Rezension über:

Marek Edelman: Erinnerungen an das Warschauer Ghetto. Das Ghetto kämpft, Stuttgart: Reclam 2024, 262 S., ISBN 978-3-15-011466-7, EUR 25,00
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Rezension von:
Florine Miez
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Florine Miez: Rezension von: Marek Edelman: Erinnerungen an das Warschauer Ghetto. Das Ghetto kämpft, Stuttgart: Reclam 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 7/8 [15.07.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/07/40275.html


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Marek Edelman: Erinnerungen an das Warschauer Ghetto

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Die deutschen Besatzer errichteten in Warschau von November 1940 an ein Ghetto für die Jüdinnen und Juden. Das Leben der Menschen in diesem von der Stadt abgetrennten Bezirk war geprägt von Armut, Hunger, Krankheit, Repression und Zwangsarbeit. Der Untergrundaktivist Marek Edelman hat dies als "Zustand des absoluten Chaos" beschrieben (109). Seine Aufzeichnungen stehen im Zentrum des hier besprochenen Buchs: Der erste Teil behandelt die erstmals in deutscher Sprache herausgegebenen "Erinnerungen an das Warschauer Ghetto", der zweite Teil ist eine Neuausgabe von "Das Ghetto kämpft". Im Vorwort schildert Marek Edelmans Sohn Aleksander den zufälligen Fund der Erinnerungen nach dem Tod seines Vaters 2009. Die Einleitung der Historikerin Constance Pâris de Bollardière ordnet die Entstehung der Erinnerungen sowie die Geschichte des Allgemeinen jüdischen Arbeiterbundes in Litauen, Polen und Russland in die Zeitläufe ein. Der Bund war eine sozialistische Gruppierung, die in Polen zuerst als Partei, während der deutschen Besatzung dann als Untergrundorganisation fungierte.

Edelman, der dem Bund angehörte, war einer der bekanntesten Widerstandskämpfer des Warschauer Ghettos. Er arbeitete seit Kriegsbeginn als Kurier für das Bersohn-Bauman-Krankenhaus und sorgte für Druck und Verbreitung der Untergrundpresse. In seinen Erinnerungen schilderte er seine Erlebnisse und den Alltag im Ghetto. Er verfasste sie vermutlich 1967, nachdem er im Zuge antijüdischer Maßnahmen des kommunistischen polnischen Regimes seine Stellung verloren hatte. Die detailreichen, schlaglichtartigen, fast tagebuchartigen Schriften, die drei Notizbücher füllen, sind von den Herausgebern durch zahlreiche Anmerkungen ergänzt worden.

Im Mittelpunkt der Erinnerungen steht die Untergrundarbeit der sogenannten Bundisten. Festnahmen und Durchsuchungen durch die Deutschen sowie Druck und Verbreitung der Untergrundpresse sind die Hauptthemen des ersten Notizbuchs. Edelman beschrieb die Anfänge der Untergrundblätter, beispielsweise der ersten und wichtigsten bundistischen Publikation, dem Byuletin, die mehrmals im Monat von Mai 1940 bis etwa Dezember 1941 auf Jiddisch erschien. Edelmann beschrieb die Bedeutung der Untergrundarbeit folgendermaßen: "Für mich existierte während dieser drei Jahre nichts außer der Tätigkeit für die Organisation." (48) Er fühlte sich leer, als der Byuletin kurzzeitig eingestellt wurde. Immer wieder wird deutlich, welchem Risiko sich die Widerstandskämpfer aussetzten, so auch in den Aufzeichnungen über die "Blutnacht" vom 17. auf den 18. April 1942: Nach dem Fund illegaler Publikationen erschossen die Deutschen Jüdinnen und Juden. Edelman sah hier den Anfang der Vernichtung der Warschauer Juden (59).

Das zweite und kürzeste Notizbuch enthält Aufzeichnungen über Ereignisse, die sich vor der Errichtung des Ghettos abgespielt haben, während im dritten Notizbuch die beginnenden Deportationen seit Juli 1942 im Mittelpunkt stehen. Edelman schrieb dazu: "Eigentlich weiß ich nicht, ab wann das Leben nichts mehr wert war." (85) Die Bundisten hatten bereits im Oktober 1941 Informationen über die Ermordung der Jüdinnen und Juden in Vilnius und Lublin erhalten und erlebten nun die Deportationen aus dem Warschauer Ghetto. Sie beschlossen, die Menschen zu retten, und tauschten sich mit anderen Widerstandsgruppen aus. Edelman schilderte, wie er nur knapp der Deportation entging, indem er sich in einer Wandnische versteckte. Die Notizbücher enden mit einer Widmung an seine Frau Alina Margolis-Edelman und mit dem offensichtlich nicht eingelösten Versprechen einer Fortsetzung.

Den zweiten Teil des Buchs bildet Edelmans Bericht über die Verhältnisse im Ghetto bis zum Aufstand im April/Mai 1943, den er für die Führungsgremien des Bundes verfasst und im November 1945 erstmals veröffentlicht hat. "Das Ghetto kämpft" ist Edelmans Freund und Mitkämpfer Abrasza Blum gewidmet, der wie viele der Weggefährten 1943 ermordet wurde, wie sich in den biografischen Angaben am Ende des Buchs nachlesen lässt. Dass in vieler Hinsicht von jüdischer Seite Widerstand gegen die deutschen Besatzer geleistet wurde, ist inzwischen bekannt. Auch dieser Text trägt dazu bei, mit dem Vorurteil aufräumen, Jüdinnen und Juden hätten sich einfach deportieren und ermorden lassen: "Jetzt beginnen die Juden, endlich zu begreifen, dass die Aussiedlung den Tod bedeutet. Dass uns nichts anderes übrigbleibt, als ehrenvoll zu sterben. Aber den Moment des Sterbens und der Ehre möchten sie immer noch [...] so weit wie möglich hinauszögern." (150) Edelman zeichnete die Kämpfe gegen die deutschen Besatzer nach und ging dabei insbesondere auf die Rolle der Bundisten in der jüdischen Kampforganisation Żydowska Organizacja Bojowa (ŻOB) ein. Obwohl sie während des Aufstandes kaum über geeignete Waffen verfügten, schrieb Edelman über die Beteiligung der Ghettobewohner: "Jedes Haus kämpft" (159).

Wiederholt wird deutlich, welchen Schwierigkeiten sich die Bundisten vor dem Aufstand ausgesetzt sahen, als sie versuchten, die jüdische Gemeinschaft davon zu überzeugen, dass sie sich in Gefahr befand, zumal die Besatzer auf Widerstand mit Kollektivstrafen reagierten. Edelman lobte die Erfolge im Widerstand und der Aufklärungsarbeit über die Deportationen und gab auch Einblicke in die Informationslage. Er notierte, welche Neuigkeiten er von seinen Genossen außerhalb Warschaus bekam, insbesondere über die "Aktion Reinhardt".

Das Buch ist ein wertvoller Beitrag zur Geschichte des Warschauer Ghettos sowie über die Bundisten und deren Wirken. Es zeigt nicht nur den kämpferischen Widerstand, sondern auch, wie über Wissensvermittlung versucht wurde, der jüdischen Gemeinschaft vor Augen zu führen, in welcher Gefahr sie sich befand. So kann man sagen, dass diese Ausgabe der beiden sehr unterschiedlichen Texte gut funktioniert: Zum einen gibt "Das Ghetto kämpft" einen Überblick über die Kämpfe der Jüdinnen und Juden, zum anderen lassen die Erinnerungen Innenansichten in den Ghettoalltag zwischen 1940 und 1945 zu.

Die Kurzbiografien und der Anmerkungsapparat tragen viel zum Verständnis der Texte bei. Obwohl Edelman von der antisemitischen Gewalt betroffen war, die in Polen in den 1950er Jahren anstieg, blieb er in seiner Heimat. Er sah es als seine Pflicht an, über die Toten zu wachen, und bemerkte: "Keine Regierung wird für mich entscheiden, wo ich leben soll." (16)

Florine Miez