Helge Heidemeyer (Bearb.): Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Sitzungsprotokolle 1953-1957 (= Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Vierte Reihe: Deutschland seit 1945; Bd. 11), Düsseldorf: Droste 2003, 2 Bde., CXXXIII + 1737 S., ISBN 978-3-7700-5211-0, EUR 220,00
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Reinhard Schiffers (Bearb.): Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Sitzungsprotokolle 1957-1961 (= Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Vierte Reihe: Deutschland seit 1945; Bd. 11/III), Düsseldorf: Droste 2004, 2 Bde., CXI + 1012 S., ISBN 978-3-7700-5212-7, EUR 184,00
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Corinna Franz (Bearb.): Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Sitzungsprotokolle 1961-1966 (= Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Vierte Reihe: Deutschland seit 1945; Bd. 11/IV), Düsseldorf: Droste 2004, 4 Bde., CXII + 2681 S., ISBN 978-3-7700-5253-0, EUR 398,00
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Adrian Bingham: Family Newspapers? Sex, Private Life, and the British Popular Press 1918-1978, Oxford: Oxford University Press 2009
Albert Kümmel / Petra Löffler (Hgg.): Medientheorie 1888-1933. Texte und Kommentare, Frankfurt/M.: Suhrkamp Verlag 2002
Karl Christian Führer / Corey Ross (eds.): Mass Media, Culture and Society in Twentieth-Century Germany, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2006
Josef Boyer / Helge Heidemeyer (Bearb.): Die Grünen im Bundestag. Sitzungsprotokolle 1983-1987, Düsseldorf: Droste 2008
Corinna Franz: Fernand de Brinon und die deutsch-französischen Beziehungen 1918-1945, Bonn: Bouvier 2000
Bettina Effner / Helge Heidemeyer (Hgg.): Flucht im geteilten Deutschland. Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde, Berlin: BeBra Verlag 2005
Letztes Jahr schien auch die Parlamentarismus-Kommission bedroht, deren Existenz von Fördermitteln des Landes Nordrhein-Westfalen abhängt. Wie produktiv, verdienstvoll und unentbehrlich jedoch ihre Arbeit ist, unterstreicht erneut die umfangreiche Edition der CDU/CSU-Fraktionsprotokolle, die für die Zeit von 1953 bis 1966 in den letzten beiden Jahren erschien. Für jeden Zeithistoriker, der sich auch nur im weitesten Sinne mit politikgeschichtlichen Fragen beschäftigt, bieten die Bände eine Fundgrube. Über die einzelnen Politikfelder hinaus eröffnen sie auch für jüngere Forschungsgebiete vielfältige Auswertungsmöglichkeiten - sei es für Arbeiten über politische Kommunikation, politische Ideengeschichte oder eine Sozial- und Kulturgeschichte des Politischen.
Wie gewöhnlich weisen die gut, aber zurückhaltend kommentierten Bände umfangreiche Register und Einleitungen auf, die in die Fraktionsdebatten der jeweiligen Legislaturperioden einführen. Die drei Einleitungen beschreiben zunächst jeweils die Veränderungen in der Fraktionsstruktur. Auch wenn die nackten Daten bereits im Datenhandbuch des Deutschen Bundestages greifbar sind, bieten diese Abschnitte viele Hinweise für eine Sozialgeschichte der damaligen Politiker. Deutlich wird die im Vergleich zur SPD größere soziale und politische Heterogenität der CDU/CSU-Fraktion, die Konsensbildungen erschwerte. Die kurzen Abschnitte über die weiblichen Fraktionsmitglieder zeigen, dass diese kaum wichtige Posten erhielten, sich auf klassische sozialpolitische Fragen konzentrierten und selten ihr Wort erhoben. Allerdings wird besonders mit Maria Probst (CSU) schon in den fünfziger Jahren eine Wortführerin erkennbar, die in der Sozialpolitik kontrovers hervortrat. Ab 1961 und insbesondere ab 1965 verstärkte sich diese Präsenz von Frauen.
Die Einleitungen wie auch die Protokolle geben einen sehr plastischen Eindruck von Arbeit der Fraktion. In der Regel fanden ihre Sitzungen am Dienstag vor den Parlamentssitzungen statt. Sie dienten der Vorstrukturierung, wurden ihrerseits aber durch den Fraktionsvorstand am Tage zuvor vorbereitet. Die zunehmende Professionalisierung der Politik zeigt die wachsende Ausdifferenzierung der Arbeitsgruppen. Die Bearbeiterin Corinna Franz hebt einleitend die oftmals schlechte Stimmung der Abgeordneten hervor, die zudem häufig den Sitzungen fernblieben (XXIV f.). Nicht zuletzt das Verhältnis zum Kabinett war oft spannungsreich. Bei vielen Sitzungen monierten die Abgeordneten die schlechte Information durch die Regierung. Der von Helge Heidemeyer bearbeitete Band unterstreicht gelegentliche Meinungsverschiedenheiten zwischen Kabinett und Fraktion für die 1950er Jahre, wobei letztere seit 1955 ein größeres Einvernehmen suchte, was nicht zuletzt an dem neuen Fraktionsvorsitzenden Heinrich Krone lag. Adenauer erreichte vor allem durch sein persönliches Auftreten in der Fraktion eine gemeinsame Linie, bis sich Ende der fünfziger Jahre die Fronten wieder verhärteten. Obwohl 1961 mit Heinrich von Brentano ein bisheriger Minister die Fraktionsführung übernahm, blieben auch nach der Präsidentschaftskrise gelegentliche Reibungen bestehen. Von Gesundheitsproblemen aufgezehrt, war Brentanos Durchsetzungskraft ohnehin begrenzt. Insgesamt gesehen betont der Bearbeiter Reinhard Schiffers jedoch das gute Zusammenspiel zwischen Regierung und Fraktion (LXV). Die darauf folgenden Abschnitte zur Fraktionsorganisation zeigen, dass die Fraktion zwar ähnlich wie die Partei 1962 Reformversuche startete, diese aber im Sande verliefen. Auch die CDU/CSU-Fraktion musste noch einige Jahre auf ihr "1968" warten. Bearbeiterin Corinna Franz hebt für die Zeit ab 1964 dennoch die effektive Fraktionsführung unter Barzel hervor, der allerdings auch Angriffe aus den eigenen Reihen ertragen musste (XLIV f.). Überdeutlich werden zugleich Erhards Führungsschwächen.
Besonders interessant sind die Protokolle in Bezug auf die zeitgenössischen öffentlichen Kontroversen. Als brisant erwiesen sich etwa die Diskussionen über den Umgang mit der NS-Vergangenheit in den sechziger Jahren. In der Debatte über den belasteten Vertriebenenminister Theodor Oberländer trat 1961 besonders der Verleger Gerd Bucerius mit innerparteilicher Kritik hervor. In der Verjährungsdebatte 1964/65 sprach sich die Mehrheit der Unionspolitiker zunächst für eine Verjährung von Mordtaten aus, wobei vor allem juristische Gründe angeführt wurden. Insbesondere die CSU plädierte mit Verweis auf Verfassung und "Menschenrechtscharta" für die Einstellung der Bestrafung. Neben den Stimmen, die auf die Propaganda aus dem Osten hinwiesen, die angeblich vollständige juristische Aufarbeitung betonten und die Bombenangriffe auf Deutschland aufrechneten, gab es jedoch auch einzelne nachdenklichere Stimmen, die derartige Vergleiche zurückwiesen. Insbesondere der junge Abgeordnete Ernst Benda trat für eine Verlängerung ein, und schließlich kam es zum Kompromiss einer zeitlich befristeten Verlängerung.
Es fällt selbstverständlich schwer, die vielfältigen Inhalte der Fraktionssitzungen in wenigen Zeilen zu bündeln. Denn bereits in der zweiten Legislaturperiode wies die Arbeit der Fraktion eine außerordentliche Breite auf. In der Außenpolitik nahm die Fraktion seit Mitte der fünfziger Jahre vor allem Berichte des Kanzlers entgegen und riskierte im Unterschied zur ersten Legislaturperiode kaum noch ein Kräftemessen. Erst am Ende des Jahrzehnts trat, ähnlich wie im Bundesvorstand, insbesondere Eugen Gerstenmaier mit abweichenden Positionen hervor, etwa in der Berlin-Frage. Das kontroverseste Thema in der zweiten Hälfte der Fünfziger Jahre war die Sozialpolitik. Insbesondere bei der Einführung des Kindergeldes, aber auch bei der wahlentscheidenden Rentenreform, stießen die unterschiedlichen Positionen innerhalb der Union heftig aufeinander. Auch in der dritten Legislaturperiode sorgten besonders sozialpolitische Fragen für längere Debatten, wie vor allem um die Krankenversicherung, bei der die Union bis zur Wahl 1961 keine wirkliche Einigung fand. Vermutlich sank gerade durch die große Mehrheit im Bundestag die Fraktionsdisziplin. Kontrovers debattiert wurde erneut auch das Kindergeld, das 1961 dann doch auf eine steuerfinanzierte Basis gestellt wurde. Ab 1961 erfolgten dann vor allem Reformen im Bereich der Steuer-, Finanz- und Rechtspolitik. Von breiterem historischem Interesse sind zudem die medienpolitischen Aushandlungsprozesse der Ära Adenauer, die sich ebenfalls in zahlreichen Fraktionsdebatten niederschlugen. Gerade hier zeigten sich immer wieder die Grenzen der Regierungsmacht, trotz aller Mehrheiten. Geradezu endlos zog sich in der zweiten Hälfte der Fünfziger Jahre die Auseinandersetzung über die Einführung eines kommerziellen zweiten Fernsehprogrammes hin, das unter dem Einfluss der Regierung stehen sollte. Dabei ist zugleich interessant, auf welche Weise die Politiker die mediale Beobachtung des Politischen durch Meinungsumfragen, Fernsehen und eine kritische Presse selbst wahrnahmen. Welche Bedeutung einzelne Zeitungen für den politischen Diskurs in der Fraktion hatten, lässt sich besonders gut mit dem filigran aufgeschlüsselten Register des letzten Bandes (1961-1966) untersuchen.
Insgesamt kann man bei dieser wichtigen Edition das Fazit ziehen, dass ihr wissenschaftlicher Nutzwert sicherlich weniger in der Aufdeckung bislang unbekannter, geheimer und gar spektakulärer Entscheidungen liegt. Für jede Bearbeitung von politischen Diskursen und Entscheidungsabläufen bietet sie jedoch eine Überfülle von Material.
Frank Bösch