Ute Lotz-Heumann: Die doppelte Konfessionalisierung in Irland. Konflikt und Koexistenz im 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts (= Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe; 13), Tübingen: Mohr Siebeck 2000, 510 S., ISBN 978-3-16-147429-3, EUR 99,00
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Die Berliner Dissertation von Ute Lotz-Heumann aus dem Jahr 1999 ist bei Heinz Schilling entstanden. Sie lehnt sich eng an die Definitionen von Schilling und Reinhard zum Konfessionalisierungsprozess in Zentraleuropa an. Der Reiz der Arbeit liegt darin, eine atypische "doppelte Konfessionalisierung" mit der theoretisch hergeleiteten Typologie "der" Konfessionalisierung zu vergleichen, wie sie besonders am deutschen Reich entwickelt worden ist: Dort steht die Konfessionalisierung in engster Beziehung zur Staatsbildung und zur Sozialdisziplinierung, so dass sie als Mittel zum Zweck staatlicher Entwicklung und gesellschaftlicher Formation interpretiert wird.
In Irland verlief die Entwicklung, die Ute Lotz-Heumann von 1534-1641 verfolgt, völlig anders. Hier schaffte es "der Staat", das heißt die englische Krone, nicht, seine protestantische Konfession auf die Bevölkerung zu übertragen. Es hat damit überhaupt keine Reformation stattgefunden, so dass die Basis einer protestantischen Konfessionalisierung fehlte. London hat im Gegenteil durch eine wankelmütige Politik mit einer Tendenz zum Laisser-aller das Entstehen, das Erstarken und die Formierung einer fremden Konfession bis hin zu einer wirksam konfessionalisierenden katholischen Gegenkirche forciert. Dadurch, dass die "Old English", die königstreuen katholischen Iren anglo-normannischer Abkunft, trotz ihrer ethnischen und kulturellen Differenzen zur gälischen Einwohnerschaft letztlich in die "katholische Liga" hineingedrängt wurden, schwächte die britische Oberherrschaft, die ihres Brückenkopfes verlustig ging. Nur die in einigen Gebieten, vor allem in Ulster (zur "plantation" 153 f.), neu angesiedelten Engländer und Schotten, in der Regel Presbyterianer, blieben bei der "Church of Ireland".
Man muss diesem Werk attestieren, dass es en detail und mit wissenschaftlicher Akribie die Entwicklung von zwei getrennten Konfessionskulturen und Identitäten beschreibt, die bis heute politisch relevant, ja brisant geblieben sind. Nordirland, Ulster, ist die Frucht der "plantation" nach dem Scheitern aller Versuche, die Altengländer und die Gälen zur Reformation zu führen. Nach dem Scheitern von Anglisierungs- und Anglikanisierungsversuchen folgte somit der Siedlungsimperialismus (317-334)!
Eine "Konfessionalisierung" wird für die Church of Irland eigentlich kaum sichtbar gemacht (zu den Auseinandersetzungen zwischen Puritanern / Presbyterianern und Arminianern kurz 201-213). Die neu angesiedelten Schotten und Engländer waren überzeugte Puritaner oder Presbyterianer, schon konfessionalisiert, bevor sie irischen Boden betraten. Die Arbeit konzentriert sich auf das Scheitern der Reformationsversuche und die Entstehung einer katholischen Konfessionalisierung, weshalb nur mit Einschränkung wirklich von einer "doppelten Konfessionalisierung" gesprochen werden kann. Deshalb überzeugt auch der Versuch nicht, eine Parallelität der Disziplinierungsziele zwischen den Konfessionen zu zeigen (361-419), weil sie nur in Richtung auf die gälische Bevölkerung formuliert worden sind, die sich der englischen Politik aber entziehen konnte. Auch wird ein realer Prozess von Disziplinierung im Zuge der katholischen Konfessionalisierung nicht einmal untersucht, geschweige denn nachgewiesen.
Eine Konfessionalisierung nimmt das Buch also nur in Bezug auf die Abgrenzung der Old English von der Krone auf der Basis der Glaubensdifferenz und für die innere Umgestaltung der altgläubigen gälischen und englischen Kirche in Irland in den Blick. Da Quellen wie Visitationsakten aber weitgehend fehlen, wird dieser Prozess eher auf der Ebene der führenden Politiker und des Klerus fassbar und aus Hinweisen auf das Scheitern einer Reformation von außen. Die Studie erinnert nicht von ungefähr an Bölls Gruppenbild mit Dame, in dem auch das Objekt des Interesses nur indirekt aus dem Blickwinkel der anderen reproduziert werden konnte.
Aber gehen wir ins Detail. Entscheidend für die weitere Entwicklung war von Anfang an die Tatsache, dass Englands Macht sich auf die Pale, das heißt die Umgebung Dublins und auf einige Hafenstädte und die darin wohnhaften Adligen und Stadtbürger konzentrierte (3, 87, Anhang Karten 440 f.). Diese Anglo-Iren aus Gentry und das Stadtbürgertum wandten sich zwischen den 1570er Jahren und dem frühen 17. Jahrhundert (128) einem römisch-tridentinischen Katholizismus zu, obwohl sie sich lange der englischen Krone verbunden fühlten. Die Verhärtung der konfessionellen Fronten, die in Irland wie auf dem Kontinent nach 1600 immer stärker wurde, führte zur Annäherung aller gälischen wie englischen Katholiken auf konfessioneller Grundlage (4), wogegen die Neuengländer die Minderheitenkirche der Church of Ireland ausmachten (137). Die einzige entschieden gewaltsame Phase der Protestantisierung Irlands unter Cromwell vollendete deren Scheitern: "Cromwell machte durch seine Eroberungs- und Enteignungspolitik den Altengländern deutlich, dass es für ihn nun noch 'rebellische katholische Iren' gab und dass außer Protestanten niemand mehr einen Anspruch auf eine 'englische' Identität und eine bevorrechtigte Stellung in Irland erheben konnte. Das hatte langfristig die Verschmelzung von Gälen und Altengländern zu einer irischen Nation auf der Basis der gemeinsamen Konfession zur Folge." (217) Am Ende verband die "two nations" ihre katholische Konfession so stark, dass sie zeitweise (Konföderation von Kilkenny 1642, 4, 213-215, 228) sogar eine gemeinsame Fronstellung gegen die "Kolonialmacht" England ermöglichte.
Dass sich die Altengländer von London lösten, hat auch mit der Tatsache zu tun, dass britische Konfessionalisierung und "Absolutismus", das heißt das Ende der Mitregierung des Parlaments in Dublin, gleichermaßen am Horizont auftauchten (119, 124-130, 156, 169-175, bes. 173 und 185-188 zum Absolutismus), so als hätten die Zeitgenossen schon Einblick in die gegenwärtige Forschungslage genommen. "Es setzte allmählich ein Konfessionalisierungsprozess 'von unten' ein, im Zuge dessen die loyalen Anglo-Iren Widerstand gegen frühmoderne Staatsbildung und Konfessionalisierung 'von oben' leisteten" (132).
Weil die englische Krone eine schwankende Rolle spielte und in der Regel lieber Ruhe und Ordnung wollte als ein durchgreifendes Verstaatlichungs- und Konfessionalisierungsprogramm zu lancieren (105-107, 126, 422 f.), leistete sie der "Gegenreformation" als der Basis einer katholischen Konfessionalisierung sogar Vorschub. Selbst bei der henricianischen Reformation blieben die alten Geistlichen, ohne einen Suprematseid zu leisten und ohne Annahme auch nur rudimentärer protestantischer Überzeugungen im Amt als "cuckoo in the nest of the established church" (85, 89, 96). Vor allem aber stützte sich die Reformation auf keinerlei Basis in der Bevölkerung - nicht einmal in der Pale (100, 166 f.), anders als im Mutterland selbst, wo sich unter Edward die politische und intellektuelle Elite schon zum großen Teil auf die Seite der Reformation gestellt hatte sowie in Südengland und um London, wo auch die Bevölkerung schon die neue Konfession angenommen hatte (92). Andererseits fehlte es auch an Erfolg versprechenden energischen Versuchen, mit Zwang und Gewalt vorzugehen (428). Selbst "recusants", also alle, die den Besuch der protestantischen Gottesdienste verweigerte, wurden nicht bestraft (94, 124, 128 f.).
Sieger war die katholische Kirche: "Church-papistry und survivalism der vorkonfessionellen Phase bis 1580 wurden bis Ende des 16. Jahrhunderts abgelöst vom tridentinisch formierten Katholizismus, der keine Kompromisse mit der Staatskirche zuließ. Und die Missionare legten die Grundlagen für den institutionellen Aufbau der katholischen Konfessionskirche insbesondere im anglo-irischen Irland." (136, 183, 429)
Konsequenterweise bekennt sich Ute Lotz-Heumann zu einer kritischen Sicht auf das Konfessionalisierungsparadigma, wenn sie die (katholische) Konfessionalisierung aus "Widerstandsformen gegen Sozialdisziplinierung und frühmoderne Staatsbildung" herleitet (Zitat 9, 9-16, 434). Damit leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Relativierung des theoretischen Konzepts, von dem sie ausgegangen war.
Heinrich Richard Schmidt