setzt die Darstellung Kaiser Ottos III. in einer Handschrift des Aachener Domschatzes als Stellvertreter Christi nicht nur den Herrscher wirkungsvoll in Szene, sondern auch den Mönch Liuthar, der den Beschenkten mahnt, ihn als Stifter dieser Kostbarkeit nicht zu vergessen. Den Gläubigen, die der Festtagsliturgie beiwohnten, wird diese Form der 'Kommunikation' durchaus bewusst gewesen sein. Michael Hochgeschwender nimmt eine vollkommen anders geartete soziopolitische Organisationsform in den Blick. Er zeigt "Die Erfindung der USA im Spiegel moderner Propagandatheorien" (103-124) am Beispiel des Fahnenkultes auf: In der Frühphase des Amerikanischen Bürgerkrieges wird der emotionale Appell an die Nation zu einer identitätsstiftenden Bezugsgröße, der Schlachtruf "Union und Konstitution" gibt der Fahne, dem Sternenbanner 'Old Glory', ihren Inhalt. Im Februar 1863 gründen die Demokraten die "Society for the Diffusion of Political Knowledge"; wenig später rufen die Republikaner die "Union League" und die "Loyal Publication Society" ins Leben. Die Propagandaorganisationen beider Seiten haben schließlich rund fünf Millionen Mitglieder und publizieren bis Kriegsende mehr als zweihundert Pamphlete.
Die vier skizzierten Beiträge sind - anders als ihre Zusammenfassung zu einem ersten Teil des Sammelbandes dies suggeriert - von unterschiedlicher Zielsetzung, Kohärenz und Qualität. Die Herausgeber wecken mit ihrem fundierten Literaturbericht, ihren trennscharfen Definitionen und ihrer begründeten Entscheidung für den Begriff der 'Repräsentation' sowie der Erarbeitung eines Kriterienkataloges für die Interpretation von Quellen die Erwartung, die folgenden Ausführungen würden sich - möglicherweise nach einer weiteren Modifikation der Begrifflichkeit - an diesem Raster orientieren. Weit gefehlt. Armin Eichs kategorische Ablehnung des 'Propaganda'-Begriffs für die römische Kaiserzeit führt sich spätestens in dem Moment ad absurdum, in dem er postuliert, dass die Individuen dieser Gesellschaftsform ihre Rollen "gewissermaßen naiv", noch ohne Reflexion, ausfüllten. Hier sei nur an den 'rollenbewussten' Augustus erinnert, der auf dem Sterbebett seine Freunde fragte, ob er denn wohl die Komödie des Lebens anständig gespielt habe. [2] Aber eben jener erste Princeps stand Armin Eich zufolge ja auch einer Militärdiktatur vor und kreierte den 'Augustismo', eine autoritäre Gesellschaftsdoktrin - warum verweigert sich der Verfasser, der zwecks Klärung seiner Begrifflichkeit neueste soziologische Literatur rezipiert hat, neueren Forschungen seiner eigenen Disziplin? Schon 1992 hat Egon Flaig den Prinzipat als "Akzeptanz-System" charakterisiert: Seiner Meinung nach wird die auf dem Schlachtfeld von Actium errungene Macht des Octavian erst dadurch zur Herrschaft, dass sie sich im Prozess eingeforderter Kommunikation und Interaktion mit den politisch relevanten Gruppen, der Formalisierung von Regeln, Verfahrensweisen, Ritualen verstetigt. [3] Die Legitimität des Princeps hängt von der Akzeptanz der Armee, des Senats und der plebs urbana ab, sie entsteht in verschiedenen Konsensakten wie der Akklamation, Ehrenbeschlüssen, ludischen Zeremonien etc. Erst der hier zugrunde liegende Rekurs auf die herrschaftssoziologischen Kategorien Max Webers ermöglicht es, die Reziprozität im Herrschaftsverhältnis, also die Re-Aktion des Herrschers und die Erwartungen der Beherrschten, angemessen zu begreifen. [4] Ludger Körntgens überzeugende Ausführungen zeigen, dass die aktuelle Frühmittelalterforschung ebenfalls von dieser Prämisse ausgeht; Michael Hochgeschwenders interessanter Artikel nimmt insofern eine Sonderstellung ein, als er sich mit einer als Demokratie organisierten Gesellschaft auseinandersetzt, in der "spontane Propaganda" nationale Identität stiftet.
Die Schwäche, für diesen Themenkomplex zentrale Begriffe wie 'Macht' und 'Herrschaft' nicht reflektiert und damit die eben nicht passiven Rezipienten ignoriert zu haben, kennzeichnet auch die meisten der Beiträge des zweiten Teils. Er bietet tatsächlich "Wege und Medien"; nicht mehr, aber auch nicht weniger. Nützlich sind die überblickartigen Darstellungen von Anne Kolb, Heike Niquet und Reinhard Wolters. Erstere stellt als "Wege der Übermittlung politischer Inhalte im Alltag Roms" (127-143) Bilder, Veranstaltungen, Korrespondenz und Publikationen vor; es geht ihr also um den unterschiedlichen Informationsgehalt, Verbreitungsgrad und Verbreitungszweck von zum Beispiel Kaiserbildnissen, Triumphzügen, juristischen Urteilen und Stadtgesetzen. Heike Niquet konzentriert sich dagegen allein auf die epigrafische Evidenz, die sie als "Medium von 'Propaganda' und Selbstdarstellung im 1. Jh. n. Chr." interpretiert (145-173). Der Akzent liegt klar auf dem letztgenannten Aspekt, wollten die Geehrten doch vor allem bestätigen, dass sie der altrömischen Adelsethik entsprachen und sich im Dienste der res publica bewährt hatten. Reinhard Wolters setzt sich unter dem vielversprechenden Titel "Die Geschwindigkeit der Zeit und die Gefahr der Bilder" mit Münzbildern und Münzpropaganda auseinander (175-204) und kommt zu dem Schluss, dass sich ein konsequent organisierter und instrumentalisierter Einsatz dieses Mediums zur Manipulation der öffentlichen Meinung nicht belegen lasse. Vielmehr spiegle sich in den Münzen ein "Dialog der Selbstvergewisserung": Der Herrscher habe mit Bildern geworben, die allgemeine Werte und Grundzüge des politischen Denkens zeigten.
Einen weiteren Überblick scheint Ulrich Schmitzers "Dichtung und Propaganda im 1. Jahrhundert n. Chr." anzukündigen (205-226); eine Erwartung, die sich jedoch nicht erfüllt: ihm gelingt es geradezu beispielhaft, an Ovid und Martial den Handlungsspielraum eines Dichters im Prinzipat zu analysieren. Während ersterer sich mittels der ambiguitas subversiv äußert, schreibt Letzterer "hofpoetische Begleitstücke". Weder in ihrer Argumentation noch hinsichtlich ihrer These überzeugen dagegen Jürgen Malitz, der über die nicht überlieferte Schrift des Augustus, "de vita sua", spekuliert ("Autobiographie und Biographie römischer Kaiser im 1. Jh. n. Chr.", 227-242); Thomas Schäfer, der "Die Rezeption römischer Herrschaftsinsignien in Italien und im Imperium Romanum im 1. und 2. Jh. n. Chr." (243-273) auf der Basis von etwa 250 Grabdenkmälern beschreibt; und Joachim Ganzert, der "Annäherungen an die augusteische Architektur" unter dem Aspekt des Verhältnisses von "Erscheinung und Wirklichkeit" (275-296) versucht.
Den Abschluss des Bandes bilden die Beiträge der Herausgeber, die sich vorbildhaft an ihren einleitend erarbeiteten Kategorien orientieren: So stellt Gregor Weber in "Augustus und die Träume" (297-316) ein weiteres Kommunikationsmedium vor, das von antiken Autoren verwendet wird, um von der Prädestination und dem Charisma des Princeps zu künden. Und Martin Zimmermann analysiert "De[n] Kaiser als Nil" - als Beispiel einer für herrscherliche Repräsentation typischen Kombination von "Kontinuität und Diskontinuität" (317-348), das heißt die Übernahme bewährter Muster einerseits und die Form individueller Akzentsetzung andererseits: Als Augustus Ägypten erobert, steigt der Nil - als Vespasian in Alexandria einzieht, kommt die Nilflut. Der Begründer des Prinzipats führt einen gefesselten Nil im Triumphzug - der Begründer der flavischen Dynastie fordert die Ägypter auf, aus ihm zu schöpfen wie aus dem Nil und lässt sich als agathos daimon respektive Sarapis bezeichnen.
Augustus ist nicht Mussolini und Maecenas nicht Ciano; und eine Äußerung Lenins über den sozialen Sinn des Verteilens von Flugblättern erklärt nicht, warum die Römer IUDAEA CAPTA auf ihre Aurei prägten. Im römischen Kaiserreich des ersten nachchristlichen Jahrhunderts gibt es weder das Phänomen einer Institution, deren Mitarbeiterstab sich der Aufgabe widmet, gesellschaftliche und politische Wertvorstellungen zu vermitteln sowie Überzeugung zu verbreiten; noch existiert das Phänomen einer sozialen Gruppierung, die ihre Methoden politischer Werbung als handlungsleitende Sinnstiftung für eine gesellschaftliche Alternative versteht. Das frühneuzeitliche Konzept der 'Propaganda' kann die "Macht der Bilder" und die "Selbstläufigkeit der Systembildung" - das heißt das Ineinandergreifen der Selbstdarstellung des Herrschers und ihm dargebrachter Ehrungen, aber auch Forderungen - in einem "Akzeptanz-System" nicht erklären. [5] Dazu bedürfte es wohl einer weiteren Tagung, die die Inszenierung von 'Macht' und damit auch das Verhältnis zwischen 'Macht' und 'Kunst' konzeptionell fasste und exemplarisch analysierte.
Anmerkungen:
[1] Christof Dipper / Wolfgang Schieder, s.v. Propaganda, in: Geschichtliche Grundbegiffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. von Otto Brunner / Werner Conze / Reinhart Koselleck, Bd. 5, Stuttgart 1984, 69-112, hier 69.
[2] Suet. Aug. 99,1; vergleiche Cass. Dio 52 ,34 ,2 f.
[3] Egon Flaig: Den Kaiser herausfordern. Die Usurpation im Römischen Reich, Frankfurt am Main / New York 1992.
[4] Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Auflage, Tübingen 1980, 122-130 und 140-148.
[5] Paul Zanker: Augustus und die Macht der Bilder, 2. Auflage, München 1990.
Sabine Panzram