Bernd-Stefan Grewe: Der versperrte Wald. Ressourcenmangel in der bayerischen Pfalz (1814-1870) (= Umwelthistorische Forschungen; Bd. 1), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004, 508 S., ISBN 978-3-412-10904-2, EUR 52,90
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Eine der nachhaltigsten Debatten der Umweltgeschichte ist jene über die "Holznot" des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts. In diesem Forschungsstrang verordnet Bernd-Stefan Grewe seine Untersuchung zum Ressourcenmangel in der bayerischen Pfalz. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein war Holz der wichtigste Energieträger und das wichtigste Baumaterial. Seine Ablösung durch Kohle und Stahl gilt im Fortschrittsnarrativ der sich industrialisierenden Gesellschaften des 19. Jahrhunderts, wie es etwa von Werner Sombart oder Franz Schnabel entworfen worden ist, als Inbegriff der menschlichen Emanzipation von den "Schranken" der Natur. In dieser Sicht war der langsam wachsende Naturstoff Holz geradezu ein Synonym für Mangel und Not. Es wurde daher kaum am Realitätsgehalt jener zahllosen Holznotklagen gezweifelt, die der "Entfesselung des Prometheus" (David Landes) unmittelbar vorangegangen sind.
Vor zwanzig Jahren hat Joachim Radkau bemerkt, dass Hinweise auf Holznot und Verordnungen zum Schutz der Wälder in den Quellen allein noch nichts darüber aussagen, ob effektiv eine Knappheit der Ressource gegeben war. Vielmehr könne die Rede vom "einreißenden Holzmangel" auch als herrschaftslegitimierende Formel oder als Strategie gegen konkurrierende Ansprüche anderer Verbraucher interpretiert werden. [1] Radkaus Aufforderung zur genauen Quellenkritik provozierte insbesondere die Forsthistoriker, weil die klassische Forstgeschichte den Ursprung der modernen Forstwirtschaft in der erfolgreichen Bekämpfung der Holznot um 1800 lokalisierte. Die Debatte spitzte sich schnell auf die Frage zu, ob es in Deutschland je eine allgemeine Holznot gegeben habe, oder ob "nur" darüber geredet worden sei. Naturwissenschaftlich orientierte Ansätze, die vergangene natürliche Umwelten rekonstruieren wollen, und gesellschaftsgeschichtliche Perspektiven, die nach vergangenen (Um-)Weltdeutungen fragen, rückten gegeneinander in Stellung. [2] Die gemeinsame Gewissheit darüber schwand, ob historische Holznot real ist, wenn in den Wäldern zu wenig Bäume standen, oder ob Holznot dann besteht, wenn historische Akteure diese Lage ganz unabhängig von den Tatsachen als real definierten.
Doch nicht nur kulturwissenschaftliche und naturwissenschaftliche Ansätze stehen sich in der Auseinandersetzung um den Mangel beim Holz gegenüber. Ressourcenökonomisch ist Holznot dann ein reales Knappheitsphänomen, wenn sich zu wenig Holz auf dem Markt befindet, wobei der effektive Zustand der Wälder ebenso unbedeutend ist, wie die individuelle oder kollektive Wahrnehmung. Doch was heißt Markt? Szientistische Modelle der Wirtschaftswissenschaften stehen kulturwissenschaftlichen Deutungen des Tauschs entgegen. Und es gilt zu unterscheiden zwischen Mangelsituationen in der protoindustriellen "moral economy" (E. P. Thompson) und dem Knappheitsbegriff der gewinn- und wachstumsorientierten, kapitalisierten Wirtschaft, die sich mit der Industrialisierung durchgesetzt hat. Angesichts der vielschichtigen Komplikationen wundert nicht, dass das Forschungsproblem der Holznot noch heute besteht. [3]
Grewe stellt fest, dass trotz der vielen Beiträge zum Thema noch immer "kein brauchbares Konzept vorliegt, mit dem sich entscheiden lässt, ob es in einer bestimmten Region eine Waldressourcenknappheit ('Holznot') gegeben hat oder nicht" (25). Diese Lücke will er schließen. Er stellt nicht nur in Aussicht, die Frage der "Holznot" für die Pfalz des 19. Jahrhunderts endgültig zu klären, sondern will zugleich auch "ein Analysemodell entwickeln, das sich auf andere Räume übertragen lässt" (26).
Das ist ein hoher Anspruch. Um ihn einzulösen, kritisiert Grewe zunächst die traditionelle Blickverengung auf die Forstprodukte Bau- und Brennholz. Anstatt in diesem Sinne von "Holznot" zu sprechen, plädiert er für den Begriff des "Waldressourcenmangels", der auch Nebennutzungen der Wälder wie das Streurechen oder die Schweinemast einschließt. Sein Analysemodell der Waldnutzung, das er im Folgenden entfaltet, umfasst sieben Dimensionen, nämlich die räumliche, die zeitliche, die politische, die wirtschaftliche, die soziale, die kulturelle und die ökologische. Er differenziert zwischen den Begriffen des Waldressourcenmangels (= unbefriedigte Nachfrage), der Waldressourcennot (= Zustand bereits eingetretener negativer Folgen), der Waldressourcenknappheit (= Ungleichheit von Angebot und Nachfrage in einem spezifischen Markt), der Waldressourcenverknappung (= angebotsseitige Verkleinerung des Marktes) und der Waldressourcenkrise (= mit bisherigen Steuerungskapazitäten nicht lösbare Schwierigkeit). So gerüstet führt er den Leser in die Wälder der Pfalz, deren Zustand zwischen 1814 und 1870 daraufhin befragt wird, inwiefern die angebotsseitigen Kapazitäten ausgeschöpft waren, in welchem Ausmaß Waldressourcenmangel verbreitet war und worauf sich dieser zurückführen lässt.
Die Antworten sind eindeutig: Die angebotsseitigen Kapazitäten waren im Untersuchungszeitraum nie ausgeschöpft, während ein Mangel an Waldressourcen durchaus bestand. Die Forstverwaltung ließ stets weniger Holz schlagen, als nachwuchs, wobei das Motiv dieser künstlichen Ressourcenverknappung nicht die Erhöhung der Preise war, sondern eine waldbauliche Ordnungsvorstellung. Man wollte die Bestände gemäß der forstökonomischen Norm des homogenen Hochwaldes umgestalten und schränkte ihre Nutzung deshalb ein. Weil sie dank einer Reihe von Machtmechanismen sämtliche legalen Waldnutzungsformen effektiv kontrollieren konnten, "versperrten" die Forstleute den Wald.
Die entstehende Mangellage wog umso schwerer, als mit der künstlichen Verknappung auch die weitgehende Kapitalisierung des Holzhandels einherging. Sowohl das Holz der bayerischen Regierung als auch jenes der Gemeinden wurde vermehrt in Versteigerungen auf den Markt gebracht, während die Praxis, "Gabholz" an Gemeindebürger zu verschenken, stetig an Bedeutung verlor. Ländliche Unterschichten, die nur unvollständig in das System der Geldwirtschaft eingebunden waren, wurden durch diese Prozesse von der legalen Waldressourcennutzung praktisch ausgeschlossen. Die soziale Relevanz des Prozesses erschließt sich indirekt aus den zahlreichen Fällen von Holzfrevel. Mit der Holzverknappung durch die Forstverwaltung entstand ein umfangreicher Schwarzmarkt, der die Nachfrage letztlich weitgehend befriedigte. Nicht im Ökosystem Wald und nicht im illegalen Handel, aber auf dem offiziellen Markt und in den Wirtschaftsplänen der Forstleute bestand eine Knappheit an Waldressourcen.
Das Analysemodell, das solche klaren Antworten generiert, kann die Holznotdebatte der Umweltgeschichte zweifellos befruchten. Die Untersuchung konzentriert sich auf die wirtschaftliche und die politische Dimension der Waldnutzung, für deren Verständnis die räumliche und die zeitliche Dimension gebührend berücksichtigt werden (Im Verbund ergeben die vier dann die soziale Dimension). Mit dieser Zusammenschau leistet Grewe insofern einen wertvollen Beitrag zur Umweltgeschichte des 19. Jahrhunderts, als er zeigt, dass der Umgang mit natürlichen Ressourcen nicht zu trennen ist vom gesellschaftlichen Strukturwandel hin zu einer ländlichen Klassengesellschaft (Josef Mooser). [4] Der Blick auf Herrschaftstechniken verrät den Entstehungszusammenhang der Arbeit im Kontext von Lutz Raphaels Forschungsprojekt zur Herrschaft im Alltag beziehungsweise zur Präsenz des Staates im Dorf. Seltsam unterbelichtet bleibt in der Arbeit freilich die ökologische Dimension. Und das ihr zu Grunde liegende Konzept von Kultur ist problematisch. "Bevor Präferenzen und Vorstellungswelten als bereitstehende Erklärungsmuster herangezogen werden, sollten zunächst die realen Handlungsalternativen erwogen werden" (46), schreibt Grewe, und macht damit den ganzen Bereich kultureller Bedeutungserzeugung zur handlungstheoretischen Residualkategorie.
Gerade auch wegen dieses antikulturalistischen Reflexes ist nicht anzunehmen, dass Grewes Beitrag die von Radkau angestoßene Forschungskontroverse zu einem Ende führt. Umwelthistoriker, die naturwissenschaftliche Frageperspektiven verfolgen, finden in dem anzuzeigenden Buch keine Aussagen über das Ökosystem Wald. Und kulturalistisch argumentierende Forscher vermissen Überlegungen zum Wandel der Wahrnehmungsweisen von Natur. Beide werden sicher weiter streiten.
Anmerkungen:
[1] Joachim Radkau: Holzverknappung und Krisenbewusstsein im 18. Jahrhundert, in: Geschichte und Gesellschaft 9 (1983), 513-543; ders.: Zur angeblichen Energiekrise des 18. Jahrhunderts. Revisionistische Betrachtungen zur 'Holznot', in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 73 (1986), 1-37.
[2] Dieser Antagonismus der Perspektiven prägt weit über die Holznotfrage hinaus die ganze Disziplin der Umweltgeschichte. Siehe etwa Christian Pfister / Anton Schuler: Historische Umweltforschung - eine neue fächerverbindende Aufgabe für Natur- und Sozialwissenschaften, in: Allgemeine Geschichtsforschende Gesellschaft der Schweiz (Hg.): Geschichtsforschung in der Schweiz: Bilanz und Perspektiven, Basel 1992, 169-187.
[3] Beispielsweise Uwe Eduard Schmidt: Der Wald in Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert. Das Problem der Ressourcenknappheit dargestellt am Beispiel der Waldressourcenknappheit in Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert. Eine historisch-politische Analyse, Saarbrücken 2002; siehe hierzu die Rezension von Paul Warde in sehepunkte 3 (2003), Nr. 11, URL: http://www.sehepunkte.de/2003/11/2359.html.
[4] Arbeiten, die diesen Zusammenhang noch expliziter machen, werden von Grewe erstaunlicherweise nicht rezipiert. Siehe beispielsweise Rita Gudermann: Morastwelt und Paradies. Ökonomie und Ökologie in der Landwirtschaft am Beispiel der Meliorationen in Westfalen und Brandenburg (1830-1880), Paderborn 2000; siehe hierzu die Rezension von Andreas Dix in sehepunkte 3 (2003), Nr. 11, URL: http://www.sehepunkte.de/2003/11/1483.html.
Daniel Speich