Geschenktipps (nicht nur) zu Weihnachten

Romedio Schmitz-Esser, Venedig


Carlo M. Cipolla: Allegro ma non troppo. Die Rolle der Gewürze und die Prinzipien der menschlichen Dummheit, Berlin: Wagenbach 2010.
Keiner Zunft tut es schlecht, sich einmal humoristisch mit sich selbst auseinanderzusetzen. Einem italienischen Historiker ist das schon vor längerer Zeit exzellent gelungen, indem er den kulturhistorisch-satirischen Beweis dafür antritt, dass die Potenz steigernde Wirkung des Pfeffers und der Wunsch nach dem Import größerer Mengen davon die Renaissance grundlegend angetrieben habe. In diesem schönen Band wird die deutsche Übersetzung mit dem noch wichtigeren Aufsatz Carlo Cipollas über die Prinzipien der menschlichen Dummheit kombiniert. Schmunzelt man beim ersten Teil des Buches noch über die Satire, bleibt einem im zweiten Teil das Lachen im Hals stecken: Zu exakt erscheint die Beschreibung dummer Menschen - und man beginnt unweigerlich sehr rasch, der Allgemeingültigkeit von Cipollas quasi mathematischen Gesetzen im Alltag nachzuspüren.


Pierre Bayard: Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat. Aus dem Französischen von Lis Künzli, München: Goldmann 2009.
Wenn sich vor Weihnachten die noch nicht bewältigten Rezensionen stapeln und in den halb fertigen Artikeln noch weitere Fußnoten gesetzt werden müssen, dann fragt man sich ganz insgeheim mitunter doch einmal, ob es eigentlich viel Sinn macht, so genau zu arbeiten; in Anbetracht der vielen, neuen Publikationen, die alleine in den sehepunkten regelmäßig besprochen werden, fühlt man sich mitunter ohnmächtig, noch gegen den Berg an zu lesenden Büchern anzukommen - dabei sind die vielen Klassikern der Literatur noch gar nicht angesprochen, die zuhause auf ihre Lektüre warten. Diese geistreiche und durchaus nicht so absurd angelegte Studie eines Literaturwissenschaftlers bringt einen dazu, das Nichtlesen als Tugend zu akzeptieren; sie erleichtert den Alltag überraschenderweise gerade dadurch, indem es den Leseprozess und das Sprechen über Texte als komplexes, von gesellschaftlichen Zwängen dominiertes Phänomen skizziert. Wer viel über Bücher spricht, wird dieses Buch mit Gewinn zur Kenntnis nehmen.


Donatella Calabi: Venezia e il Ghetto. Cinquecento anni del "recinto degli ebrei", Turin: Bollati Boringhieri 2016.
In diesem Jahr jährt sich zum 500. Mal die Einrichtung des venezianischen Ghettos. Auch wenn dies wahrlich kein Grund zum Feiern ist, so haben 2016 eine Reihe von Veranstaltungen, Ausstellungen und Publikationen ein neues Licht auf die Geschichte Venedigs und den Umgang der Serenissima mit der jüdischen Bevölkerung geworfen, so etwa die im Dogenpalast gezeigte Schau "Venezia, gli Ebrei e l’Europa 1516-2016". Die Kuratorin der Ausstellung, zu der es übrigens ebenfalls einen schönen Katalog gibt, hat pünktlich diesen gut lesbaren Abriss der Geschichte des Ghettos vorgelegt, der ältere Arbeiten (etwa von Riccardo Calimani) in eine neue Perspektive rückt. Die Organisation des Stadtraums im vormodernen Venedig wird dabei besonders berücksichtigt; das Buch ist zudem auch in französischer Übersetzung erschienen.


David Grazian: American Zoo: A Sociological Safari, Princeton: Princeton University Press 2015.
Für alle Historikerinnen und Historiker, die beispielsweise aufgrund sich neu eingestellten Nachwuchses darauf angewiesen sind, viel Zeit statt im Archiv nunmehr im Zoo zu verbringen: Dieser Band lohnt sich, um einmal eine neue Perspektive auf ein allzu selbstverständlich unkritisch hingenommenes Habitat zu werfen. Aber Vorsicht: Der Zoobesuch ist nach der Lektüre nicht mehr derselbe, denn ein soziologischer Blick eröffnet neue Perspektiven auf die hier vorgenommene künstliche Konstruktion von Natur und ihren moralisierenden Nutzen für die Besucher. Für ganz Eilige, die ohnedies schon eine zu lange Leseliste haben, gibt es ein BBC-Interview mit dem Autor unter: http://www.bbc.co.uk/programmes/b06nq26t auch Online.


Marc Bloch: Apologie der Geschichtswissenschaft oder Der Beruf des Historikers, Stuttgart: Klett-Cotta 2008.
Unter allen Büchern, die ich als Historiker empfehlen würde, stellt Marc Blochs "Apologie der Geschichtswissenschaft" zwar keinen Geheimtipp, aber doch den wichtigsten Leitstern dar, den man Geschichtsinteressierten ans Herz legen kann. In erstaunlicher Klarheit kann dieser Fragment gebliebene Text wie kaum ein anderes, methodisch angelegtes Werk bei jeder neuen Lektüre Ideen anstoßen, die auch heute in keiner Weise banal oder überflüssig wirken. Vor allem aber ist dies Buch ein Beweis dafür, dass klares Schreiben und tiefgründiger Inhalt sich nicht widersprechen, sondern in der Regel ergänzen.